




Je größer und freier die Finanzmärkte, desto besser? Jahrzehntelang hat dieses Mantra die ökonomische Debatte bestimmt – und tut es trotz globaler Finanzkrise bisweilen noch heute: Der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan echauffierte sich unlängst, die neue strenge Finanzmarktregulierung beschere den USA „überschüssige Kapitalpuffer auf Kosten unseres Lebensstandards“. Der Finanzsektor, so die traditionelle Theorie, stellt Unternehmen und Verbrauchern effizient Kapital bereit, damit diese investieren und konsumieren können – was Wachstum und Wohlstand fördert. Liberale Ökonomen wie Greenspan argumentieren, dass dies umso besser funktioniert, je freier und kraftvoller der Finanzsektor agieren kann.
Großer Finanzsektor hemmt Realwirtschaft
Eine Studie (Jean-Louis Arcand, Enrico Berkes and Ugo Panizza: "Too much finance?", IMF Working Paper No. 161, Juni 2012) des IWF, der lange eine ähnliche Position verfochten hat, kommt nun zu etwas anderen Ergebnissen: Hat der Finanzsektor eines Landes eine bestimmte Größe erreicht, wirkt sich jede weitere Expansion wachstumshemmend auf die Realwirtschaft aus. Erreicht die Kreditvergabe an den Privatsektor (Unternehmen und Haushalte) 80 bis 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), bremst jeder weitere verliehene Euro die Wirtschaftsleistung.

Aus über 100 Ländern haben die IWF-Ökonomen Jean-Louis Arcand, Enrico Berkes and Ugo Panizza Daten von 1960 bis 2010 zu Kreditvergabe und BIP in Schätzverfahren miteinander in Beziehung gesetzt. „Das Ergebnis ist überraschend konsistent“, schreiben die Autoren. Besonders stark sei der negative Zusammenhang zwischen Krediten und Wachstum in Ländern mit einer hoch entwickelten Finanzindustrie. „Die Liste der Länder über der Marke von 110 Prozent schließt fast alle Länder ein, die von der Finanzkrise am stärksten betroffen sind: Island, die USA, Irland, Großbritannien, Spanien und Portugal“, schreiben die IWF-Experten.
Doch warum kann ein großer Finanzsektor wachstumshemmend sein? Zum einen glauben die Autoren, verstärkt er ökonomische Schwankungen. Zum anderen zieht er auch in wirtschaftlich stabilen Zeiten Ressourcen und Talente ab, die an anderer Stelle produktiver eingesetzt werden können.
Völlig neu sind diese Thesen zwar nicht, Ökonomen wie Hyman Minsky und James Tobin haben schon vor Jahrzehnten ähnlich argumentiert. Doch die Autoren liefern neue Daten und eine empirische Unterfütterung. Ihr Fazit: „Unsere Analyse legt nahe, dass in einigen Ländern ein kleinerer Finanzsektor wünschenswert wäre.“