Donald Tusk freut sich auf Brüssel. Schon seit Monaten büffelt er fleißig Englisch. Im Dezember löst Polens smarter Ex-Premier den blassen Belgier Herman Van Rompuy als ständigen EU-Ratspräsidenten ab. Und Brüssel freut sich auf Tusk. Der ehrgeizige Liberale aus Danzig steht für die erfolgreiche Integration Osteuropas, sagt man dort. Mit einer soliden Wirtschaftspolitik hat er seinen Polen einen krisenresistenten Aufschwung beschert und ihnen die notorische Europa-Skepsis ausgetrieben. Den 57-jährigen Hoffnungsträger aus dem Osten halten viele für den Richtigen, um die EU aus ihrer Sinn- und Strukturkrise zu holen.
Der erste Arbeitstag von Tusk am Montag dieser Woche ist auch ein Zeichen dafür, dass Polen in der EU vom Rebellen zum gleichberechtigten Partner geworden ist. Nicht wenige trauen den Polen sogar zu, die Rolle der europamüden Briten zu übernehmen. Jedenfalls sind die Erwartungen hoch an Tusk, der sein Land als einziger Regierungschef in der EU mit einem Wirtschaftswachstum durch die Finanzkrise 2008/09 manövriert hat.
Es fehlt an qualifizierten Jobs
Doch ausgerechnet jetzt, da Tusk als Polit-Star in Brüssel angekommen ist, droht seine Heimat den Nimbus als Wirtschaftswunder-Land zu verlieren. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wächst langsamer, gegen die Arbeitslosigkeit ist bislang kein Kraut gewachsen. Unterm Strich wandern mehr Polen ab, als Auswanderer zurückkehren, denn der Staat hat den Standort nie als Keimzelle für High-Tech-Entwicklungen herausputzen können.
Wissenswertes über Polen
Nicht selten kommt es in Polen vor, dass zum gemeinsamen Abendessen auch mal ein Wodka serviert wird. Aber keine Sorge, wer als Ausländer nicht gerne starken Alkohol trinken möchte, kann auch zu einem Bier greifen. Das gibt es in Polen in allen Varianten und Geschmacksrichtungen, zum Beispiel gemixt mit süßem Sirup.
Nicht nur die. In dem osteuropäischen Land gibt es EU-weit die meisten verschiedenen Pflanzen- und Tierarten, die aus anderen Teilen Europas zum Teil schon lange verdrängt wurden. Nicht nur der Braunbär und der Wolf sagen sich hier gute Nacht, sondern auch der Luchs, der Elch, der Biber und das Wisent.
Auch wenn es langsam aus der Mode kommt: Der Handkuss ist in Polen eine weit verbreitete Begrüßung für die Damen. Selbst eingefleischte Vertreter der Emanzipation werden bei dieser altmodischen Geste nicht protestieren, sondern den Handkuss in bester Manier graziös und mit der Handinnenseite zum Boden entgegennehmen.
Kaum eine Sprache ist so kompliziert wie die polnische. Allein die Aussprache des Worts "czesc" (hallo) birgt so seine Tücken. Wer fröhlich seine Arbeitskollegen grüßen will, könnte bei falscher Aussprache Verwirrung hervorrufen. Denn anders ausgesprochen bedeutet das Wort "sechs". Kein Wunder, dass Polen ausländische Besucher gerne aufziehen.
In Polen steppt der Bär und der Hund wird verrückt. "Wscikle pies", der verrückte Hund, nennt sich ein beliebter Shot in Polen. Er besteht aus Vodka, Himbeersirup und - tatsächlich - Tabasco. Da spielt nicht nur der Gaumen erst einmal verrückt, sondern schnell auch der Kopf.
In Polen gibt es weniger Auto als im Westen. Um jedoch in allen größeren Städten gigantische Staus zu verursachen, reichen sie aber allemal. Deshalb sollte man für Fahrten in polnischen Innenstädten lieber viel Zeit mitbringen. Das Problem wird dadurch noch verstärkt, dass jeder Lkw, der zwischen Ost- und Westeuropa verkehrt, durch Polen fährt.
Papst Johannes Paul II ist der wohl berühmteste Pole. Der Begründer der modernen Astronomie, Nikolaus Kopernikus, ist jedem ein Begriff, genauso wie die Chemikerin Marie Curie, die das radioaktive Element Radium entdeckte. Auch kulturell kann Polen mit Berühmtheiten aufwarten: der romantische Komponist Frédéric Chopin, der Science-Fiction Autor Stanislaw Lem, sowie der Regisseur und Oscar-Preisträger Roman Polanski stammen aus Polen.
Es fehlt an hoch qualifizierten Jobs. „Polen ist auf dem Zenit des Erfolgs“, sagt Piotr Buras vom European Council on Foreign Relations in Warschau. „Es ist an der Zeit, ein neues Konzept für mehr Wachstum zu entwickeln, denn nur mit niedrigen Löhnen und hohen EU-Fördergeldern ist diese Wachstumsstory nicht am Leben zu halten.“ Kritiker werfen Tusk vor, er habe sich im taktisch günstigsten Moment mit der Flucht nach Brüssel der Verantwortung entzogen.
EU-Mittel haben 300.000 Arbeitsplätze geschaffen
Selten spaltete eine Politiker-Persönlichkeit Ost und West so sehr wie Donald Tusk. Westwärts sieht man fast nur die Erfolgsgeschichte: Seit dem EU-Beitritt des Landes 2004 hat sich das BIP pro Kopf auf knapp 25.000 Dollar fast verdoppelt. Ähnlich wie Spanien in den Achtzigerjahren hat auch Polen von Milliarden an Strukturmitteln, die ins Land flossen, profitiert. Alleine zwischen 2007 und 2013 beliefen sich die Brüsseler Subventionen auf 68 Milliarden Euro. Polens Regierung schätzt, dass die EU-Mittel 300.000 Jobs im Land geschaffen haben. Die Hilfe von außen wirkte wie ein gigantisches Konjunkturprogramm. Warschau führt bis zur Hälfte des Wachstums seit 2006 darauf zurück.
Profitiert davon haben auch deutsche Unternehmen, deren Zahl sich auf mehr als 6.000 beläuft. Der Handel mit der Bundesrepublik hat sich seit der Osterweiterung vor zehn Jahren auf knapp 80 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. „Die Investoren schätzen die politische Stabilität in Polen“, sagt Michael Kern, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer. Umfragen zeigen, dass deutsche Investoren inzwischen Polen den Vorzug vor Tschechien geben – früher war das mal umgekehrt. Dies sei „ganz klar ein Verdienst der liberalen Regierung Tusk“, lobt Kern.
Qualifiziertes Personal für Brüssel
Der Weg dorthin war weit. In den ersten Jahren nach dem EU-Beitritt strapazierten polnische Politiker gern die Nerven ihrer Gesprächspartner in Brüssel. Kaum vergessen sind absurde Episoden des populistischen Ex-Premiers Jaroslaw Kaczynski, der bei Verhandlungen zum Vertrag von Lissabon die Deutschen provozierte: Er forderte, die Toten des Zweiten Weltkriegs bei der Stimmgewichtung im Rat mitzuzählen. Ohne Krieg hätte das Land schließlich 66 Millionen statt 38,5 Millionen Einwohner. In jenen Jahren fühlte sich der damalige EU-Kommissar Günther Verheugen bemüßigt zu betonen, Polen eile zu Unrecht ein Ruf als Störenfried und Blockierer voraus. „Wir müssen Geduld haben“, sagte Verheugen. „Es dauert seine Zeit, bis ein großes Land seinen Platz in diesem schwierigen politischen Geflecht findet.“
Er behielt recht. Vor allem seit Donald Tusk 2007 die Regierung übernahm, ist Polen in Brüssel kooperativ aufgetreten. 2011 absolvierte Polen die Ratspräsidentschaft mit Bravour, vermittelte mitten in der Krise zwischen Euro- und Nicht-Euro-Ländern, brachte Regeln für eine bessere Überwachung der Wirtschaft auf den Weg. Polen profitierte dabei von der Tatsache, dass es qualifiziertes Personal auf das Brüsseler Parkett schicken konnte. Finanzminister Jacek Rostowski ist als Sohn polnischer Migranten in London geboren, wo er als Ökonom lehrte, ehe er als Berater der Regierung nach Warschau wechselte. Radoslaw Sikorski, von 2007 bis zum September dieses Jahres Außenminister, hat in Oxford studiert. Anders als Rumänien und Bulgarien fiel Polen weder als Hort der Korruption auf, noch versank es in politischem Chaos. Stattdessen erhöhte Tusk die Steuern, kürzte die Sozialleistungen und verkleinerte den Verwaltungsapparat. So verschafft man sich Respekt in Brüssel – nicht aber in der Heimat.
Geringe Ausgaben für Forschung und Entwicklung
Dort hat Tusk-Nachfolgerin Ewa Kopacz derweil sein schwieriges Erbe angetreten. Sie gilt jedoch eher als Platzhalterin für den populäreren Tusk-Vertrauten und Ex-Außenminister Sikorski, den die Liberalen auf dem Posten des Parlamentspräsidenten geparkt haben – traditionell ein Warteraum für Politiker mit Ambitionen. In den Niederungen politischer Verantwortung soll der Protegé von Tusk nicht verheizt werden. Bei den Parlamentswahlen in einem knappen Jahr gilt es, den Nationalkonservativen Jaroslaw Kaczynski zu schlagen, der mit Anti-Euro-Populismus und Polemik gegen die Nachbarn immer noch Chancen hat. Bis dahin dürfte im Land indes der Stillstand regieren.
Dabei gäbe es eine Menge zu tun. Bislang ist Polen als Billig-Werkbank und Baumeister aufgefallen – Sektoren, die seit vielen Jahren überproportional zu Wachstum und Beschäftigung beitragen. Trotzdem ist die Arbeitslosigkeit bei einer Quote von fast zehn Prozent weit höher als im benachbarten Industrieland Tschechien, das viel stärker in die Wertschöpfungsketten deutscher Unternehmen integriert ist. Zudem liegt der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung nur bei 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Polens Universitäten spielen weder international eine Rolle, noch liefern sie den Unternehmen genug kluge Forscher zu.
Alles braucht seine Zeit. So sieht das jedenfalls Pawel Surowka, Finanzchef des Mischkonzerns Boryszew Group in Warschau, der als breit aufgestellter Zulieferer der Automobilindustrie Armaturen, Rohre, Frostschutzmittel und vieles mehr herstellt. „Wir Polen sind hoch motiviert und extrem flexibel“, sagt der Kaufmann, der in München aufwuchs – und Anfang 2013 als 34-jähriges Vorstandsmitglied bei dem Industriekonzern mit derzeit einer Viertelmilliarde Euro Umsatz einstieg. Wenn die vielen guten Polen, die im Ausland tätig sind, eines Tages seinem Beispiel folgen und in die Heimat zurückkehren, so Surowka, „dann mache ich mir um das Wachstum keine Sorgen“.
Entwicklung in Deutschland
Bislang machen Unternehmen wie Boryszew gute Geschäfte. Zwar meidet Surowska das abgewetzte Wort einer „verlängerten Werkbank“. Seine Gruppe aber stellt insbesondere beschäftigungsintensive Komponenten in der Heimat her, hat aber die Entwicklung in Deutschland und Italien angesiedelt. „Dem Preisdruck der großen Autohersteller können Zulieferer nur standhalten, wenn sie die Lohnkosten im Griff haben“, sagt der Finanzvorstand.
So geht es dem polnischen Außenhandel
Die Nase vorne im Außenhandel mit Polen hat Deutschland. 21 Prozent des gesamten polnischen Außenhandels macht der Import aus Deutschland aus, 2013 waren das knapp 30,7 Milliarde Euro. Die nächstgrößeren Ursprungsländer sind Russland (12 Prozent und 17,6 Milliarden Euro) und China (Neun Prozent und 13,5 Milliarden Euro).
Polen exportiert den Großteil seiner Produkte nach Deutschland. 25 Prozent der polnischen Exporte gehen nach Deutschland. 2013 brachte das gut 35,4 Milliarden Euro. An zweiter und dritter Stelle im Ranking der beliebten Exportländer Polens stehen Großbritannien (sechs Prozent und 9,2 Mrd. Euro) und Tschechien (sechs Prozent und 8,7 Mrd. Euro). Generell haben Ein- und Ausfuhr durch die Globalisierungsprozesse in den letzten Jahren deutlich zugenommen
Angesichts dieser Aufgabenteilung ist es keine Überraschung, was Surowka von der Euro-Einführung hält. „Ich hoffe, dass die Regierung hierbei aus wirtschaftspolitischen Gründen geduldig bleibt“, sagt er. In puncto Produktivität und Qualität müssten die Polen erst zum EU-Standard aufschließen, denn: „Wenn wir erst einmal auf dem Rasen sind, werden wir uns nicht einfach eine Auszeit nehmen.“ Gleichwohl gibt es in der liberal-konservativen Bürgerplattform und vor allem in Brüssel Stimmen, die die Polen gern im Euro-Raum sähen. Nicht nur, dass der Beitritt eines großen Landes wie Polen ein Gewinn für die Stabilität der Gemeinschaftswährung wäre – das Land selbst würde Anreize erhalten, die Wirtschaft auf globale Wettbewerbsfähigkeit zu trimmen. Abgesehen von Boryszew und einigen anderen Exporteuren wie Bushersteller Solaris oder Zugproduzent Pesa, sind die meisten Unternehmen davon noch weit entfernt.
Polen kann Forschung
Vor allem aber würde der Euro-Beitritt auch die Lohnkosten-Vorteile beschneiden. Und nicht nur das. Die Boryszew Group hatte in der Finanzkrise dank des starken polnischen Zloty genug Geld in der Kasse, um Mittelständler in Schieflage aufzukaufen – etwa einen Hersteller von Armaturenbrettern aus der Nähe von Stendal oder einen Formenbauer aus der Gegend um Bautzen. In Italien übernahm die Gruppe den Fiat-Stammzulieferer Maflow, der in Polen ein Zweitwerk betrieb. Boryszew schloss das Werk in Italien und machte den Standort Polen zum Hauptwerk – nur die Forschung blieb mit 150 Mitarbeitern im Süden.
Es ist nicht so, dass die Polen Forschung nicht können. Vom Gegenteil kann sich jeder in einer Stadt überzeugen, die man des „Brain Drains“ verdächtigen würde: Rzeszow, ein schmuckes Städtchen im entlegenen Südosten nahe der Grenze zur Ukraine, ist in jüngster Zeit zur Boomtown der Luft- und Raumfahrtindustrie geworden. Im „Aviation Valley“, wie sie ein über die Stadt verteiltes Gewerbegebiet promoten, siedeln sich ausländische Investoren an. Darunter ist auch Münchens Triebwerksbauer MTU oder neuerdings der südenglische Mittelständler McBraida, wo die junge polnische Kauffrau Malgorzata Poczatek die Chefin ist. „In der Krise ist Polens Wirtschaft nicht eingebrochen“, sagt sie, das sei ein Argument gewesen für die Wahl des Standorts, der das Werk in Bristol ergänzt. Wichtiger noch sei das geballte Wissen der Luft- und Raumfahrttechniker, die die Universitäten hier ausbilden – und zwar besser als sonstwo in Polen.
Entwicklung zu weltweiter Wettbewerbsfähigkeit
Die Halle ist halb leer und klinisch rein. Nur an wenigen Drehbänken stehen Arbeiter und fräsen Teile aus Titan. „Wir lernen noch“, sagt Poczatek, „aber das tun wir sehr schnell.“ Alle Komponenten sende sie im Moment zur Qualitätsprüfung nach Großbritannien, ehe sie zum Kunden kommen. Ab kommendem Jahr werde Rzeszow erstmals ohne Umweg die Berliner Triebwerkefabrik von Rolls-Royce beliefern. Die rasche Auffassungsgabe der Facharbeiter in dieser Gegend macht’s möglich, sagt die Betriebswirtin. „Meist glauben die Absolventen polnischer Hochschulen Wunder, was sie alles können“, so Poczatek, „jene aus Rzeszow haben wirklich Ahnung.“
Die beliebtesten Länder der Welt
Jahr für Jahr bescheinigen Studien den Schweden, eines der glücklichsten Völker der Welt zu sein. Das wird auch international so gesehen. Das nordische Land gehört laut GfK-Studie zu den beliebtesten und angesehensten Staaten der Welt.
Sehnsuchtsort am Ende der Welt: Australien gilt als naturverbunden, sozial und lebenswert.
Die Eidgenossen haben mit ihrem umstrittenen Votum gegen „Massenzuwanderung“ für Argwohn bei den europäischen Nachbarn gesorgt. Nachhaltig gelitten hat der Ruf der Schweiz aber nicht.
Italien überzeugt mit Kultur, Küche und Lebensfreude. Wie im Vorjahr landet das Land auf Rang 7.
Japan ist aufgrund der Geschichte in Asien nicht überall beliebt. Aktuell belastet der Streit um unbewohnte Inseln im Südchinesischen Meer das Verhältnis zu China. Außerhalb Asiens aber ist Japans Image gut. Wie im Vorjahr liegt das Land in der GfK-Studie auf Rang 6.
Im Schatten der übermächtigen USA wird Kanada oft übersehen. Dabei bietet das Land beste Lebensbedingungen: Es gibt viel Natur und Erholungsgebiete, die Menschen sind aufgeschlossen und die Politik umsichtig. Kein Wunder, dass der Ruf des Landes gut ist.
Frankreich ist durch die Wirtschaftskrise mit sich selbst beschäftigt. Doch dem guten Ruf tut weder die konjunkturelle Flaute noch das Erstarken des rechtspopulistischen Front National einen Abbruch: Wie 2013 landet die „grande nation“ auf Rang 4.
Wie im Vorjahr auch kommt Großbritannien auf Rang drei. Es profitiert vor allem von seinen weltbekannten Bildungseinrichtungen: die Universitäten von Oxford und Cambridge sind weltweit ein Begriff.
Einen Platz nach unten geht es für die USA. Bisher Spitzenreiter, hat die Supermacht vor allem aufgrund ihrer Zurückhaltung in den internationalen Konflikten an Renommee verloren.
Vom zweiten auf den ersten Rang verbessert hat sich Deutschland. Die Bundesrepublik überzeugte international mit seinen sportlichen Erfolgen, der stabilen Politik und der breit aufgestellten Wirtschaft.
Rzeszow macht im Kleinen vor, was Polen insgesamt schaffen muss: Das Land als Standort für Forschung und Entwicklung zu profilieren – nicht nur für ausländische Investoren, sondern auch als Biotop, in dem sich lokale Unternehmen hin zu weltweiter Wettbewerbsfähigkeit entwickeln können. Im Innovationsindex der EU-Kommission schneiden nur Bulgarien, Rumänien und Lettland schlechter als Polen ab. „Niedrige Ausgaben für
Forschung und Entwicklung fallen zusammen mit geringen Aktivitäten in diesem Bereich von Unternehmen und einem Geschäftsumfeld, das Innovationen nicht anregt“, kritisierte die EU-Kommission im Sommer in ihrer jährlichen Überprüfung der polnischen Wirtschaft. „Die Innovationsfähigkeit polnischer Unternehmen und die Beziehungen zwischen der Wissenschaft und der Industrie zu stärken sowie gezielte Instrumente zu schaffen, die sich auf den ganzen Innovationszyklus beziehen, bleiben eine Herausforderung.“
Ideen aus dem Ausland
Am Geld scheitert das nicht. In der laufenden Haushaltsplanung bleibt Polen der größte Empfänger von Strukturmitteln in der EU. Bis zum Jahr 2020 sind 86 Milliarden Euro an Mitteln für Polen eingeplant. Aus Brüssel kommt die Botschaft, dass Investitionen künftig weniger in die Infrastruktur, sondern viel stärker in die Innovationskraft des Landes gelenkt werden. Polens EU-Kommissarin für Industrie und Binnenmarkt, Elzbieta Bienkowska, die zuvor in Warschau als Ministerin unter Tusk für Regionalentwicklung verantwortlich war, spielt den Ball aber auch an die Wirtschaft ab: „Unsere Unternehmen geben kein Geld für Innovationen aus. Sie kaufen lieber Ideen aus dem Ausland.“
Vom Niveau deutscher Wettbewerber weit entfernt
Einer, der das ändern will, ist Chemiker Jaroslaw Rogoza. Seit fünf Jahren baut er für den polnischen Chemiekonzern Synthos in Oswiecim die Forschungs- und Entwicklungsabteilung auf – einen Bereich, den es bis dahin nicht gegeben hatte. „Im Kern haben sie damals mit alten Technologien dieselben Produkte wie in den Jahrzehnten zuvor hergestellt“, Klebstoffe und Reifen vor allem. Es habe ewig gedauert, um Innovationen einzuführen und die Fertigung effizienter zu gestalten. Wer heute zu Rogoza will, muss vorbei an den Relikten der alten Zeit: zerfallene graue Fabrikhallen, verbunden mit kaum isolierten und meist rostigen Rohren, drei Kilometer hinein ins Innere des größten polnischen Chemiekonzerns. Dort steht das Forschungs- und Entwicklungszentrum auf zwei Etagen, in dem Rogoza heute immerhin 45 Mitarbeiter beschäftigt.
Synthos ist eines der wenigen Unternehmen in Polen, die im großen Stil in Forschung und Entwicklung investieren. Vom Niveau deutscher Wettbewerber wie Henkel oder Lanxess, gibt Rogoza offen zu, sei man hier noch weit entfernt – aber auf einem guten Weg. Schritt für Schritt habe er die Zahl der Patente gesteigert, die Entwicklungszeit beschleunigt. Heute forscht sein Team an Klebstoff, der Ikea-Möbel zusammenhält – oder an der Konsistenz von Reifenprofilen.
Nur die halbe Miete
Modern wirkt das Forschungszentrum des Mittvierzigers – aber das ist nur die halbe Miete für ihn. „Staatliche Initiativen sind wichtig, wenn Polen innovativer werden will“, sagt der Chemiker, der lange Zeit beim britischen Pharmahersteller Glaxosmithkline tätig war. Hierfür brauche es eine Hochschulreform, denn es hapere an der Kommerzialisierung von universitären Erfindungen. „An den Universitäten ordnen sie die Prioritäten falsch“, sagt er. Es gehe erst um die Lehre, dann ums Publizieren, und erst an dritter Stelle stehe die Forschung. „Wir picken uns von den Unis nur die Kreativsten heraus, die Praxis müssen sie bei uns lernen“, sagt der Forscher.
Das Bildungswesen, so viel steht für viele Unternehmer in Polen fest, muss der Staat fundamental verbessern. EU-Fördermittel, die bisher eher in den Straßenbau flossen, könnten dabei helfen. Sicher ist, dass die Reformer nach Tusk dickere Bretter bohren müssen. Denn nur mit mehr Innovation schafft Polen den Sprung vom Niedrigkostenland zu einer Technologie-Ökonomie, die auch die dringend benötigten hoch qualifizierten Jobs schafft.