Niederlande Wo die Rechtspopulisten gebändigt sind

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Wo der Rechtspopulist mit dem Muslim ...

In Rotterdam hat Pim Fortuyn vor 15 Jahren den niederländischen Rechtspopulismus erfunden und zu seinem größten Erfolg geführt. Bis heute hat seine Partei die Mehrheit im Stadtrat, doch zugleich gibt es einen muslimischen Bürgermeister, in Rotterdam wurden die zwei ersten Migrantenparteien des Kontinents gegründet. Und Herr Buijt, Fraktionschef der von Pim Fortuyn gegründeten Partei Leefbaar Rotterdam, sagt: „Bei allen Meinungsverschiedenheiten, es ist gut, dass es diese Parteien gibt.“

Alle für den kleinen Mann
Er war hier eigentlich noch nie zu Gast und doch ist er beim Weltwirtschaftsforum 2017 so präsent, wie kein anderer Zeitgenosse: der kleine Mann. Oder genauer: Der weiße Mittelschichtsmann mit mittlerem Berufsabschluss und mittelprächtigem Job. Jener Typ, den der ehemalige US-Präsident Bill Clinton mal als „hart arbeitend, sich an die Regeln haltend“ beschrieb. Dem Unmut dieses kleinen Mannes über die wirtschaftlichen Zustände auf der Welt jedenfalls wird in Davos der Siegeszug der  so genannten Populisten in der Industrieländerwelt zugeschrieben. Oder, anders gesagt: Der kleine Mann hält sich nicht mehr an die ihm gesetzten Regeln. Und das sorgt die Anführer in Wirtschaft und Politik. So einheitlich wie man sie in dieser Sorge ist, desto konfuser sind die genannten Gründe und damit auch die angedachten Lösungen für das Phänomen. Nur, dass es angegangen werden soll, darüber herrscht Einigkeit. Oder, wie Großbritanniens Premierministerin Theresa May am Donnerstagmorgen sagte: „Wir alle, in Wirtschaft und Politik, müssen auf jene eingehen, die glauben, den Anschluss verloren zu haben.“ Sonst drohe eine nicht endende Stärkung der politischen Ränder links und rechts. Nur: Wie soll das gehe. Ein Überblick über die gewichtigsten Positionen. Quelle: REUTERS
Theresa May, Premierministerin Großbritannien"Wir brauchen eine aktive, starke Regierung. Wir können die wirtschaftliche Teilhabe aller nicht den freien Kräften der internationalen Märkte überlassen. Und wir müssen sicherstellen, dass alle nach den gleichen Regeln spielen; Bürger genauso wie multinationale Konzerne – auch beim Bezahlen von Steuern." Quelle: REUTERS
Joseph Stiglitz, Ökonomie-Nobelpreisträger"Wenn es Trump gelingt, in der ersten Phase seiner Amtszeit Erfolge, und seien sie auch nur symbolisch, vorzuweisen, wird sich seine Art des Politikmachens wie eine Seuche in den Industrieländern des Westens ausbreiten.  Politische Ideen überschreiten Grenzen, wenn sie eine kritische Masse an Anhängern erreicht haben. So könnte es auch mit Trumps Lügen-Populismus sein. Zumindest so lange, wie seine Anhänger zu Recht auf Probleme des Wirtschaftssystems hinweisen, die einfach nicht zu leugnen sind: Die wachsende Ungleichheit in allen westlichen Ländern zum Beispiel. Die verheerende Wirkung der Euro-Politik. Oder der fehlende politische Wille, die Digitalisierung zu gestalten. Da hat der Kapitalismus bisher versagt." Quelle: AP
Lawrence Summers, US-Ökonom"Das als reines Problem der Ungleichheit darzustellen ist nicht die ganze Wahrheit. Die Amerikaner haben gerade erst das Symbol schlechthin für einen zur Schau gestellten Konsum zu ihrem Präsidenten gewählt. Eine Menge der Leute, die für Trump und den Brexit gewählt haben, glauben, dass zu viel dafür getan wurde, den Armen zu helfen. Es gibt vor allem einen Wunsch nach mehr nationaler Stärke und Einigkeit." Quelle: REUTERS
Joe Biden, US-Vizepräsident"Die Ängste der Menschen sind legitim. Viele haben nicht mehr das Gefühl, dass sich ihr Leben und das ihrer Kinder verbessern wird. Die Mittelklasse wird ausgehöhlt und die soziale Stabilität gefährdet. Und das oberste eine Prozent der Einkommenspyramide trägt nicht die Lasten,die es tragen könnte." Quelle: AP
Ana Botin, Vorstandschefin Banca Santander"Wenn Europa eine große Reform angehen sollte, dann eine kraftvolle und einheitliche Bildungspolitik. Wir werden den Großteil der Menschen nur in Arbeit bringen, wenn er bestens und besser als bisher ausgebildet ist." Quelle: REUTERS
Pier Carlo Padoan, Finanzminister Italien"Es gibt in Europa praktisch kein Land, in dem nicht eine hohe Unzufriedenheit zu finden ist. Viele Menschen in der Mittelschicht sind desillusioniert über die Zukunft, über die Jobperspektiven für ihre Kinder und die Sicherheit. Das ist bitter, denn eigentlich habe Europas Integration ja mal als die richtige Antwort auf den entfesselten Kapitalismus gegolten." Quelle: dpa

Der Ruf Rotterdams in den Niederlanden und jenseits seiner Grenzen unterscheidet sich grundlegend. Aus der Ferne steht die Stadt für ihren Hafen, größter Europas, Tor zum Welthandel, zum Wohlstand unserer Zeit. Nur, das hat wenig mit der Realität zu tun: Der Hafen und Rotterdam, das sind zwei getrennte Welten.

Früher sagte man in den Niederlanden: In Rotterdam werde das Geld verdient, das in Den Haag verteilt und in Amsterdam ausgegeben werde. Doch das ist lange her. Aus Sicht der Holländer steht die Stadt für die Probleme des Landes, für all das, was die Industrie hinterlässt, wenn sie aus einer Stadt verschwindet – und damit auch ein Stück weit als Erklärung, warum ausgerechnet diese Holländer politisch auf den ein oder anderen Abweg zusteuern, wo doch die Wirtschaft propper um mehr als zwei Prozent wächst und das Pro-Kopf-Einkommen so hoch ist, dass die „Financial Times“ sich jüngst über das ärmste Dorf des Landes wunderte: Wenn so die ärmsten Dörfer aussehen, wie schauen dann reiche aus?

Wilders und die Ent-Islamisierung

Nirgendwo gibt es einen höheren Anteil von Zuwanderern, jeder zweiter Bürger der Stadt hat seine Wurzeln im Ausland. Nirgendwo gibt es ein niedrigeres Bildungsniveau, nirgendwo mehr Arbeitslosigkeit. Dass Rotterdam, dessen Zentrum 1940 durch einen deutschen Bombenangriff vollständig zerstört wurde, bis heute am wenigsten aussieht wie eine niederländische Stadt, hat die Stadt endgültig zu einer Dystopie für die Traditionalisten im Rest des Landes werden lassen. Und so war es wenig verwunderlich, dass ausgerechnet hier der Publizist Pim Fortuyn innerhalb weniger Monate zum politischen Star wurde, als er in deftigen Worten die Probleme benannte, die ohnehin jeder sah.

Ein Lehrstück aber wurde daraus erst nach dem 6. Mai 2002, als Fortuyn von einem rasenden Tierschutzaktivisten ermordet wurde. Denn nun entwickelten sich der Rechtspopulismus in Rotterdam und der auf der Landesebene in entgegengesetzte Richtungen. Hier wie dort errangen die Rechtspopulisten überragende Siege: Fortuyns lokale Gründung Leefbaar errang die absolute Mehrheit im Stadtrat, seine nationale Liste Pim Fortuyn (LPF) sammelte mehr als 17 Prozent der Stimmen ein, ungefähr so viel wie Geert Wilders sich jetzt erhoffen darf. So gelangten beide Parteien an die Macht, Leefbaar dominierte den Stadtrat in Rotterdam fortan allein, die LPF bekam vier Ministerposten in einer konservativ-liberalen Fraktion. Doch danach trennten sich die Wege: Die LPF zerstritt sich innerhalb von Monaten so sehr, dass zuerst die Koalition scheiterte und dann die Wähler das Weite suchten – fünf Jahre später löste man sich endgültig auf, die Reste der Partei verteilten sich auf andere Gruppierungen, von denen eine bald Geert Wilders hervorbrachte, die Fortsetzung des Prinzips Pim Fortuyn mit radikaleren Mitteln.

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