Nizza Warum der Terror immer wieder Frankreich trifft

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Die gesellschaftlich Abgehängte

Als Teil der Anti-IS- Allianz und weil es Angriffe in Syrien und im Irak fliegt, ist Frankreich für den islamistischen Terror ein attraktives Ziel. Dass es immer wieder Frankreich trifft, hat aber tiefergreifende Gründe. 

Zum einen die große gesellschaftliche Ungleichheit. In den Fünfzigerjahren warb Frankreich massiv Arbeitskräfte aus Nordafrika an, die für das französische Wirtschaftswunder gebraucht wurden. Bis in die Achtzigerjahre hinein erhielten sie eine Perspektive und gingen in der Masse der Franzosen auf. In dem Maße, in dem die Konjunktur erlahmte, verlangsamte sich dieser Integrationsprozess.

Die Folgen sind heute in den Banlieues, den Vororten Frankreichs, zu beobachten: Hierhin hat es in den vergangenen 30 Jahren die Verlierer der Gesellschaft verschlagen, vor allem die Zuwanderer aus Nordafrika. Im Land der „Egalité“ gibt es für viele von ihnen keine Chancen auf sozialen Aufstieg mehr. Sie sind wirtschaftlich wie sozial abgehängt und mit ihren enttäuschten Erwartungen alleingelassen von der Mehrheitsgesellschaft. Manche resignieren, manche driften ab in kriminelle Milieus, andere in islamistische.  

So schützen sich große Flughäfen vor Terror

„Potenzielle Attentäter fühlen sich ihrer Familie nicht zugehörig und in der Schule oder im Berufsleben nicht eingebunden“, so der Sozialpsychologe Andreas Zick. Bei Menschen mit solchen Gefühlen trifft die Todesideologie des islamistischen Terrors auf fruchtbaren Boden. „Sie interpretieren ihr Abgehängtsein als religiöse Unterdrückung. Junge Menschen mit Minderwertigkeitskomplexen kompensieren damit ihr ganzes Versagen.“

Durch Freunde, Verwandte, Bekannte und das Internet radikalisieren sie sich weiter, wie Joachim Krause, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kiel und Direktor des dortigen Instituts für Sicherheitspolitik, sagt. „Dass solche Attentate immer wieder Frankreich und Belgien treffen, hängt mit den starken jihadistischen Milieus dort zusammen, die sich am Rand der Gesellschaft gebildet haben.“ Islamwissenschaftler Buchta spricht in diesem Zusammenhang vom „gesellschaftlichen Sprengstoff“. Und die islamistische Ideologie ist der Zünder.

Ein weiterer Grund dafür, dass es immer wieder Frankreich trifft, sind Mängel im französischen Sicherheitskonzept. „Die französischen Sicherheitsbehörden sind zutiefst gespalten“, sagt Buchta. „Die Gendarmerie und die Police nationale treten als konkurrierende Sicherheitsbehörden auf.“ Informationen werden nicht weitergegeben, Maßnahmen nicht koordiniert.  Das reißt Lücken in das engmaschige Sicherheitsnetz, die Attentäter ausnutzen.

Was macht der ständige Terror mit der französischen Gesellschaft?

Mit jedem erfolgreichen Anschlag wird die französische Gesellschaft weiter gespalten. „Der Terror stärkt Kräfte wie den Front National, die generell jeden Muslim verdächtigen“, sagt Krause. Das wiederum sorgt dafür, dass Muslime, die sich von der Gesellschaft ausgeschlossen wähnen, anfälliger für das Gedankengut radikaler Islamisten werden. „Das ist eine gefährliche Spirale.“

Islamistischen Organisationen, allen voran dem IS, spielen die sich verstärkenden gesellschaftlichen Spannungen in die Hände. In einem Klima, das sich generell gegen den Islam richtet, fühlen sich mehr und mehr Menschen gekränkt und werden empfänglicher für die islamistische Ideologie.

Mitunter braucht es dann nicht einmal einen konkreten Auftrag. Immer mehr Täter handeln unabhängig – wie zuletzt etwa in den USA – und schmücken sich lediglich mit der „Marke“ IS, um ihre Tat in einem größeren Kontext einzuordnen. „Zum Teil sind die Täter sich selbst aktivierende Desperados, die aus einem Gefühl der Marginalisierung heraus glauben, das Recht zu haben, sich an der Gesellschaft zu rächen“, sagt Buchta.

 

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