Otmar Issing Jeder in Europa muss sich selbst helfen

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Finanzhilfen als Totengräber politischer Integration

Gleiches gilt für so gut wie alle Vorschläge zur weiteren Vergemeinschaftung der Haftung für die Staatsschulden. Das trifft auch den Vorschlag eines Schuldentilgungsfonds durch den Sachverständigenrat, der bewundernswertes Vertrauen in die geforderte begleitende Konditionalität setzt. Eine Fortsetzung und Erweiterung der Finanzhilfen unter diesen Umständen würde sich nicht als Schrittmacher zur politischen Union, sondern könnte sich eher als Totengräber der Idee engerer politischer Integration erweisen. In dem Maße, in dem die EZB in diesen Prozess einbezogen ist, stehen auch deren Reputation und damit das Vertrauen in den Euro auf dem Spiel.

Die politische Union kommt, wenn überhaupt, erst nach vielen Jahren. Schon allein aus diesem Grunde taugt sie nicht als Mittel zur Bekämpfung der Krise der Währungsunion. Alle Finanzhilfen heute, welche die Errichtung der politischen Union voraussetzen und vorwegnehmen, sind in sich widersprüchlich und gefährlich, da sie hohe finanzielle Risiken für die bisher solideren Mitgliedsländer beinhalten. Dies würde nicht nur alle Bestrebungen in Richtung einer politischen Union unterminieren, sondern das Fundament eines solchen Prozesses zerstören, nämlich die Identifizierung der Bürger mit der europäischen Idee.

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Währungsunion hat an Glaubwürdigkeit verloren

Bleibt also nur die andere Option, der Kollaps der Währungsunion? Dieses Risiko kann inzwischen leider nicht mehr ignoriert werden. Es gibt aber eine Erfolg versprechende Alternative. Die Europäische Währungsunion ist auf Verträge und Verpflichtungen gegründet, die in verhängnisvoller Weise unzählige Male und von allen Ländern gebrochen wurden. (Man denke nur an die Verletzung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes durch Deutschland und Frankreich in den Jahren 2003/04.) Diese zur Gewohnheit gewordene, ungeahndete Serie von Rechtsbrüchen hat einen unermesslichen Verlust an Glaubwürdigkeit des Projektes gemeinsame Währung zur Folge. Kann man das verlorene Vertrauen wiederherstellen, und wenn ja, wie?

Eine Währungsunion ohne politische Union kann nicht ohne das No bail-out- Prinzip, das zu den Fundamenten der Europäischen Währungsunion zählt(e), funktionieren und bestehen. Es muss das Prinzip gelten, dass jedes Land für die Fehler seiner eigenen Politik haftet. Finanzielle Hilfe der Gemeinschaft kann es nur ausnahmsweise geben, nur auf der Basis strikter Konditionalität und zu Zinssätzen, die den Reformwillen in den Krisenländern nicht untergraben. Unter solchen Bedingungen kann eine Währungsunion auch ohne politische Union überleben, jedenfalls für die absehbare Zukunft.

Aber, nach so vielen desillusionierenden Erfahrungen, ist es nicht naiv, zu erwarten, dass ein solches Regime glaubhaft etabliert werden kann? Muss diese Frage nicht bejaht werden? Wer aber glaubt, das Vertrauen in Verträge und Verpflichtungen könne nicht wiederhergestellt werden, der muss sich fragen lassen: Wie glaubwürdig sind dann alle sehr viel ambitionierteren Pläne und Versprechungen in Richtung einer politischen Union? Es hieße, die Naivität auf eine abenteuerliche Spitze zu treiben, nicht nur die Zukunft der Währungsunion, sondern das historische Vorhaben »Europa« unter solchen Annahmen auf derart unsicherem Boden errichten zu wollen.

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