Ökonom Thomas Mayer "Wir brauchen Alternativen zum Euro"

Ökonom Thomas Mayer erklärt, warum Frankreich rein rechnerisch schlechter dasteht als Slowenien und warum wir in der Euro-Zone möglicherweise bald eine Parallelwährung zum Euro brauchen.

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Thomas Mayer war von 2010 bis 2012 Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Mittlerweile ist der Ökonom als Berater für das Institut tätig, außerdem ist er Senior Fellow am Center for Financial Studies der Goethe Universität Frankfurt. Am Mittwoch vergangener Woche erschien sein Buch

WirtschaftsWoche Online: Herr Mayer, Sie haben vor kurzem berechnet, welche Staaten die nächsten Krisenkandidaten Europas sein könnten. Slowenien war nicht dabei, dabei hat das Land in der letzten Woche selber angedeutet, es könnte auf Hilfen des Rettungsschirms angewiesen sein. Haben Sie sich verrechnet?

Thomas Mayer: Ich habe nur auf die reinen Zahlen geschaut, wie die Schuldenquote der Länder, die Größe des Finanzsektors oder das jeweilige Haushaltsdefizit. Was diese Fakten angeht, steht Slowenien tatsächlich deutlich besser da als viele andere Länder der Euro-Zone. Aber zur Zeit sind es eben besonders die kleinen Länder mit Bankenproblemen, die unter Beobachtung stehen und als Unsicherheitskandidaten gelten.

Heißt das, Slowenien wird zu Unrecht an den Pranger gestellt?

Mayer: Nein, auch in Slowenien gibt es politische Risiken und Ansteckungsgefahren, die es zu beachten gilt. Allerdings stehen andere Länder schlechter da, werden aber trotzdem nicht von den Märkten unter Druck gesetzt.

Nämlich?

Mayer: Frankreich zum Beispiel. Das Land hat eine überdurchschnittliche Verschuldung, das Haushaltsdefizit ist hoch. Außerdem hat Frankreich ein hohes Defizit in der Leistungsbilanz, ist also nicht wettbewerbsfähig. Dennoch bereitet der Markt Europas zweitgrößter Volkswirtschaft wenig Probleme.

Irrt der Markt?

Mayer: Die Investoren sehen völlig klar, dass der politische Einfluss Frankreichs auf die Euro-Zone und auf Deutschland sehr groß ist. Ohne Frankreich keinen Euro. Das Land wird gehandelt wie der siamesische Zwilling zu Deutschland. Wenn ein Zwilling Probleme hat, kann er im Blutkreislauf des anderen weiterschwimmen.

Ist das die Rettung der Grande Nation?

Mayer: Im Gegenteil. Das Frankreich sich weiter günstig refinanzieren kann, erlaubt der Regierung, notwendige Reformen hinauszuschieben. Die Korrelation zwischen Reformeifer und Marktdruck zieht sich durch die ganzen Euro-Länder, Frankreich ist dafür das beste Beispiel. Notwendige Reformen wurden nur dort angeschoben, wo der Marktdruck groß genug war. Mehr Disziplin von der französischen Regierung lässt sich nur erzwingen, in dem das Land den Druck der Märkte zu spüren bekommt.

Der Marktdruck muss ausgenutzt werden

Die zehn größten Euro-Lügen
Ex-EZB-Chef Jean-Claude Trichet Quelle: dpa
Wolfgang Schäuble Quelle: dpa
Giorgios Papandreou Quelle: dpa
Wolfgang Schäuble Quelle: dapd
Chef der Eurogruppe Jean-Claude Juncker Quelle: dapd
Angela Merkel mit Draghi Quelle: dapd
Mariano Rajoy Quelle: REUTERS

Statt dessen versucht die Politik immer mehr, die Märkte durch ihr Eingreifen auszutricksen.

Mayer: Und genau das ist falsch. Man muss sich den Marktdruck zu Nutze machen, um die Länder zu Anpassungen zu bewegen. Kann ein Land sich dann nicht mehr finanzieren, müsste es umschulden. Im Extremfall muss es die Möglichkeit haben, aus der Euro-Zone auszutreten und seine eigene Währung wieder einzuführen. Natürlich nicht leichtfertig, Schuldenschnitt und Austritt sind lediglich die letzten Sanktionsmöglichkeiten.

Sollte jedes Land die Euro-Zone verlassen dürfen? Auch systemrelevante Staaten wie Italien oder Frankreich?

Mayer: Nein, zur Zeit gilt das nur für kleine Länder. Sie können Griechenland umschulden, aber mit Italien können Sie das nicht machen. Insofern ist die Euro-Zone zurzeit eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Aber in Zukunft muss es möglich sein, auch große Länder aus der Euro-Zone ausscheiden zu lassen.

Wie soll das gehen?

Mayer: Wir müssen die Banken von den Staaten trennen. Zum Beispiel, indem wir Banken dazu verpflichten, auch Staatsanleihen mit Eigenkapital zu unterlegen. So werden die Staats-Bonds in den Bankbilanzen nicht mehr zur Last, ein Einzelstaat kann dann Bankrott gehen, ohne dass die gesamte Währungsunion aus den Fugen gerät.

Ist das europäische Finanzsystem in der Krise zu politisch geworden?

Mayer: Genau. Denn ohne eine klare Trennlinie müsste die Euro-Zone eine politische Union werden, in der die Zentralbanken mit den Staaten gemeinsame Sache machen und das System finanziert. Das ginge nur mit Eurobonds, und die halte ich für ausgeschlossen.

US-Investor George Soros sieht das anders, er plädierte am vergangenen Dienstag in Frankfurt erneut für die Gemeinschaftsanleihen. Warum sind Eurobonds keine Option?

Mayer: Weil die Mitgliedsländer der Währungsunion nicht bereit sind, wesentliche Teile ihrer Souveränität, wie die Hoheit über Besteuerung oder Sozialleistungen, nach Brüssel abzugeben.

In Ihrem neuen Buch „Europas unvollendete Währung: Wie geht es weiter mit dem Euro?“ skizzieren Sie mögliche Szenarien für die Gemeinschaftswährung. Ist eine politische Währungsunion ausgeschlossen?

Mayer: Ja, eine staatliche Struktur zur Rettung des Euro wird es nicht geben. Auch Bundeskanzlerin Merkel hat das erkannt und deshalb einen Euro-Schattenstaat gebaut. Dessen Schattenregierung, der Europäische Rat, kooperiert mit der Staatszentralbank EZB. Die Europäer lehnen sich allerdings gegen Merkels Schattenkabinett auf. Die Italiener beispielsweise haben ihren Vertreter der Euro-Schattenregierung, Mario Monti, bereits abgewählt.

Neue Parallelwährung zum Euro

Ist die Schattenregierung gescheitert?

Mayer: Sie kann sich zumindest auf Dauer nicht durchsetzen. Eine stabile Basis für den Euro sind nur souveräne Staaten, die selber die Verantwortung für ihre Finanzen tragen und die Geldpolitik nicht manipulieren können.

Dennoch verweisen Sie in Ihrem Buch auf die europäische Zentralbank als Kreditgeber der letzten Instanz. Ist das nicht ein Wiederspruch?

Mayer: Das ist ein Ritt auf der Rasierklinge. Denn zwischen der jetzigen Situation und dem Idealzustand souveräner Staaten liegt ein weiter Weg. Dafür brauchen wir einen Übergang und die EZB als Rückhalt. Solange Banken noch nicht vom Staat getrennt wurden und einige Länder entsprechend systemisch relevant sind, muss die EZB im Notfall mit Krediten unterstützen.

Souveräne Staaten hin oder her: Zahlen wir in zehn Jahren noch in Euro?

Mayer: Wenn wir bar zahlen schon. Denn ich gehe davon aus, dass systemisch wichtige, aber schwache Länder wie Italien oder Spanien die Hilfe der EZB brauchen und damit die Geldpolitik vor sich hertreiben werden, um ihre eigenen Finanzen zu stabilisieren. Das wird langfristig zu einer erhöhten Inflation bei uns führen. Die Deutschen halten einen großen Teil ihres Vermögens in nominaler Form, beispielsweise bei Altersvorsorgeprodukten wie Riester. Hier reicht schon eine fünfprozentige Inflation über zehn Jahre, um die Altersvorsorge deutlich zu verringern. Das wird sich die Gesellschaft nicht bieten lassen. Es müssen also Alternativen zum Euro geschaffen werden.  

Wie könnte so eine Alternative aussehen?

Mayer: Das könnte beispielsweise eine Art Parallelwährung in Form von Buchgeld sein. In der Tasche haben wir weiterhin Euroscheine und –münzen, aber auf unserem Konto haben wir eine andere, wertbeständigere Währung. Zur Einführung der neuen Währung könnten beispielsweise Miet- oder Sparverträge inflationsindexiert werden, also an die deutsche Inflation gebunden.

Diese Zweitwährung wäre also wieder national begrenzt?

Mayer: Nicht unbedingt, sie kann sich auch regional ausbreiten. Es bleibt aber eine Parallelwährung mit flexiblem Wechselkurs zum Euro – kein Ersatz für die Gemeinschaftswährung und auch keine Rückkehr zur alten D-Mark.  

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