Osteuropa Rumänien wurde zu früh in die EU gelassen

Politische Wirren und Reformstau: Fünf Jahre nach dem EU-Beitritt versinkt das Karpatenland im Chaos. Das verstärkt auch die Wirtschaftskrise.

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Traian Basescu Quelle: REUTERS

Schwer hängt die Hitze über dem Innenhof des Jazzlokals Club 22 in der Innenstadt von Bukarest. Die Menschen stehen dicht an dicht; die wenigen Kastanien spenden kaum Schatten. Juristen, Künstler und Blogger sind gekommen, auch Schriftsteller und Vertreter von Bürgerinitiativen. Manche sitzen auf Klapp-stühlen und trinken Limonade oder Bier. Andere stehen direkt vor dem improvisierten Podium am Ende des Hofs.

Traian Basescu trägt ein blaues Poloshirt, eine helle Freizeithose und weiße Lederschuhe. Ein leichtes Lächeln macht sich auf dem Gesicht des derzeit suspendierten rumänischen Präsidenten breit, als er unter Applaus die kleine Bühne erklimmt. Dies sei ein historischer Ort, erklärt Basescu. „Nach dem Ende des Ceausescu-Regimes wurde hier Rumäniens Bürgergesellschaft geboren.“ Auch wenn ihm die Strapazen der vergangenen Wochen ins Gesicht geschrieben stehen: Basescu, dessen Amtsenthebung per Bürgerentscheid unlängst an mangelnder Beteiligung gescheitert ist und der sein Amt dennoch derzeit nicht ausüben darf, genießt den Auftritt vor seinen Anhängern.

Politisches Chaos hinterlässt Spuren in der Wirtschaft

Ana-Otilia Nutu steht ganz vorne an der Bühne. „Es ist ein Drama, dass in diesem Land der Rechtsstaat vor die Hunde geht“, empört sich die junge Frau. Sie hat mitgeholfen, Public Policy zu gründen, ein Bündnis von Bürgern, das sich unter anderem für gute Regierungsführung stark macht. Einiges sei in Rumänien in den jüngsten Jahren erreicht worden, findet Nutu. „Basescu hat dafür gesorgt, dass korrupte Bürgermeister im Gefängnis landen.“ Durch die politischen Wirren um die Amtsenthebung Basescus sieht die Rumänin Erfolge wie diese in Gefahr.

Auch in der Wirtschaft hinterlässt das politische Chaos Spuren. Zwar hat sich der Kurs der rumänischen Währung seit dem Referendum Ende Juli leicht erholt. Doch hat der Lei seit Beginn des Machtkampfs im Juni immer noch rund sieben Prozent im Vergleich zum Euro eingebüßt. Das verteuert die Importe und treibt die Inflation.

National oder auf EU-Ebene entscheiden?
Die deutsche und die europäische Flagge Quelle: dpa
Rentner Quelle: dpa
Die Familie einer Sozialhilfeempfängerin Quelle: dpa
Eine Steuererklärung Quelle: dpa
Die Schulden-Uhr Quelle: dpa
Ein Jobcenter in Madrid Quelle: dpa
Eine Migrantin in einem Deutsch-Kurs Quelle: dpa

Die Analysten bei Raiffeisen Research in Wien rechnen für 2012 mit einem halben Prozent Wachstum. Für ein Schwellenland mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von rund 7000 Euro ist das viel zu wenig. Bis vor vier Jahren wuchs Rumäniens Wirtschaft noch mit Raten zwischen acht und neun Prozent, Investoren aus dem Ausland standen Schlange. Sicher, auch an Rumänien geht die Euro-Krise nicht spurlos vorbei. Nach einem Plus von 20 Prozent im vergangenen Jahr stagniert der Export inzwischen. Investierten Unternehmen aus dem Ausland 2008 noch fast zehn Milliarden Euro in Rumänien, waren es im vergangenen Jahr nur noch 1,9 Milliarden Euro. In den ersten fünf Monaten 2012 flossen 45 Prozent weniger Direktinvestitionen nach Rumänien als im Vorjahreszeitraum.

Derzeit prüfen Vertreter von EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank, ob Rumänien die Auflagen für eine Kreditlinie von fünf Milliarden Euro einhält. Vorsorglich handeln sie auch schon die Konditionen für eine weitere Hilfe aus. IWF-Delegationsleiter Erik de Vrijer macht deutlich, wie sehr ihn das politische Umfeld befremdet: „Ehrlich gesagt sind wir ein wenig besorgt wegen der Auswirkungen, die die aktuelle politische Situation auf die Wirtschaft hat.“

Bereits Mitte Juli hatte die EU-Kommission der Regierung Ponta zu verstehen gegeben, dass die Eingriffe in die Justiz der Wirtschaft schweren Schaden zufügen. „Ein gut funktionierendes, unabhängiges Justizsystem ist für das gegenseitige Vertrauen innerhalb der Europäischen Union und um das Vertrauen der Bürger und Investoren zu gewinnen unabdingbar“, hieß es in einem kritischen Fortschrittsbericht zu Justiz und Demokratie. Mehr als fünf Jahre nach dem EU-Beitritt Rumäniens wächst in Brüssel die Einsicht, dass das Land zu früh in die Gemeinschaft gelassen wurde.

Korruption und unpopuläre Sparmaßnahmen

Victor Ponta Quelle: REUTERS

Vor allem bei der Bekämpfung der Korruption gibt es noch zu tun. In der Rangliste von Transparency International liegt Rumänien auf Platz 75. Im Kleinen, bei der Erteilung von Reisepässen oder Führerscheinen, gibt es zwar mittlerweile weniger Bestechung und Mauscheleien. Im Großen aber, etwa bei der Vergabe von Bauprojekten, wird schlimmer geschmiert als je zuvor. Hier drehen Rumäniens Oligarchen, die sich mehrheitlich hinter Ministerpräsident Ponta versammeln, das große Rad.

Beobachter in Bukarest sehen es deshalb nicht als Zufall an, dass der Machtkampf zwischen Basescu und Victor Ponta, dem europäische Diplomaten in der rumänischen Hauptstadt einen gewissen Killerinstinkt bescheinigen, just in diesen Wochen ausgebrochen ist. „Demnächst stehen die Korruptionsurteile gegen eine Reihe von Parlamentariern der regierenden sozialliberalen Koalition an“, sagt Public-Policy-Gründerin Nutu.

Den Rumänen sind die Missstände bewusst. 93 Prozent der Bürger halten nach einer Umfrage der EU-Kommission Korruption für ein wichtiges Problem, und nur knapp weniger – 91 Prozent – stufen auch die Mängel im Rechtssystem als solches ein.

Diagramm: Steiler Absturz Quelle: Rumänische Nationalbank

Nachholbedarf hat das Land auch beim Urheberrechtsschutz. Unternehmen aus forschungsintensiven Industrien aus Westeuropa halten sich mit Investitionen zurück, denn Rumäniens Gesetze bieten keinen funktionierenden Patentschutz. Außerdem klagen viele Unternehmen über die schlechte Infrastruktur außerhalb der Hauptstadt. Dazu kommt: „Seit zwei Monaten kümmern sich Politiker nicht um die Wirtschaft, sondern bekämpfen sich gegenseitig“, beobachtet die rumänische Europaabgeordnete und frühere Justizministerin Monica Macovei.

Uni-Abschluss auf Facharbeiter-Niveau

Brigitte Eble lebt seit fast 20 Jahren in Rumänien. Die Deutsche leitet für den Autozulieferer Bosch die Aktivitäten in dem Schwarzmeerland. Zwei neue Fabriken will das Unternehmen in den nächsten Jahren eröffnen. Insgesamt 114 Millionen Euro investiert Bosch und schafft damit 3000 neue Jobs zu den bereits bestehenden 1400 Arbeitsplätzen. Ansiedlungen wie diese subventioniert die rumänische Regierung. „Die Zusammenarbeit mit den Behörden funktioniert“, sagt Eble. Die in Rumänien gefertigten Produkte gehen in die globale Bosch-Lieferkette, im Land bleibt nichts – klassische Lohnveredlung. Ein rumänischer Arbeiter verdient im Schnitt 350 Euro.

Schwierig ist es für Eble allerdings, qualifizierten Nachwuchs für die Fabriken in Rumänien zu finden. Es fehle eine Art duale Ausbildung, klagt die Deutsche. Nach der Wende vor mehr als 20 Jahren hatte die Regierung vor allem das Hochschulwesen ausgebaut und dabei die praktische Ausbildung vernachlässigt. Rumäniens Universitätsabsolventen haben die Qualifikation eines deutschen Facharbeiters. Bosch muss die jungen Leute wegen der Theorielastigkeit trotzdem erst anlernen. „Mehr für die praktische Ausbildung zu sorgen wird hoffentlich auch Ziel der neuen Regierung sein“, sagt Eble.

Renten gekürzt

Zu der schlechten Stimmung im Land haben aber auch die von Basescu unterstützten und vom IWF zu Recht geforderten Reformen beigetragen. Um die Staatsschuld zu reduzieren, entließ die Regierung unter dem früheren Ministerpräsidenten Emil Boc 200 000 Beamte und kürzte die Gehälter der verbleibenden Staatsdiener um 20 Prozent. Die Mehrwertsteuer stieg von 19 auf 24 Prozent, die Renten wurden gekürzt. Ergebnis: 2008 verzeichnete Rumänien noch ein Budgetdefizit von 11,6 Prozent. Ein Jahr später betrug die Lücke 4,3 Prozent.

„Libertate, libertate“, ertönt es vor dem Club 22. Etwa 30 Rentner, einige schwenken die rumänische Flagge, demonstrieren gegen Basescu. Nach der Rentenkürzung hätten sie kaum genug zum Leben, klagen sie. Drinnen auf dem Podium versucht Basescu die Politik zu erklären. „Natürlich waren die Sparmaßnahmen nicht populär“, sagt der Präsident im Wartestand, „aber sie waren nötig, um die Wirtschaftskrise zu überwinden.“ Vielleicht, räumt Basescu ein, hätte er die Einschnitte früher erklären müssen.

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