Norbert Tofall „Ohne Entschuldung der Eurozone wird die EU nicht überleben“

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„Dann dürfte auch die EU am Ende sein“

Immer mit der über allem schwebenden Frage: Wer zahlt für wessen Schulden?
Der Frontverlauf ist sowohl geld- als auch fiskalpolitisch der gleiche. Seit der Eurorettungspolitik wird das Konfliktpotential immer größer. Dieses Konfliktpotential ist der Spaltpilz in der Eurozone.

Aber daran zerbricht die Währungsunion doch nicht.
Doch. Denn es handelt sich um den wachsenden Spaltpilz des gesamten europäischen Einigungsprozesses. Diese Frage berührt weitreichende wirtschafts- und gesellschaftspolitische Grundüberzeugungen und fordert unterschiedliche Lebensweisen heraus. Diesen wachsenden Spaltpilz durch allgemeinverbindliche Regeln wie dem europäischen Fiskalpakt zu entgiften, ist leider bereits vor der Corona-Krise misslungen. Jetzt könnte dieser Spaltpilz im Zuge der Corona-Krise zum exponentiellen Wachstum ansetzen und die Eurozone sprengen.

Wie das?
Setzen sich Italien und die südeuropäischen Länder durch, könnten die Nordländer mit Ausnahme von Deutschland nach einer längeren Phase des Leidens die Währungsunion verlassen. Setzen sich die Niederlande und die Nordländer durch, wird zumindest Italien eher früher als später aus dem Euro austreten. Wahrscheinlich ist Erstes, weil die Südländer größeres Zerstörungspotenzial haben. Einige nördliche Länder würden in dem Fall nach einer langen Phase der finanziellen Repression und des ökonomischen Niedergangs aus dem Euro austreten.

Das klingt nach einem sehr düsteren Szenario.
So oder so: Bricht die Währungsunion ungeregelt auseinander, dann dürfte auch die EU am Ende sein.

Was schlagen Sie vor, um die EU zu retten?
Wir müssen die Eurozone entschulden. Nur so können wir die Union als Friedensprojekt erhalten und sie gleichzeitig ökonomisch erfolgreicher aufstellen. Das klingt auf den ersten Blick utopisch ...

... auf den zweiten nicht?
Viele europäische Regierungen, die panikartig den Status quo bewahren wollen, müssen erkennen, dass die Entschuldung der Eurozone im gemeinsamen Interesse der Süd- und Nordländer ist. Wenn der Währungsraum entschuldet wäre, wären sowohl europäische Staatsschuldenhilfen als auch die Niedrigzinspolitik der EZB unnötig. Der Streit, wer wie wessen Staatsschulden zahlt, wäre hinfällig. Zumindest für die nächsten Jahre.

Wie stellen Sie sich die Entschuldung konkret vor?
Sie sollte in einem einzigen Schritt erfolgen, der aus drei gleichzeitig umzusetzenden Elementen besteht. Dem Chicago-Plan von 1933 folgend sollte die EZB erstens die Staatsschulden der Euroländer auf ihre Bilanz nehmen. Zweitens sollte die Notenbank den Bürgern der Eurozone sichere Bankeinlagen durch eine 100-prozentige Deckung mit Zentralbankgeld ermöglichen und einen digitalen Euro als Vollgeld schaffen. Ein digitaler Vollgeldeuro würde politische Manipulationen des Zinses erschweren.

Was ist das dritte Element?
Konkurrierende Privatwährungen wie Kryptowährungen müssen zugelassen werden. Können die Bürger vom Euro auf private Währungen umsteigen, entsteht Währungswettbewerb. Dieser diszipliniert die EZB, nicht zu viele Euros zu schaffen. Das stabilisiert die Kaufkraft des Euros.

Wie wollen Sie verhindern, dass das Spiel der lockeren Geld- und Schuldenpolitik danach wieder von vorne losgeht?
Zum einen wie gesagt durch die Zulassung von konkurrierenden Privatwährungen, zum anderen durch die Einführung sicherer Bankeinlagen, die zu 100 Prozent durch Zentralbankgeld gedeckt sind. Banken können dann wie andere Unternehmen in einer Marktwirtschaft auch in Konkurs gehen. Denn das Geld der Sparer ist sicher. Der Kunde muss der Abwicklungsbehörde lediglich ein Konto bei einer anderen Bank nennen, auf das die sichere Einlage transferiert wird. Ein digitaler Vollgeldeuro führt außerdem dazu, dass die Geldmenge mittels einer in einem Algorithmus niedergelegten Regel – beispielsweise dem Potentialwachstum in Sinne von Milton Friedman – ausgeweitet wird und nicht aufgrund politischer Opportunitäten.

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