Niederlande Klarer Sieg für Rutte – und alle Fragen offen

Bei der Wahl in den Niederlanden verfehlt der Rechtspopulist Geert Wilders den angepeilten Sieg klar. Dennoch wird das Parteiensystem kräftig durcheinandergewirbelt.

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Mark Rutte, Wahlsieger trotz Verlusten Quelle: REUTERS

Mark Ruttes erster Freundschaftsgruß hätte an diesem Abend eigentlich nach Ankara gehen müssen. An den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, denn dem hat der holländische Ministerpräsident es wohl zu verdanken, dass er die Parlamentswahl gewinnt – und zwar deutlicher als alle Prognosen es vorhergesagt hatten. Noch vor einer Woche schien sich in den Niederlanden der Auftakt für ein weiteres Wahljahr im Sinne des internationalen Rechtspopulismus anzubahnen.

Geert Wilders, der Anführer der Partei PVV, führte die Umfragen seit Monaten stabil an. Zwar mangelte es ihm an Koalitionspartner aber schon der Sieg an sich hätte wie ein Fanal in die anderen Länder des Kontinents gewirkt. Auch das weitere Schreckensszenario ließ sich locker ohne Regierungsbildung entwerfen: Wilders würde die Wahl gewinnen, um ihn zu verhindern, würde sich eine Allparteienkoalition bilden müssen. Wilders wäre die einzig glaubwürdige Opposition und so würde sein Einfluss weiter wachsen.

Aber nichts da. Die Niederländer haben nicht nur so zahlreich abgestimmt wie schon lange nicht mehr, über 81 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab, sie haben auch Wilders Ambitionen eine klare Absage erteilt. Nur 20 der 150 Sitze wird die PVV im nächsten Parlament haben, Ruttes liberal-konservative VVD kommt hingegen auf 33 Sitze. Das ist zwar ein deutlicher Verlust gegenüber der vorherigen Wahl 2012, aber eben auch ein klarer Vorsprung vor Wilders. Wilders gewinnt derweil zwar eine Handvoll Sitze hinzu, bleibt aber selbst unter den historischen Ergebnissen seiner eigenen Partei. Zwar kündigte Wilders umgehend per Twitter an, sich davon nicht unterkriegen zu lassen, doch das konnte die Offensichtlichkeit der Niederlage nicht schmälern.

Wenngleich die Deutlichkeit dieses Sieges viele Beobachter überraschte, eine Trendumkehr hatte sich in den vergangenen Tagen bereits angedeutet. Die Niederländer haben es Mark Rutte hoch angerechnet, dass er sich anders als die deutschen Nachbarn klar gegen die Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsvertreter für das dortige Referendum gestellt hatte. Erst verweigerte er dem türkischen Außenminister Cavusoglu am Wochenende die Landeerlaubnis, kurz darauf ließ er die Familienministerin gar medienwirksam an die deutsche Grenze fahren. Was das beeindruckende Wirtschaftswachstum und die sinkende Arbeitslosigkeit nicht vermocht hatten, mit dieser politischen Showeinlage gelang es plötzlich, Wilders jeglichen Wind aus den Segeln zu nehmen.

Wie es ihm sonst hätte ergehen können, demonstriert derweil sein Koalitionspartner, die sozialdemokratische Arbeitspartei PvdA. Jahrzehntelang stärkste Partei im Land verlor die PvdA nun 29 Sitze und ist mit ihren verbleibenden 9 Abgeordneten nur noch siebtstärkste Partei. Eine Niederlage, die einer Vernichtung gleichkommt.

Ausländer als Problem?

Und so steht Rutte zwar als glänzender Sieger da, vor ihm liegen dennoch schwierige Monate. Für eine Koalition wird er mindestens drei Partner benötigen und dabei über einige Schatten springen müssen. Insgesamt braucht es 76 Sitze für eine Mehrheit, trotz ihres klaren Sieges bekommt die VVD allein nicht einmal die Hälfte zusammen. Und so wird Rutte einigen der 13 anderen Parteien Zugeständnisse machen müssen.

Grundsätzlich kann er dabei wohl aus zwei verschiedenen Strategien wählen. Entweder kann er versuchen, eine ideologisch halbwegs geschlossene Truppe zusammenzubringen, wird sich im Gegenzug aber mit recht abstrusen Splittergruppen einlassen müssen. So dürfte Rutte sich mit der konservativen CDA, der christlichen CU und seinem bisherigen Koalitionspartner PvdA wohl relativ schnell einig werden.

Zu einer Mehrheit müsste er daneben aber noch zwei der Splitterparteien, zum Beispiel die Rentnerpartei 50 Plus (4 Sitze) und evangelikale SGP mit ins Boot holen. Das aber ist nur schwer vorzustellen.



Alternativ kann Rutte sich wenige starke Partner suchen, müsste dann aber auf ein klares Profil seiner Regierung verzichten. Dafür kämen vor allem die Wahlsieger von der linksliberalen Partei D66 (19 Sitze) oder die Grün-Linken (14 Sitze) infrage. Beide haben viele Sitz gewonnen, die Grün-Linken ihr Ergebnis von 4 auf 14 Sitze gar mehr als verdreifacht. In diesem Fall aber droht Rutte wieder das Szenario, mit dem er schon in der vergangenen Periode zu kämpfen hatte: Der Populist Wilders könnte die Oppositionsrolle für sich einnehmen und Rutte so in de Enge treiben.

Diesmal ist es Rutte noch gelungen, Wilders das Wasser abzugraben, teilweise indem er sich dessen Positionen zu eigen machte. Dabei musste Rutte aber bereits weit an den Rand des bürgerlich Sagbaren gehen. Für die Aufforderung an die Migranten in den Niederlanden, sie sollten sich „normal verhalten oder das Land verlassen“ hätte er selbst Wilders noch ein paar Monate vorher wohl scharf kritisiert. Sollte Rutte weitere Schritte in dieser rhetorischen Eskalation gehen, könnte das endgültig nach hinten losgehen und ihn dann doch auch Unterstützung bei den etablierten Wählern kosten. Das haben schon die Erfolge der Grün-Linken bei der jetzigen Wahl gezeigt, die mit einem dezidiert europafreundlichen und versöhnlichen Ton um Wähler geworben haben. Viele Niederländer mögen die Zahl der Ausländer für ein Problem halten. Die Verrohung der Sprache und der politischen Sitten aber wollen mindestens ebenso viele nicht mehr mitmachen.

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