Norwegen Eine Frau gegen die Sucht nach Öl

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Mittelständler finden neue Kunden

Die neuen Lieblingskinder der Investoren zeigen sich in der Halle am Osloer Hafen: neue Krebstherapien, Hersteller von Lernsoftware, E-Fahrzeuge. Anita Krohn Traaseth ist mittlerweile mit drei Menschen in ein Hinterzimmer gegangen. Sie setzt sich an einen Konferenztisch, um mit den Gästen aus Israel zu sprechen. Das Land gilt als vorbildlich in der Start-up-Förderung, von 1600 Menschen startet mindestens eine Person ein neues Unternehmen. Traaseth will wissen, wie die Kollegen im Nahen Osten das schaffen. In Israel bekommen Gründer hohe Fördersummen, müssen aber einen Teil davon zurückzahlen, wenn sie das Land verlassen; das gefällt Traaseth.

Rund 2800 Start-ups haben sich im vergangen Jahr beworben. „Wir geben keine Blankoschecks, es darf nie einfach sein, Steuergeld zu bekommen“, sagt Traaseth. Ihre Agentur geht gemeinsam mit den Gründern einen Katalog an Fragen durch: Was kostet die Entwicklung? Wie sieht die Kalkulation aus? Wann soll sich das Projekt selbst tragen?

Rund die Hälfte der Start-ups bekommt Geld – solange ihr Geschäft nicht vom Öl abhängt. Oder oft auch: nicht mehr vom Öl abhängen soll. Das meiste Geld geht an Unternehmen, die bereits bestehen. Denn es sind nicht nur die Ölkonzerne, die unter der Krise leiden. Sondern auch Menschen wie Kjell Leroy. Der 62-Jährige sitzt an diesem Vormittag in einem Hörsaal und fühlt sich unwohl. Als einer der wenigen trägt er einen Anzug. Die anderen – Start-up-Gründer, Wissenschaftler, Mediziner – haben Laptops auf den Knien, Kapuzenpulli an und trinken Kaffee aus Pappbechern. Leroy tritt ans Rednerpult und stellt sein Unternehmen vor: Seine Firma produziert Metallteile für die Ölindustrie. Mal sind es Pumpen, mal Verbindungsteile für Unterwasserrohre.

Er gehört zu den Mittelständlern, die ihr gesamtes Geschäft auf dem Ölrausch aufbauten. Und vermutlich wäre ihm der Hörsaal der Uniklinik fremd geblieben, wenn sich nichts an seiner Auftragslage verändert hätte. Die Ölfirmen bestellten immer seltener. Vor sechs Jahren brach der Umsatz um die Hälfte ein. „Ich merkte, dass wir uns umorientieren müssen, wenn wir in ein paar Jahren noch existieren wollen“, sagt er.

Deshalb will er nun Menschen aus der Medizinbranche kennenlernen. Traaseths Team hat die Veranstaltung organisiert, es geht um Synergien zwischen Öl- und Medizintechnik. Leroys Pumpen sollen künftig Blut statt Öl transportieren. „Die Probleme und Lösungen unterscheiden sich eigentlich kaum. Nur die Größen sind etwas gewöhnungsbedürftig“, sagt er. Medizintechnik passt manchmal in die Hosentasche, die Teile einer Ölplattform brauchen oft einen Lkw. „Die Branche ist mir noch völlig unbekannt. Das ist das Schwierigste für mich: Netzwerke aufzubauen und die neuen Kunden zu finden“, sagt er.

„70 Prozent der von uns geförderten Unternehmen sind bestehende Firmen, die sich neu orientieren“, sagt Traaseth. Die Norweger haben mittlerweile ein Wort dafür: Omstilling. Die Unternehmer sollen ihre Kompetenzen auf andere Branchen übertragen. Sie sollen neue Probleme für alte Antworten finden. „Die Nordsee ist aus meiner Sicht ein Inkubator. Jetzt müssen wir es alleine schaffen, neue Industrien aufzubauen“, sagt Traaseth. Dabei scheint es manchmal gar nicht notwendig, einen komplett neuen Schatz aufzubauen. Es reicht, wenn man manch altbekannten wiedererkennt. Denn den eigenen Energiebedarf deckt das Land mittlerweile komplett durch Wasserkraft.

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