Ökonom Jens Bastian "In Griechenland herrscht FDP-Panik"

In Athen ist man verunsichert angesichts der Euro-Politik der FDP. Ökonom Jens Bastian erklärt, warum trotz einer Erfolgsgeschichte das Grexit-Gespenst wieder da ist.

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Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Die AfD ist in den Bundestag eingezogen, die FDP könnte Teil einer neuen Bundesregierung werden. Deutschland dürfte künftig noch stärker fiskalische Strenge in der Eurozone fordern. Wie kommt das in Griechenland an?
Jens Bastian: In Athen herrscht große Verunsicherung. Mindestens bis Jahresende wissen die Entscheidungsträger nicht, mit wem sie es in Berlin zu tun haben werden. Die Regierung von Alexis Tsipras hatte gehofft, dass die große Koalition fortgesetzt und zugleich Wolfgang Schäuble als Finanzminister abgelöst wird. Aus griechischer Sicht könnte es nun aber noch schlimmer werden, wenn die FDP Teil der neuen Bundesregierung wird.

Zur Person

Die FDP fordert ein Insolvenzrecht für Eurostaaten. Zugleich soll ein Land die Eurozone verlassen dürfen, ohne die EU verlassen zu müssen. All das zielt auf Griechenland.
In Athen ist eine gewisse FDP-Panik zu beobachten. Die Griechen fürchten, dass ein FDP-Finanzminister zum absoluten Alptraum für sie werden könnte. Die Sorge zahlreicher Griechen kreist vor allem um einen Namen: Christian Lindner, der bis vor einer Woche in Griechenland ein unbeschriebenes Blatt war. Nun wird ausführlich darüber berichtet, wie der Chef der FDP die bisherige Euro-Rettungspolitik im Wahlkampf für gescheitert erklärt hat.

Lindner wirbt seit einigen Jahren für eine Kehrtwende in der Griechenlandpolitik. Er meint, Griechenland solle die Eurozone verlassen, zumindest zeitweilig.
Damit ist das Grexit-Gespenst wieder am politischen Horizont Athens erkennbar. Entsprechend haben die Athener Börse und die Bondmärkte für griechische Staatsanleihen reagiert.

Nach der Bundestagswahl sind Schuldenerleichterungen für Griechenland nicht wahrscheinlicher geworden. Ginge es auch ohne?
Das Thema Schuldenerleichterungen für Griechenland wird politisch vorerst nicht mehr im Vordergrund stehen. Zum einen haben Euro-Finanzminister dazu einen klaren Fahrplan mit Athen vereinbart. Zum anderen ist dieses Thema weder in Deutschland, noch in Frankreich oder Italien mehrheitsfähig. Erst Recht nicht in Mitgliedsländern der Eurozone wie Finnland, der Slowakei oder den baltischen Staaten.

Hat sich Alexis Tsipras verzockt?
Aus meiner Sicht hat Tsipras viel zu viel politisches Kapital auf das falsche Pferd gesetzt. Er hätte besser daran getan, seinen Reformwillen in den Vordergrund zu stellen – beispielsweise bei den Themen Steuervermeidung, Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit oder wie der andauernden Kapitalflucht entgegenzutreten ist.

Unter welchen Bedingungen wären Schuldenerleichterungen überhaupt denkbar?
Die Debatte über Strukturreformen muss im Moment im Vordergrund stehen. Wenn sich die griechische Wirtschaft nicht tiefgreifend verändert, ist jedwede Debatte über Schuldenerleichterungen ohne Substanz. Nur wenn die Steuer- und Rentenreformen fortgesetzt und weiterhin ein Primärüberschüsse erwirtschaftet werden (über deren Höhe und Dauer sich allerdings trefflich streiten lässt), können wir irgendwann über Schuldenerleichterungen reden.

Emmanuel Macron will Europa neu gründen – samt Budget für die Eurozone. Kann er dem Gemeinschaftsprojekt eine neue Begründung geben?
Macrons will Substanz und Nachhaltigkeit in die politische Debatte bringen. Der französische Präsident versucht, den großen Entwurf zu zeichnen. Das ist mutig. Aber seine Pläne konzentrieren sich zu sehr auf die Fiskal- und Geldpolitik. Mich interessiert eher die Frage, wie die Risikoaufteilung in der Eurozone über die Instrumente der Fiskal- und Geldpolitik hinaus organisiert werden kann. Wie können wir den Teufelskreis aus Staatsanleihen und die Belastung von Bankenportfolios mit diesen Titeln endlich aufbrechen? Wie können wir das wachsende Schattenbankensystem in der Eurozone endlich transparent machen? Das sind die eigentlichen Fragen, die Macron bislang aber nicht stellt.

Eine griechische Erfolgsgeschichte?

Tsipras sieht Macron als Verbündeten im Streit mit Deutschland. Ist er das?
Da wäre ich eher vorsichtig. Macrons wichtigste Verbündete in der EU ist und bleibt die deutsche Bundeskanzlerin. In den vergangenen zwei Jahren hat Tsipras mit eher bescheidenem Erfolg versucht, eine Art südeuropäische Allianz zu schmieden. Selbst Zypern, ehemaliges Programmland und langjähriger Bündnispartner Griechenlands, legt nunmehr bei jeder Gelegenheit Wert darauf zu betonen, dass es keineswegs mit Griechenland zu vergleichen ist.

Der griechische Premier verkündete kürzlich, Griechenland sei auf dem besten Weg aus der Krise. Die Wirtschaft werde um zwei Prozent wachsen, nächste Jahr könnte das Land finanziell wieder auf eigenen Beinen stehen. Teilen Sie seine Zuversicht?
Es gibt tatsächlich einige positive Entwicklungen zu verzeichnen. Anfang Juli gab die Regierung in Athen bekannt, dass die Wirtschaft des Landes im zweiten Quartal um 0,8 Prozent gewachsen sei, nach 0,4 Prozent im ersten Quartal 2017. Seit 2014 ist die griechische Wirtschaft nicht mehr in zwei aufeinander folgenden Quartalen gewachsen. Ende Juli platzierte das Land zudem nach dreijähriger Pause wieder eine Anleihe im Volumen von drei Milliarden Euro an den Finanzmärkten.

Athen musste für das Papier mit fünfjähriger Laufzeit eine Rendite von 4,6 Prozent zahlen. Ziemlich viel in Zeiten von niedrigen Zinsen.
Trotzdem war der Schuldtitel mehr als zweifach überzeichnet. Mitte August erhöhte die internationale Ratingagentur Fitch die Bonität Griechenlands auf B-. Zum ersten Mal seit 2015 ist Griechenland damit nicht mehr mit dem Makel einer Bonität im untersten Notendrittel behaftet. Vergangene Woche hat die EU-Kommission ihr Defizitverfahren gegen das Land nach acht Jahren eingestellt. 2016 hat Griechenland einen Haushaltsüberschuss von 0,7 Prozent erzielt. Damit wurde das Maastricht Kriterium erstmals seit dem Beitritt zur Währungsunion in 2001 erfüllt.

Wie Europas Währungen ohne Euro auf- oder abwerten müssten
Das SzenarioDer US-Finanzriese Bank of America Merrill Lynch (BoA) wollte es genauer wissen: Analyst Athanasios Vamvakidis hat den Euro-Währungsraum unter der Maßgabe genauer unter die Lupe genommen, dass die Euro-Zone auseinanderbricht und der Euro abgeschafft wird. Hintergrund sind neben den hohen Staatsschulden einzelner Peripheriestaaten vor allem das absehbare Ende der massiven Anleihekäufe durch die Europäische Zentralbank (EZB), das sogenannte OMT-Programm, und in der Folge wieder steigende Zinsen. Nur die Geldpolitik der EZB hat 2012 eine Eskalation der Staatsschuldenkrise verhindert, in dem die Kreditkosten für die Peripheriestaaten auf ein historisches Tief gedrückt wurden. Was also passiert, wenn das OMT-Programm endet? Quelle: dpa
Schatten-WechselkurseDie BoA-Experten erwarten, dass die EZB das OMT-Programm im kommenden Jahr reduziert und schrittweise auslaufen lässt. Dadurch würden auch die Finanzierungskosten der Staaten wieder ansteigen, obwohl es länger dauern dürfte, die Leitzinsen wieder anzuheben. Insgesamt rechnet die BoA dann mit höheren Schuldenquoten in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland als 2012 auf den Höhepunkt der Euro-Schuldenkrise. Ohne einschneidende Reformen steigt somit das Risiko, dass die Euro-Zone auseinanderbricht. Dies vor Augen hat BoA-Analyst Vamvakidis Schattenwechselkurse für die nationalen Nachfolgewährungen gegenüber dem heutigen Euro berechnet. Diese legen Währungsunterschiede zwischen den Euro-Staaten offen, die derzeit durch die Gemeinschaftswährung verborgen sind. Quelle: dpa
GriechenlandGriechenland bleibt das Sorgenkind der Euro-Zone. Trotz spürbarer Fortschritte liegt die Überbewertung Griechenlands zusammen mit der Spaniens an der Spitze. Die griechische Drachme müsste deshalb nach heutigem Stand um 7,5 Prozent abwerten. Immerhin: Vor der Krise lag der Abwertungsbedarf eher bei 30 Prozent, insofern war die Verbesserung deutlich. Nur ein Land der Euro-Zone ist aktuell so stark überbewertet wie Griechenland. Quelle: dpa
SpanienMüsste Spanien zur Peseta zurückkehren, wäre laut BoA eine Abwertung der spanischen Währung um 7,5 Prozent erforderlich. Gegenüber dem Abwertungsbedarf vor der Krise von rund 14 Prozent ist das schon eine Stabilisierung. Allerdings haben sich Spaniens Staatsschulden seit 2008 nahezu verdreifacht. Dank der Geldpolitik der EZB hat sich die Zinsbelastung des Staates jedoch nur um 80 Prozent erhöht. Quelle: Fotolia
FrankreichBräche der Euro heute auseinander, müsste der Franc um fünf Prozent abwerten – und damit deutlich mehr als zu Vorkrisenzeiten. Damals lag die Überbewertung bei nur zwei Prozent. Insgesamt, so Studienautor Vamvakidis, sei die Überbewertung jedoch zu gering, um die Forderungen der Rechtspopulistin Marine Le Pen nach einem Frexit und einer anschließenden Abwertung des Franc zu rechtfertigen. Quelle: dpa
ItalienItalien bleibt etwas überbewertet, so dass die italienische Lire nur um drei Prozent abwerten müsste, um einen angemessenen Wechselkurs zu erreichen. Vor der Krise betrug die Überbewertung noch 7,5 Prozent. Seit 2012 ist die Zinsbelastung des Staates deutlich gesunken. Quelle: dpa
PortugalAuch in Portugal hat sich die wirtschaftliche Lage deutlich gebessert, so dass der Escudo nach heutigen Maßstäben nur noch leicht, nämlich um ein Prozent abwerten müsste, um im Gleichgewicht mit den übrigen Euro-Staaten zu notieren. Quelle: dpa

Klingt alles zu gut um wahr zu sein.
Leider gibt es auch eine Kehrseite. Die registrierte Arbeitslosigkeit geht zwar zurück – um 4,6 Prozent zwischen Januar 2015 und Mitte 2017. Aber die Arbeitslosigkeit bleibt weiterhin die Höchste in der EU. Sie betrug 21,2 Prozent im Juni – mitten in der Feriensaison. Die Kreditversorgung der griechischen Realwirtschaft bleibt seit mehr als sechs Jahren ununterbrochen negativ. Es bestehen weiterhin massive politische und administrative Hürden, um vereinbarte Privatisierungsprojekte und ausländische Investitionsinitiativen umzusetzen.

Der deutsche Flughafenbetreiber Fraport, der der griechischen Regierung 14 Flughäfen abgekauft hat, stellt nun Schadensersatzforderungen. Viele Flughäfen seien marode.
Weitere Beispiele sind der ehemalige internationale Flughafen Athen-Ellinikon, wo Behörden plötzlich ein Waldgebiet entdeckt haben wollen, um Bauprojekte weiter zu verzögern. Oder das kanadische Bergbauunternehmen El Dorado Gold, das sich wegen fehlender Lizenzen entnervt aus Griechenland zurückzieht.

Nächstes Jahr läuft das dritte Hilfspaket für Griechenland aus. Wie geht es danach weiter?
Brüssel und Athen basteln gerade an einer verspäteten griechischen „success story“. EU-Währungskommissar Pierre Moscovici und der griechische Regierungschef Alexis Tsipras sagten kürzlich bei einer Pressekonferenz in Athen: „Jetzt naht das Ende der Krise. Wir legen die letzten Meter zurück“. Das Ziel dieser Erfolgsgeschichte ist ein „clean exit“ Griechenlands im August 2018, wenn das laufende dritte Rettungsprogram endet. Das Ziel: Keine weiteren Kredite, Schluss mit der Troika, Ende der Rettungsprogramme. Das ist die politische Grundüberzeugung von Tsipras. Er will sich dann als erfolgreicher Baumeister dieser Exit-Strategie dem Wahlvolk präsentieren.

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