Niederlande-Kenner Wielenga "Die Perspektive der Niederlande ist düster"

Friso Wielenga ist in Sorge um sein Heimatland. Der Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster warnt: "Die Niederlande drohen den Anschluss zu verlieren. Die Lage ist ernst."

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Friso Wielenga Quelle: Pressebild

Herr Prof. Wielenga, die Niederlande stecken in der Rezession, das Haushaltsdefizit liegt weit über den Maastricht-Vorgaben. Wie bewerten Sie die wirtschaftliche Lage des Landes?

Wielenga: Die Lage ist schlechter, als viele noch vor Kurzem erwartet haben. Alle Entscheidungsträger hatten gehofft, dass das erste Sparprogramm, das die Regierung des amtierenden Ministerpräsidenten Mark Rutte 2010 verabschiedet hatte, die Niederlande fit für die nächste Krise machen würden. Aber nun zeigt sich, dass das Gegenteil der Fall ist. Die Niederlande sind anfälliger denn je, wenn die Weltwirtschaft an Tempo verliert. Ein Sparprogramm alleine reicht da nicht, um gegenzusteuern. Die Folge: Das Land droht den Anschluss zu verlieren. Der Abstand zu Deutschland und den anderen "AAA"-Staaten der Eurozone wächst. Die Lage ist ernst und schwierig.

Wie ist die Stimmung bei Ihren Landsleuten? Sorgt man sich um die Arbeitsplätze, um den Wohlstand und sind die Niederländer entspannt oder gar optimistisch?

Es herrscht eine sehr ambivalente Stimmung. Auf der einen Seite sind die Niederländer per se optimistisch. Sie glauben an ihre Stärke und vertrauen darauf, sich selbst wieder aus der Krise befreien zu können. Auf der anderen Seite weiß jeder, dass harte Sparmaßnahmen kommen. Das schürt die Angst. Mit Blick aufs eigene Portemonnaie, aber auch mit Blick auf die Wirtschaft als Ganzes. Denn die vorherrschende Meinung ist: Zu starkes sparen, würgt die Konjunktur ab.

Keine Frage: Sparen alleine reicht nicht. Es braucht auch strukturelle Reformen.

Und die gab es nicht – und die wird es so schnell nicht geben. Wir bräuchten dringend eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und eine Änderung des Arbeitsrechts, insbesondere des Kündigungsschutzes. Ein Modell der Kurzarbeit für Krisenzeiten wie in Deutschland gibt es leider auch nicht.

Wieso sind Sie skeptisch, dass diese Struktur-Reformen nicht schnellstens nachgeholt werden?

Das Problem ist die politische Situation in den Niederlanden. Ministerpräsident Mark Rutte führt eine Minderheitsregierung, die von dem Rechtspopulisten Geert Wilders toleriert wird. Seine Freiheitspartei, die nicht nur islamfeindlich ist, sondern eher linke, arbeiternehmerfreundliche Positionen besetzt, weigert sich, den Arbeitsmarkt zu reformieren. Ihr Credo ist klar: Keine Sparmaßnahmen im sozialen Bereich, keine Sparmaßnahmen zu Lasten der Arbeitnehmer. Das sind sie ihren Wählern schuldig.

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