Ein reinigendes Gewitter?
Ja, das haben wir 1986 schon einmal erlebt. Damals sackte der Erdölpreis von 28 auf 10 Dollar in sehr kurzer Zeit ab. Das war schwer, aber nützlich. Diesmal fiel er von 110 auf 55 Dollar. Das ist schwierig, aber keine Tragödie.
Welche Folgen hat der niedrige Ölpreis für die Industrie in Norwegen?
Unsere Erdölindustrie wird schrumpfen und schlanker werden müssen. Die Kosten für die Erdölförderung sind in den letzten Jahren geradezu explodiert. Ein Beispiel: Vor zehn Jahren hat ein Bohrschiff etwa 100.000 Dollar am Tag gekostet. Mittlerweile zahlen wir eine halbe Million Dollar. Die Lieferanten und Dienstleister der Erdölindustrie haben im letzten Jahrzehnt viel Geld verdient. Jetzt wird unsere Erdölindustrie leiden. Aber das geht anderen Öl-Nationen nicht anders.
Etwa 250.000 Menschen sind in der Ölindustrie beschäftigt. In einigen Schätzungen heißt es, dass bis zu 40.000 Jobs verloren gehen könnten.
Ja, das ist für die Betroffenen schwierig, aber für die Gesamtwirtschaft kaum ein großes Problem. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Niemand kann derzeit seriös prognostizieren, wie viele Jobs ohne Neubeschäftigung verloren gehen werden. Aber Norwegen ist mehr als die Erdölwirtschaft, die rund ein Drittel der Wirtschaftsleistung ausmacht. Die Öl-Dominanz wird geringer und zeitgleich verbessern sich die Wachstumsbedingungen für andere Wirtschaftsbereiche.
Zum Beispiel?
Die Schwer- und Chemieindustrie wird bedeutender, ebenso die Aluminiumindustrie und die Stromwirtschaft. Norwegen kann seinen eigenen Strombedarf zu über 95 Prozent aus Wasserkraft decken. Auch die Fischerei, Bergbau und Holzindustrie sind noch immer wichtig für uns. Die Ölindustrie hat der gesamten Wirtschaft hochtechnologische Impulse gegeben. Die teure, aber gut gebildete Arbeiterschaft hat den Betrieben Anreize gegeben, sich technologisch zu modernisieren.
Meilensteine der Ölpreisentwicklung
Die ersten gewinnbringenden Erdölbohrungen finden Mitte des 19. Jahrhunderts statt. In dieser Zeit entstehen auch die ersten Raffinerien. Bis 1864 steigt der Ölpreis auf den Höchststand von 8,06 Dollar pro Barrel (159 Liter); inflationsbereinigt müssen damals im Jahresdurchschnitt 128,17 US-Dollar gezahlt werden. In den folgenden Jahrzehnten bleibt der Preis auf einem vergleichsweise niedrigen Level, fällt mitunter sogar, bedingt etwa durch den Erfolg der elektrischen Glühlampe, durch die Öl im privaten Haushalt nicht mehr zur Beleuchtung nötig ist.
Mit dem Erfolg des Automobils zu Beginn des 20. Jahrhunderts steigt die Öl-Nachfrage rasant; speziell in den USA, wo der Ford Modell T zum Massenprodukt wird. 1929 fahren insgesamt 23 Millionen Kraftfahrzeuge auf den Straßen. Der Verbrauch liegt 1929 in den Staaten bei 2,58 Millionen Fass pro Tag, 85 Prozent davon für Benzin und Heizöl. Die Preise bleiben allerdings weiter unter fünf Dollar pro Fass (nicht inflationsbereinigt), da auch mehr gefördert wird.
In den 30er Jahren kommt die Große Depression, die Unternehmenszusammenbrüche, Massenarbeitslosigkeit, Deflation und einen massiven Rückgang des Handels durch protektionistische Maßnahmen zur Folge hat. Während der Weltwirtschaftskrise verringert sich die Nachfrage nach Erdöl und der Preis sinkt auf ein historisches Tief. 1931 müssen bloß noch 0,65 Dollar pro Barrel gezahlt werden (inflationsbereinigt etwa zehn US-Dollar). So billig sollte das schwarze Gold nie wieder sei.
Nachdem sich die Weltkonjunktur erholt hat, steigt der Preise für Öl wieder, bleibt aber konstant unter fünf Dollar pro Barrel. Für die Jahre zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Ölkrise im Herbst 1973 spricht man deshalb vom „goldenen Zeitalter“ des billigen Öls.
In den 70er und 80er Jahren kommt der Ölpreis in Bewegung. Als die Organisation der erdölexportierenden Länder (Opec) nach dem Krieg zwischen Israel und den arabischen Nachbarn im Herbst 1973 die Fördermengen drosselt, um politischen Druck auszuüben, vervierfacht sich der Weltölpreis binnen kürzester Zeit. Zum Ende des Jahres 1974 kostet ein Barrel über elf Dollar (inflationsbereinigt fast 55 US-Dollar). Dies bekommen auch Otto-Normal-Bürger zu spüren: In Deutschland bleiben sonntags die Autobahnen leer, in den USA bilden sich Schlangen vor den Tankstellen.
Während der zweiten Ölkrise in den Jahren 1979/1980 zieht der Ölpreis nach einem kurzfristigen Rückgang weiter an. Ausgelöst wird dies im Wesentlichen durch Förderungsausfälle und Verunsicherung nach der Islamischen Revolution. Nach dem Angriff Iraks auf Iran und dem Beginn des Ersten Golfkrieg explodieren die Preise regelrecht. Auf dem Höhepunkt im April 1980 kostet ein Barrel 39,50 Dollar (inflationsbereinigt 116 Dollar).
Die 80er und 90er Jahre sind – abgesehen von dem kurzzeitigen Anstieg verursacht durch den Zweiten Golfkrieg – eine Phase niedriger Ölpreise. Die Industriestaaten befinden sich in einer Rezession und suchten aufgrund vorhergehenden Ölkrisen mit besonders hohen Preisen nach alternativen Energiequellen. Weltweit gibt es Überkapazitäten. Während der Asienkrise 1997/1998 sinkt die Nachfrage weiter. Ende des Jahres 1998 werden 10,65 Dollar pro Barrel verlangt.
Nach Überwindung der Krise wachsen die Weltwirtschaft und damit auch der Ölbedarf schnell. Selbst die Anschläge auf das World Trade Center 2001 sorgen nur für einen kurzen Rücksetzer. Anfang 2008 steigt der Ölpreis erstmals über 100 US-Dollar je Barrel, Mitte des Jahres sogar fast auf 150 Dollar. Ein Grund für den Preisanstieg wist der Boom des rohstoffhungrigen China, mittlerweile zweitgrößter Verbraucher der Welt.
Die globale Finanzkrise und eine schwächelnde Konjunktur sorgen für einen Rückgang der Nachfrage. Gleichzeitig bleibt das Angebot durch die massive Förderung in den USA (Fracking) hoch. Die Folge: Der Ölpreis bricht ein. Ab Sommer 2014 rutscht der Preis für Brentöl innerhalb weniger Monate um rund 50 Prozent auf 50 Dollar. Erst im Februar 2015 erholte sich der Ölpreis leicht und schwankt um die 60 Dollar je Barrel.
Im Mai 2015 hatten sich die Ölpreise zwischenzeitlich erholt. Die Sorte Brent erreichte mit einem Preis von 68 US-Dollar je Barrel ein Jahreshoch. Von da aus ging es bis September des Jahres wieder steil bergab auf 43 Dollar. Nach einer Stabilisierung zwischen September und November nahm der Ölpreis seine wieder Talfahrt auf. Am 15. Januar hat der Ölpreis die 30-Dollar-Marke unterschritten.
Wie konkurrenzfähig sind diese Wirtschaftszweige?
Sie wird zunehmend konkurrenzfähiger. Der niedrige Ölpreis hat bei allen Problemen eben auch etwas Gutes. Die norwegische Krone ist gegenüber dem Dollar gesunken, dem Euro gegenüber aber weniger. Damit verbessert sich die Konkurrenzfähigkeit vieler Wirtschaftszweige. Wie schon öfters in der Geschichte werden wir uns umstellen müssen. Die norwegische Art des Kapitalismus hat sich durch die Zusammenarbeit von Gewerkschaften, Arbeitgeber und Staat flexibel und umstellungsfähig gezeigt.
Bereitet sich Norwegen auf eine Zeit ohne Öl vor?
So würde ich es nicht formulieren. Die meisten Experten gehen davon aus, dass die Erdölwirtschaft noch viele Jahrzehnte zu unserem Wohlstand beitragen wird. Die Preise und Erträge werden immer wieder schwanken, so wie wir es derzeit erleben.