Ohrfeige für Macron Frankreich wird ein schwieriger Partner in der EU

Emmanuel Macron verlor bei der Parlamentswahl in Frankreich nur acht Wochen nach seiner Wiederwahl als Präsident die Mehrheit. Quelle: imago images

Der Präsident verliert die volle Unterstützung des Parlaments bei den Parlamentswahlen. Von seinen Reformvorhaben dürfte nicht viel übrig bleiben.

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Frankreich hat am Sonntagabend ein politisches Erdbeben erlebt, dessen Nachbeben in ganz Europa und insbesondere in Deutschland zu spüren sein werden. Nach seinem glanzlosen Sieg vor acht Wochen verlor Präsident Emmanuel Macron den notwendigen Rückhalt im Parlament. Seine auf den Namen „Renaissance“ umgetaufte Partei und ihre Unterstützer werden dort künftig nicht mehr wie bisher über eine absolute Mehrheit verfügen. Die Umsetzung angekündigter Reformen wird deshalb ungleich schwieriger, wenn nicht unmöglich. Die radikale Linke und die extreme Rechte schicken zusammen weit über 200 Abgeordnete in die Nationalversammlung. Angesichts der zu erwartenden heftigen verbalen Auseinandersetzungen fürchten manche Beobachter bereits eine völlig Unregierbarkeit des Landes. Sicher ist, dass Frankreich ein für Deutschland und die EU schwieriger Partner wird.

Die Reaktion der Finanzmärkte auf dieses Ergebnis der Parlamentswahl dürfte nicht lange auf sich warten lassen. Die direkte Konsequenz wird nämlich nach Überzeugung von Ökonomen in den nächsten Jahren eine teure „Kompromiss-Legislatur“. So drückt es Armin Steinbach von der Elite-Wirtschaftshochschule HEC Paris aus. Hinter den ursprünglich geplanten weiteren Arbeitsmarktreformen und der Anhebung des Rentenalters von 62 auf 65 Jahre setzt er nun große Fragezeichen. „Mit der angekündigten Senkung der Unternehmenssteuer rechne ich gar nicht mehr,“ sagt er.

Stattdessen werde Macron gezwungen sein, populäre, aber teure Ausgabenprogramme weiter hochzufahren, etwa die Kaufkraftunterstützung für Haushalte vor dem Hintergrund der steigenden Inflation. Lebensmittelgutscheine und eine Entlastung bei den Energiekosten waren bereits im Vorfeld der Wahl angekündigt worden. „All das ist populär in allen Parteien, wird die Staatsausgaben aber weiter in die Höhe treiben.“

Ob die nach der Präsidentschaftswahl von Macron ernannte Premierministerin Elisabeth Borne im Amt bleiben wird, war zunächst ungewiss. Auf jeden Fall wir das Kabinett erneut umgebaut werden müssen: Mehrere Ministerinnen konnten nämlich ihr Abgeordnetenmandat nicht verteidigen und müssen deshalb auch ihre Regierungsposten aufgeben. Zu ihnen gehört die neue Umweltministerin Amélie de Montchalin. Dass auch Parlamentspräsident Richard Ferrand gegen eine Kandidatin der Linken verlor, ist eine besondere Schlappe für Macron. Der ehemalige Sozialist Ferrand war 2016 ins Macron-Lager gewechselt und gilt als einer der engen Mitstreiter des Präsidenten.

„Es wird schwer werden für seine Reformagenda,“ urteilt auch Ulrich Hege, Ökonom an der renommierten Toulouse School of Economics. Um einiges davon zu retten, biete sich zwar eine Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Les Républicains (LR) an. Diese verloren aber den Hochrechnungen zu Folge ihre Rolle als wichtigste Oppositionspartei an die Links-Koalition Nupes unter ihrem Anführer Jean-Luc Mélenchon. Eine Koalitionsvereinbarung nach deutschen Vorbild werde vermutlich nicht zustande kommen, höchstens eine punktuelle Zusammenarbeit.

Macrons „Renaissance“-Partei hatte zudem bereits vorab ein Bündnis mit zwei starken bürgerlich-liberalen Flügeln geschlossen. „All das“, so Hege, „macht Macron erpressbar und setzt ihn der Gefahr aus, dass mögliche Partner innerhalb und außerhalb seiner Fraktion sich die Rosinen aus seinem Programm picken.“

LR-Chef Christian Jacob kündigte am Sonntag auch sofort an, dass seine Partei in der Opposition bleiben werde. Wenn die Nupes-Abgeordneten auf der linken Seite und das erstarkte rechtsextreme Rassemblement National von Marine Le Pen die Macron-Partei in die Zange nehmen, wird laut dem Politologen Pascal Perrineau von der Universität Sciences Po künftig eine „Atmosphäre des permanenten Widerspruchs“ herrschen. In Frankreich gebe es keine Kompromiss-Kultur wie in Deutschland, betont Perrineau – weder in der Gesellschaft noch im Parlament.



In Frankreich konnten sich Präsidenten bisher meist der vollen Unterstützung des Parlaments sicher sein. Die Wahlrechtsreform von 2002, der zu Folge Staatschef und Parlament jeweils im gleichen Jahr bestimmt werden, hatte die Stellung des zusätzlich Präsidenten gestärkt: Wenige Wochen nach der Wahl des Staatschefs machten die Französinnen und Franzosen ihr Kreuzchen einfach wieder an der selben Stelle.

Mélenchon scheiterte zwar mit seinem Ansinnen, mit Nupes die absolute Mehrheit der Parlamentssitze zu besetzen und dann das Amt des Premierministers für sich zu beanspruchen. Er feuerte seine Anhänger aber noch am Wahlabend an: Ein Politik-Wechsel liege nun in ihrer Hand. Das schließt auch die schon angedrohte außerparlamentarische Opposition auf der Straße nicht aus. Die Rechtsextreme errang nach vorläufigen Ergebnissen 90 Mandate – mehr als zehnmal so viele bis bisher.

Insgesamt bestätigt das Ergebnis vom Sonntag nach Auffassung von Hege, „dass nunmehr mehr die Hälfte der französischen Wähler bereit sind, mit den Extremen links und rechts zu experimentieren“. Die Motive der Wähler seien zwar unterschiedlich. "Aber in der Summe schwächt das die französische Demokratie und die EU.“ Besonders die hohe Zahl der Sitze der Rechtsextremen sei sehr beunruhigend. „Während ein guter Teil der Wähler Mélenchons noch nicht endgültig für die Sache der liberalen Demokratie verloren sei, ist das am rechten Rand vermutlich der Fall.“

Für die Märkte sei der Wahlausgang alarmierend, so Steinbach. „Mangelnder Reformwille bei gleichzeitig voluminösen Ausgabenprogrammen ist Gift für die fiskalische Nachhaltigkeit. Das werden auch die Märkte zur Kenntnis nehmen.“ Das Marktumfeld ist heute schon problematisch: Italien sieht sich seit einigen Wochen mit stark steigenden Finanzierungskosten konfrontiert. Auch Frankreich wird wegen des geldpolitischen Kurswechsels der EZB mit steigenden Zinslasten rechnen müssen. Das engt den Handlungsspielraum noch einmal weiter ein.

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In Europa werde Frankreich damit kein leichterer Partner für Deutschland. Frankreich werde den anderen Parteien nachgeben und stärkere Forderungen stellen: zum Beispiel bei der Reform der Fiskalregeln oder in der Migrationspolitik. Frankreich, ist Steinbach überzeugt, werde egoistischer werden in Brüssel.

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