Otmar Issing „Die Notenbanken sind der Politik zu mächtig geworden“

Otmar Issing warnt vor einer Politisierung der Geldpolitik Quelle: imago images

Der langjährige Chefvolkswirt von Bundesbank und EZB, Otmar Issing, sieht eine Politisierung der Geldpolitik und warnt vor negativen Folgen für die Stabilität des Preisniveaus.

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Professor Issing, sehen Sie einen generellen Trend in der Welt, die Unabhängigkeit von Notenbanken einzuschränken?
In den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts erreichte die Unabhängigkeit der Notenbanken ihren Höhepunkt – die meisten Länder hatten ihrer Notenbank diesen Status eingeräumt. Inzwischen aber herrscht starker Gegenwind. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen.

Welche?
Ganz generell sind der Politik die Notenbanken zu mächtig geworden. Sie wurden mit immer neuen Kompetenzen ausgestattet und galten nach der Finanzmarktkrise geradezu als Retter der Welt. Das war insofern gerechtfertigt, als sie wesentlich dazu beigetragen haben, den Absturz der Wirtschaft in eine Depression wie in den Dreißigerjahren zu verhindern. Damit haben sich aber Erwartungen an die Steuerungskunst der Notenbanken aufgebaut, die sie auf Dauer nicht erfüllen können.

Und wie ist es mit der Europäischen Zentralbank? Ist auch deren Unabhängigkeit aktuell beeinträchtigt?
Rechtlich steht die Unabhängigkeit der EZB auf sicherem Fundament. Eine Änderung des Statuts setzt Einstimmigkeit der Mitgliedsländer voraus. Bedenken gegenüber der Unabhängigkeit der EZB sind vor allem deswegen aufgekommen, weil sie zunehmend Aufgaben übernommen hat, die eine Domäne der Politik sein müssen. Diese hat darin versagt, den Zusammenhalt der Eurozone zu garantieren – die EZB ist sozusagen als Retter eingesprungen. Diese Rolle aber ist schwer mit dem Status der Unabhängigkeit zu vereinbaren.

Wie bewerten Sie das Argument von Kritikern, die Notenbanken seien nicht demokratisch legitimiert und müssten – angesichts der Tragweite ihrer Entscheidungen – einer stärkeren politischen Kontrolle unterzogen werden?
Grundsätzlich ist der Status der Unabhängigkeit ein Fremdkörper in einer Demokratie. Wird die Geldpolitik jedoch von Regierung oder Parlament bestimmt, dann ist es nach aller Erfahrung nur eine Frage der Zeit, bis die Geldschöpfung zur Finanzierung staatlicher Ausgaben missbraucht wird und zu Inflation führt. Aus dieser Erkenntnis heraus haben Staaten ihrer Notenbank den Status der Unabhängigkeit verliehen. Diese muss sich dann folgerichtig auf das klare Ziel konzentrieren und sich darauf beschränken, das Geld stabil zu halten.

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