




Keine Plakate, keine Infostände. Wer in diesen Tagen durch Rotterdam läuft, sucht vergeblich nach Anzeichen für die Parlamentswahl am Mittwoch dieser Woche. „Womit sollten die Politiker auch werben“, sagt eine Passantin. „Sie haben doch nichts vorzuweisen.“
Auch wenn der Mangel an Wahlwerbung vor allem mit den knappen Kassen der Parteien zusammenhängt, den Frust der jungen Rotterdamerin teilen viele ihrer Landleute. Demoskopen prognostizieren Protestparteien am linken und am rechten Ende des Spektrums Zulauf. Der Urnengang, der fünfte in zehn Jahren, wird zum Richtungsentscheid. Verfolgen die Niederlande künftig einen Wirtschaftskurs, der auf Reformen und gesunden Staatsfinanzen steht?
Oder verwerfen sie Sparsamkeit, wie es der Spitzenkandidat der Sozialisten, Emile Roemer, vorschlägt? „Die zentrale Frage dieser Wahl ist, ob wir im deutschen Camp bleiben oder uns künftig für das französische entscheiden“, sagt Ivo Arnold, Ökonomie-Professor an der Erasmus-Universität Rotterdam.
Wissenswertes über die Niederlande
Flächenmäßig sind die Niederlande nur das 131. größte Land der Welt. Aber: Statistisch gesehen sind die Niederländer das Volk mit den körperlich größten Menschen weltweit. Im Durchschnitt sind die Männer 1,83 Meter groß, die Frauen 1,72 Meter.
Kaum ein anderes Land ist so dicht besiedelt wie die Niederlande. Mehr als 16,5 Millionen Menschen leben hier auf einer Fläche, die kaum größer ist als Baden-Württemberg. Auf einen Quadratkilometer Landfläche kommen so fast 400 Niederländer.
Maschinen und Transportmittel, chemische Produkte und lebende Tiere.
Mit mehr als 378 Milliarden Dollar Umsatz ist das Mineralöl- und Gasunternehmen Royal Dutch Shell das größte niederländische Unternehmen und gleichzeitig das zweitgrößte weltweit. Auch die ING Group stammt aus den Niederlanden und positioniert sich an 17. Stelle der größten Firmen der Welt. Auch Philips und Unilever stammen aus unserem Nachbarland.
Wer von den Niederlanden spricht, sagt oft Holland. Dabei ist Holland eigentlich nur eine Region innerhalb der Niederlande, genauer gesagt zwei Provinzen: Nord- und Südholland. Sich selbst ruft der Oranje-Fan allerdings auch Holländer. Der Schlachtruf der niederländischen Fußballfans ist „Hup, Holland, Hup“, was soviel heißt wie „Auf geht’s, Holland“.
Der Landesname im Plural hat einen historischen Hintergrund. Im Mittelalter war das Land Teil des Herrschaftsgebiets des Hauses Burgund, dass sich in viele kleinere Ländereien aufspaltete, darunter auch die oberen und die niederen Lande. Als das Burgundische Erbe schließlich an die Habsburger fiel, ging das Oberland an Frankreich verloren (die heutigen Regionen Bourgogne und Franche Comté), während die „Niederlande“ das heutige Staatsgebiet markieren.
Populistische Rezepte
Roemers populistische Rezepte, etwa Reiche stärker zu besteuern, finden Anklang. „Die Niederlande sind noch über Jahre in der Krise“, prognostiziert der Präsident der niederländischen Notenbank Klaas Knot. Einerseits treffen die Turbulenzen in der Währungsunion die Niederlande. Kein EU-Land exportiert einen höheren Anteil in die Euro-Zone. Gleichzeitig hat das Land an Wettbewerbsfähigkeit verloren. „Seit 1999 sind die Lohnstückkosten um 25 Prozent gestiegen“, rechnet Notenbankchef Knot vor. „In Deutschland sind die Arbeitskosten dagegen kaum gestiegen.“
Das viel gepriesene Poldermodell, das einst für moderate Lohnsteigerungen sorgte, hat ausgedient. Vor anderthalb Jahrzehnten pilgerten deutsche Politiker in die Niederlande, um die Konsensfindung zwischen Gewerkschaften, Arbeitnehmern und einem von der Regierung besetzten Wirtschaftsrat zu studieren. Der organisierte Dialog half, Konfrontationen zu vermeiden. „Dank des Poldermodells gibt es in den Niederlanden keine militanten Gewerkschaften mehr“, lobt Jan Lamkin, Geschäftsführer und Eigentümer von SBE, einem Maschinenbauer mit 50 Mitarbeitern in Eijsden bei Maastricht, der Henkel und ThyssenKrupp zu seinen Kunden zählt.