
Die Niederländer haben unter großer internationaler Anteilnahme abgestimmt. Aber über was eigentlich? Formal lehnten sie ein mehrere Jahre altes Abkommen der Europäischen Union mit der Ukraine ab, das längst in Kraft ist. In allen anderen 27 EU-Mitgliedsstaaten und der Ukraine selbst ist es ratifiziert. Was diese niederländische Abstimmung überhaupt soll, kann man sich durchaus fragen.
Was steckt hinter dem Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine?
Das Assoziierungsabkommen soll die Ukraine stärker an die EU binden. Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen sollen gestärkt und die ehemalige Sowjetrepublik allmählich in den internen EU-Markt integriert werden. Das bereits in Kraft getretene Abkommen enthält auch eine Reformagenda für die Ukraine, die ihre Gesetzgebung an die EU-Normen angleichen soll. Außerdem sieht es Reformen zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vor sowie zum Schutz der Menschenrechte und zur Korruptionsbekämpfung.
Das Abkommen gilt als Auslöser der politischen Krise in der Ukraine im November 2013 und des Konflikts mit Moskau. Nach den pro-europäischen Protesten auf dem Maidan im Zentrum der Hauptstadt Kiew fiel am Ende die Regierung des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Russland hatte gegen die Annäherung der Ukraine an die EU protestiert.
Zu dem Vertrag gehört ein Freihandelsabkommen. Die Vereinbarung sieht einen fast 100-prozentigen Verzicht beider Seiten auf Zölle vor. Die Ukraine passt dabei ihre Vorschriften an die der EU an, um den Handel zu vereinfachen. Auch die Niederlassung von Unternehmen wird erleichtert und der freie Kapitalverkehr garantiert.
Für Unternehmen aus der EU wird der Zugang zu einem Absatzmarkt mit rund 45 Millionen Konsumenten deutlich einfacher. Durch den Wegfall von Zöllen können sie nach Berechnungen der EU-Kommission zudem jedes Jahr Kosten in dreistelliger Millionenhöhe einsparen. Moskau befürchtet Nachteile für die heimische Wirtschaft, weil zollfreie Importe aus dem Westen über die Ukraine auch nach Russland gelangen könnten.
Wir erinnern uns: Dieses Assoziierungsabkommen, oder vielmehr die Bereitschaft des damaligen Präsidenten Janukowitsch es auf Druck Putins auszusetzen, war der Anlass für die Unruhen vom Februar 2013, die zum Umsturz und letztlich zur russischen Annexion der Krim und dem Aufstand der prorussischen Separatisten in der Ostukraine führten. An Bedeutung mangelt es diesem Abkommen also durchaus nicht.
Man muss aber davon ausgehen, dass die Ukraine für die niederländischen Wähler keine entscheidende Rolle spielte. Geert Wilders, das wasserstoffblonde Enfant Terrible der niederländischen Politik und Inbegriff des von allen etablierten Parteipolitikern in Europa gefürchteten Rechtspopulisten, nutzte diese Volksabstimmung als wirksame Protestaktion gegen die EU der Junckers und Merkels. „Das ist der Anfang vom Ende der EU“, rief Wilders nach Bekanntwerden seines Abstimmungserfolgs aus. Um das verkünden zu können, hatte Wilders die Bürgerinitiativen unterstützt, die diese Abstimmung möglich gemacht hatten.
Diesen Missbrauch kann man verurteilen. Ein Europa-Politiker kann sich auch damit beruhigen, dass angesichts der geringen Beteiligung der Volksabstimmungscharakter, den Wilders beansprucht, zweifelhaft ist. Nur rund ein Drittel der Niederländer stimmten überhaupt ab. Und schließlich: Die Abstimmung wird vermutlich keine großen Auswirkungen auf die Praxis in Brüssel haben. Die dickfelligen EU-Profis werden Mittel und Wege finden, dies zu verhindern.
Da liegt auch das Problem ist: Die EU hat nach wie vor ein fatales Defizit an demokratischer Willensbildung über die wirklich wichtigen politischen Fragen. Nämlich die nach den Grenzen der Ausweitung und Integration. Das Abstimmungsergebnis ist getragen vom Frust wachsender Wählerschichten über eine als selbstherrlich empfundene europäische Elite. Deren Anspruch, „den Prozess der Schaffung einer immer engeren Union der Völker“ (Maastrichter Vertrag) fortzuführen, erscheint diesen Bürgern nicht mehr angemessen.