Öl-Embargo Europa darf bei seinen Energiesanktionen gegen Russland die globalen Folgen nicht ignorieren

Schüler in Panama halten Anfang Juli ein Plakat, auf dem übersetzt steht:

Immer mehr Länder auf der Welt drohen ins Chaos zu stürzen, weil Europa ihnen Ölprodukte wie Diesel vor der Nase weg kauft. Der Kollateralschaden des bevorstehenden Boykotts von russischem Öl ist groß, destabilisiert die Welt und nutzt am Ende womöglich noch Moskau.

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Streikende Lastwagenfahrer in Peru, Proteste in Argentinien, seit Wochen blockierte Fernverkehrsstraßen in Panama, gewaltsame Kundgebungen  in Ecuador. In Ghana feuerte die Polizei Tränengas und Gummigeschosse auf wütende Demonstranten. Nigeria, Sri Lanka, die Liste der Länder, in denen es zurzeit Unruhen gibt, nimmt kein Ende. Auslöser ist in beinahe allen Fällen der massiv gestiegene Preis für Treibstoff.

Die Ursache dafür findet sich  allzu oft in den Sanktionsbemühungen Europas gegen russische Ölprodukte. Nach dem von Russlands Staatspräsident Wladimir Putin angeordneten Überfall auf die Ukraine waren diese Embargos auch vollkommen nachvollziehbar. Inzwischen aber müssen sich Deutschland und Europa die Frage stellen, ob sie wirklich der richtige Weg sind. Der Kollateralschaden rund um den Globus könnte gewaltig sein. Gleichzeitig führen die gestiegenen Preise dazu, dass Putins Deviseneinnahmen so hoch sind wie nie. Zu einem Totalboykott ringt sich Europa nicht durch, vereinfacht gesagt: wir boykottieren nur, was wir ersetzen können.  

Bereits raffinierte Ölprodukte, beispielsweise Diesel, hatte Europa bisher in riesigen Mengen in Russland eingekauft. Seit es jedoch einen Boykott beschlossen hat, deckt sich der Kontinent mehr und mehr anderswo ein. Beispielsweise in den USA, die bisher hauptsächlich Lateinamerika beliefert haben. Das treibt in Lateinamerika nun die Preise in schwindelerregende Höhen. Preissteigerungen um 50 Prozent beim Treibstoff seit Jahresbeginn sind in vielen der aufstrebenden Länder keine Seltenheit. Richtig ist: Das liegt doch nicht an der EU, sondern an Putins grausamen Angriffskrieg. Aber Europa und Deutschland wollen vorerst eben auch vor allem Öl und Ölprodukte sanktionieren, dagegen so gut wie kein Gas – weil das daheim zu Verwerfungen führen würde. Umsichtige Politik allerdings sollte über den Tellerrand hinaus blicken, darauf achten, dass nicht nur daheim Kollateralschäden minimiert werden.
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Stabilitäts- und sicherheitspolitisch kann es ohnehin nicht in Europas Interesse liegen, andere Weltregionen ins Chaos zu stürzen, dort für Leid zu sorgen, am Ende den Unmut auf westliche Industriestaaten zu steigern. Das erhöht die Gefahr einer weltweiten Rezession - die am Ende auch uns treffen wird. Und nicht zuletzt spielt das Moskau in die Hände, das ja offenbar seit Jahren eine Destabilisierungsstrategie rund um die Welt verfolgt. Vor allem, was den Westen und seine Verbündeten angeht. Nicht umsonst ist Putins Außenminister Sergej Lawrow in diesen Tagen in Afrika unterwegs. Zwar geht es hier vornehmlich um Weizen. Aber die Botschaft ist klar und gilt auch fürs Öl: Der Westen ist an allem schuld! 

Energierohstoffmärkte sind zu komplex

Der deutschen und europäischen Politik ist dabei kein Vorwurf zu machen, dass sie den Boykott ausgearbeitet hat. Die Auswirkungen waren so detailliert wohl nicht vorhersehbar. Dazu sind die weltweiten Rohstoffmärkte zu komplex. Aber die Politik sollte den Sanktionskurs korrigieren. Sich vielleicht gar für die Zukunft die Frage stellen, ob sich Energierohstoffmärkte überhaupt für kurzfristige Boykotte eignen. Will die EU die Sanktionen nicht fallen lassen, ließen sich die betroffenen Staaten in manchen Fällen wohl zumindest auch unterstützen, indem Europa Importzölle für Produkte dieser Länder senkt oder aussetzt. 

Allein schon der Versuch Europas, sich künftig auch vom russischen Gas unabhängig zumachen, stürzt gerade Pakistan in die Krise, jenes Land mit der fünftgrößten Bevölkerung der Welt (die aktuellen Liefereinschränkungen Moskaus tragen natürlich auch dazu bei). Pakistan hatte sich in den vergangenen Jahren sehr abhängig von LNG gemacht. Nun versucht Europa sich für den Herbst und Winter weltweit mit Flüssigerdgas einzudecken.

Ausschreibungen Pakistans, sich LNG-Frachtladungen für den Herbst zu sichern, scheiterten in den vergangenen Wochen immer wieder. Europa, mit seinen tiefen Taschen, kann das Land auf dem Spot-Markt einfach überbieten. In vielen Teilen Pakistans wird deshalb inzwischen Strom rationiert, immer wieder mal für zwölf Stunden abgestellt.

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