Der Weg dorthin war weit. In den ersten Jahren nach dem EU-Beitritt strapazierten polnische Politiker gern die Nerven ihrer Gesprächspartner in Brüssel. Kaum vergessen sind absurde Episoden des populistischen Ex-Premiers Jaroslaw Kaczynski, der bei Verhandlungen zum Vertrag von Lissabon die Deutschen provozierte: Er forderte, die Toten des Zweiten Weltkriegs bei der Stimmgewichtung im Rat mitzuzählen. Ohne Krieg hätte das Land schließlich 66 Millionen statt 38,5 Millionen Einwohner. In jenen Jahren fühlte sich der damalige EU-Kommissar Günther Verheugen bemüßigt zu betonen, Polen eile zu Unrecht ein Ruf als Störenfried und Blockierer voraus. „Wir müssen Geduld haben“, sagte Verheugen. „Es dauert seine Zeit, bis ein großes Land seinen Platz in diesem schwierigen politischen Geflecht findet.“
Er behielt recht. Vor allem seit Donald Tusk 2007 die Regierung übernahm, ist Polen in Brüssel kooperativ aufgetreten. 2011 absolvierte Polen die Ratspräsidentschaft mit Bravour, vermittelte mitten in der Krise zwischen Euro- und Nicht-Euro-Ländern, brachte Regeln für eine bessere Überwachung der Wirtschaft auf den Weg. Polen profitierte dabei von der Tatsache, dass es qualifiziertes Personal auf das Brüsseler Parkett schicken konnte. Finanzminister Jacek Rostowski ist als Sohn polnischer Migranten in London geboren, wo er als Ökonom lehrte, ehe er als Berater der Regierung nach Warschau wechselte. Radoslaw Sikorski, von 2007 bis zum September dieses Jahres Außenminister, hat in Oxford studiert. Anders als Rumänien und Bulgarien fiel Polen weder als Hort der Korruption auf, noch versank es in politischem Chaos. Stattdessen erhöhte Tusk die Steuern, kürzte die Sozialleistungen und verkleinerte den Verwaltungsapparat. So verschafft man sich Respekt in Brüssel – nicht aber in der Heimat.
Geringe Ausgaben für Forschung und Entwicklung
Dort hat Tusk-Nachfolgerin Ewa Kopacz derweil sein schwieriges Erbe angetreten. Sie gilt jedoch eher als Platzhalterin für den populäreren Tusk-Vertrauten und Ex-Außenminister Sikorski, den die Liberalen auf dem Posten des Parlamentspräsidenten geparkt haben – traditionell ein Warteraum für Politiker mit Ambitionen. In den Niederungen politischer Verantwortung soll der Protegé von Tusk nicht verheizt werden. Bei den Parlamentswahlen in einem knappen Jahr gilt es, den Nationalkonservativen Jaroslaw Kaczynski zu schlagen, der mit Anti-Euro-Populismus und Polemik gegen die Nachbarn immer noch Chancen hat. Bis dahin dürfte im Land indes der Stillstand regieren.
Dabei gäbe es eine Menge zu tun. Bislang ist Polen als Billig-Werkbank und Baumeister aufgefallen – Sektoren, die seit vielen Jahren überproportional zu Wachstum und Beschäftigung beitragen. Trotzdem ist die Arbeitslosigkeit bei einer Quote von fast zehn Prozent weit höher als im benachbarten Industrieland Tschechien, das viel stärker in die Wertschöpfungsketten deutscher Unternehmen integriert ist. Zudem liegt der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung nur bei 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Polens Universitäten spielen weder international eine Rolle, noch liefern sie den Unternehmen genug kluge Forscher zu.
Alles braucht seine Zeit. So sieht das jedenfalls Pawel Surowka, Finanzchef des Mischkonzerns Boryszew Group in Warschau, der als breit aufgestellter Zulieferer der Automobilindustrie Armaturen, Rohre, Frostschutzmittel und vieles mehr herstellt. „Wir Polen sind hoch motiviert und extrem flexibel“, sagt der Kaufmann, der in München aufwuchs – und Anfang 2013 als 34-jähriges Vorstandsmitglied bei dem Industriekonzern mit derzeit einer Viertelmilliarde Euro Umsatz einstieg. Wenn die vielen guten Polen, die im Ausland tätig sind, eines Tages seinem Beispiel folgen und in die Heimat zurückkehren, so Surowka, „dann mache ich mir um das Wachstum keine Sorgen“.