Niederlande-Forscher Friso Wielenga „Wilders will überhaupt nicht regieren“

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„Mit Wilders kann man nicht über Inhalte reden“

Der schrumpfende Rückhalt für Wilders schlägt sich auch in den Umfragen nieder: Galt die PVV in den Umfragen von Anfang März noch als stärkste Kraft, listen viele Prognosen die Partei nun auf Platz zwei – hinter der Regierungspartei von Ministerpräsident Mark Rutte. Wie lässt sich der Verlust der vergangenen zwei Wochen erklären?
Das hängt zunächst einmal damit zusammen, dass Wilders weitgehend abwesend war. Er hat zwei Fernsehdebatten abgesagt, hat sich auch öffentlich kaum gezeigt und den Wahlkampf zumeist über Twitter geführt. Seine Mitarbeiter haben darauf spekuliert, dass Wilders nirgendwo hingehen muss, weil ohnehin dauernd über ihn berichtet wird.

So war es anfänglich ja auch.
Ja, aber die Wählerschaft möchte natürlich auch sehen, dass die Politiker etwas für ihren Wahlsieg tun. Als Wilders dann festgestellt hat, dass er an Zustimmung verliert, hat er seinen Kurs geändert und an den letzten TV-Debatten teilgenommen. Er war auch in zwei oder drei Städten und hat Flyer verteilt. Dem Wahlkampf insgesamt hat das alles übrigens sehr gut getan. Die anderen Parteien haben inhaltlich debattiert, über viele verschiedene Punkte. Es wurde nicht geschrien und nicht übermäßig polarisiert. Das Problem mit Wilders ist eben: Man kann mit ihm nicht über Inhalte reden.

Sollte die PVV entgegen derzeitiger Prognosen doch noch stärkste Kraft werden: Wie wahrscheinlich ist es, dass Geert Wilders in Regierungsverantwortung kommt?
In Deutschland sagt man: Sag‘ niemals nie. Und nach dem Wahlsieg von Donald Trump und nach dem Ausgang des Brexit-Referendums glaube ich, dass da etwas dran ist. Aber hier kann man sagen: Es ist zu 99 Prozent ausgeschlossen, dass das passiert. Selbst wenn Wilders tatsächlich mit 20 Prozent die stärkste Fraktion stellen würde, bräuchte er noch 30 Prozent, um eine regierungsfähige Mehrheit zu bilden. Die anderen Parteien haben eine Koalition kategorisch ausgeschlossen. Davon abgesehen will Wilders überhaupt nicht regieren.

Wie meinen Sie das?
Wenn Wilders in Regierungsverantwortung käme, dann müsste er alles umsetzen, was er seinen Wählern versprochen hat: Er müsste aus der EU austreten und den Gulden wieder einführen. Er müsste den Islam verbieten und alle Moscheen schließen. Und dann müsste er noch sein Sozial- und Wirtschaftsprogramm umsetzen, in dem er Dinge verspricht, die überhaupt nicht finanzierbar sind. Für manches müsste er das Grundgesetz ändern. Doch das wird nicht passieren. Er müsste seine Wählerinnen und Wähler enttäuschen.

In Rotterdam wurde der Rechtspopulismus erfunden. Aber er wird dort durch eine offene Diskussionskultur gebändigt, wie es sie sonst nirgends gibt.
von Konrad Fischer, Silke Wettach

Denken Sie, Geert Wilders wird im Ausland überschätzt?
Als er zwischen 2010 und 2012 die Minderheitsregierung von Mark Rutte und den Christdemokraten toleriert hat, ist er davongelaufen, als es schwierig wurde – nämlich, als im Sozialbereich gespart werden musste. Er ist überhaupt nicht daran interessiert, politische Verantwortung zu übernehmen. Er hat ja auch überhaupt nicht die Leute dafür. Er ist eine Ein-Mann-Bewegung, ohne Partei dahinter, ohne Gremien. Das einzige Mitglied der PVV ist Geert Wilders selber. Ohne kompetente Leute ist es besser für ihn, in der Opposition zu bleiben und dort relativ stark zu sein. So kann er die Unzufriedenheit weiter ankurbeln und damit indirekt Einfluss ausüben.

Auch, wenn die VVD derzeit in den Umfragen vorn liegt: Die Rechtsliberalen drohen, einen großen Teil ihrer Sitze zu verlieren. Sind die Niederländer unzufrieden mit der Regierung von Mark Rutte?
Ja, es gibt viel Unzufriedenheit. Das ist bemerkenswert, denn Rutte hat genau das gemacht, was er vor der letzten Wahl versprochen hat: Er hat im Sozialbereich gespart. Die Wirtschaft ist wieder in Gang gekommen. Der Haushalt ist wieder in Ordnung. Die Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen. Die Löhne der meisten Niederländer sind gestiegen. Er hat das Wahlprogramm der VVD eigentlich ordentlich umgesetzt.

Woher kommt dann diese Unzufriedenheit?
Natürlich haben viele von seinen Reformen profitiert. Doch das lässt sich mit der Agenda 2010 in Deutschland vergleichen: Es gibt viele Leute, die leiden unter der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. Viele sehen es auch sehr kritisch, dass die Eigenbeteiligung bei der Krankenversicherung erheblich zugenommen hat. Dass die Mieten gestiegen sind. Da ist es zwar gut und schön, wenn der Haushalt in Ordnung ist und die Arbeitslosigkeit sinkt. Spürt man das aber nicht im Portemonnaie, ist man schnell verunsichert. Außerdem spielt die Frage nach der niederländischen Identität in diesem Wahlkampf eine wichtige Rolle. Rutte hat hier kein zufriedenstellendes Angebot gemacht.

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