Niederlande-Forscher Friso Wielenga „Wilders will überhaupt nicht regieren“

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„20 Prozent der Niederländer wollen den Nexit“

In Deutschland haben Diskussionen um Auftritte von AKP-Politikern immer auch die Frage nach der doppelten Staatsbürgerschaft aufgeworfen. Wie hierzulande gibt es auch in den Niederlanden die Möglichkeit, zwei Staatsbürgerschaften anzunehmen. Hat das Thema im Wahlkampf eine Rolle gespielt?
Wilders hat das natürlich thematisiert. Und die Christdemokraten wollten das EU-Assoziierungsabkommen mit der Türkei auch deshalb aufheben, weil es doppelte Staatsbürgerschaften einfacher macht. Aber abgesehen von lauten Tönen war die Frage kein ernstzunehmendes Wahlkampfthema.

Was waren die zentralen Themen?
Soziale und wirtschaftliche Fragen: Wie ist es mit der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, wie mit dem Gesundheitssystem? Was passiert mit dem Renteneintrittsalter von 67 Jahren – wird es verringert, wird es erhöht? Auch die Sparmaßnahmen der letzten Jahre wurden viel diskutiert. Und, wie schon erwähnt, die Frage nach der nationalen Identität der Niederländer – und indirekt damit auch nach Europa. Immerhin 20 Prozent der Niederländer wollen den Nexit. Viele wünschen sich mehr Souveränität. Nur das Allernötigste soll in Brüssel entschieden werden. Außerdem war die Frage wichtig: Wie geht man mit Flüchtlingen, mit der Integration im Allgemeinen um?

Die PvdA scheint darauf keine überzeugende Antwort gegeben zu haben. Die Sozialdemokraten könnten von rund 25 Prozent auf acht Prozent abstürzen.
Der wichtigste Grund dafür ist sicherlich, dass die PvdA jetzt vier Jahre in der Regierung war und dabei auch einige sehr harte Sparmaßnahmen mitgetragen hat. Die Sozialdemokraten haben zwar versucht, die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts zu stoppen, doch sie hat zugenommen. Das ist vergleichbar mit dem, was der SPD in Deutschland mit der Agenda 2010 passiert ist: Der Stammwähler war nicht begeistert. Wenn die Partei jetzt im Wahlkampf sagt, die Zeit fürs Ernten sei gekommen, dann ist das eine schwierig zu vermittelnde Botschaft.

Was Sie über die Niederlande wissen sollten
Reiche KönigsfamilieDie ehemalige Königin Beatrix (Mitte), die am 30. April 2013 zugunsten ihres Sohnes Willem-Alexander (Rechts) abdankte, gilt als eine der reichsten Niederländerinnen. Es wird immer wieder behauptet, dass sie ein großes Aktienpaket an dem Konzern britisch-niederländische Öl-Konzern Royal Dutch Shell hält. Offizielle Angaben über die Vermögenswerte der Königsfamilie gibt es nicht. Quelle: dpa
Bier der niederländischen Bavaria Brauerei Quelle: dpa
Wilhelm I von Oranje Quelle: Gemeinfrei
Niederes LandUngefähr die Hälfte des Landes liegt weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel, rund ein Viertel sogar unterhalb. Der höchste Berg des Landes ist der 862 Meter hohe Mount Scenery auf der zu den Niederlanden gehörenden Karibikinsel Saba. Auf dem Festland ist es der 323 m hohe Vaalserberg in Limburg.
Große MenschenSo nieder das Land, so hoch seine Menschen. Die Niederländer sind weltweit das Volk mit den durchschnittlich größten Menschen der Welt:  1,83 m (Männer) und 1,72 m (Frauen).
Kneipenstraße Stratumseind in Eindhoven Quelle: GNU
Witte Huis in Rotterdam Quelle: dpa

Und die Personalfrage?
Auch die hat der Partei stark geschadet. Es gab eine interne Wahl zwischen zwei möglichen Spitzenkandidaten: zwischen Lodwijk Asscher, dem bisherigen Sozialminister und Vizepremier, und dem Fraktionsvorsitzenden Diederik Samsom. Damit hat sich die Partei einen bitteren Wettstreit zwischen zwei Kandidaten geleistet, die in den letzten Jahren gemeinsam für die Regierungspolitik gestanden haben. Asscher hat Samsom ziemlich hart angegriffen. Das war unglaubwürdig – die waren die engsten Freunde. Wenn die sich der Vizepremier und der Fraktionschef eine künstliche Debatte leisten, macht das die Partei eher kaputt, als dass es etwas bringt.

Wissenswertes über die Niederlande

Wie wird die künftige Regierung der Niederlande aussehen – wagen Sie eine Prognose?
Ich gehe davon aus, dass Mark Rutte der nächste Ministerpräsident sein und die VVD die größte Fraktion im Parlament stellen wird. Die PVV wird zweitstärkste Kraft. Dann wird Rutte koalieren müssen – mit den Christdemokraten der CDA und den Linksliberalen von D66. Er wird auf jeden Fall drei, vielleicht sogar  vier Parteien brauchen. Auch die Grünen kommen sicher als Koalitionspartner in Frage. Den Sozialdemokraten würde eine Auszeit in der Opposition gut tun, um sich wieder zu finden.

Welche Impulse sind dann von der künftigen Regierung in der EU zu erwarten?
Das wird schwierig. Ich glaube nicht, dass ein Schritt aus der permanenten Krise, in der die EU steckt, von den Niederlanden ausgehen wird. Da kann man nur hoffen, dass Deutschland – egal ob unter Merkel oder Schulz – einen klaren europafreundlichen Kurs vorgibt, dem sich die Niederlande dann anschließen. Die Zusammenarbeit mit Berlin wird die niederländische Regierung weiterhin suchen – so wie es in den vergangenen Jahren auch war.

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