
Der Grexit ist abgewendet. Vergangene Woche wurde in einer sechzehnstündigen Nachtsitzung ein neues Rettungspaket für Griechenland geschnürt. Unsere Regierungen feiern dies als Erfolg. Doch ist es dies wirklich? Wem hilft das Rettungspaket wirklich und sind wir und Griechenland damit überhaupt einen Schritt weiter, die Krise wirklich zu lösen?
Die traurige Wahrheit: Es hat sich rein gar nichts geändert. Ich bin nicht der einzige, der an den jetzigen Versprechen Tsipras' und des griechischen Parlaments erhebliche Zweifel hegt.
Irgendwie war der desaströse Griechenland-Deal aber vorhersehbar. Ich habe in vielen Interviews vorher gesagt, was passieren wird: Merkel und der Rest der EU werden sofort einknicken, wenn Griechenland auch nur minimale Zugeständnisse macht, die sich zu Hause verkaufen lassen. Genau das ist geschehen.
An Griechenland hängt mehr als nur der Euro
Seit Wochen betonen die Euro-Partner, dass die Ansteckungsgefahr nach einem Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone eher gering wäre. Zum einen wird darauf verwiesen, dass sich heute fast alle griechischen Schulden bis auf 40 bis 50 Milliarden Euro in der öffentlichen Hand befinden - eine Kettenreaktion kollabierender Banken also nicht zu befürchten sei. Zum anderen hätten sich Gläubiger seit langem auf mögliche Probleme eingestellt und ihre griechischen Geschäfte reduziert.
Alles falsch, meint Schulz und verweist darauf, dass die Risikoaufschläge etwa für spanische Staatsanleihen in den vergangenen Wochen erheblich gestiegen seien. Kommt ein Staatsbankrott, würde der möglicherweise einen Schuldenschnitt nach sich ziehen - mit erheblichen Belastungen für die klammen Haushalte etwa der südlichen EU-Staaten, aber auch Frankreichs.
Außerdem könnte das Vertrauen in den Euro als Währung weltweit Schaden nehmen, wenn eines der 19 Mitglieder ausbreche, heißt es in der Bundesregierung. Dabei spiele keine große Rolle, dass Griechenland weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Währungszone beisteuere. Denn die angebliche Unumkehrbarkeit der Euro-Einführung wäre widerlegt.
In Berlin fürchtet man aber auch, dass ein Kollaps Griechenlands den Befürwortern eines britischen Austritts aus der EU Auftrieb geben könnte. Europa droht also an seinen Rändern zu zerfasern. Der Grund ist einfach: Die EU wäre nach einem Ausstieg Athens wahrscheinlich in einem so desolaten Zustand und müsste so viel kurzatmige Rettungsaktionen für Griechenland starten, dass die Gemeinschaft auf britische Wähler kaum noch attraktiv wirken dürfte. Möglicherweise würden zudem mehr Griechen das eigene Land auch Richtung Großbritannien verlassen wollen. Die Briten schimpfen aber bereits jetzt über zu viele Migranten aus anderen EU-Ländern - dies ist einer der Kritikpunkte der EU-Gegner auf der Insel.
Griechenland ist nicht nur ein angeschlagener Euro-Staat, sondern auch ein schwieriger EU-Partner. Mit seiner Linksaußen- Rechtsaußen-Regierung betonte Ministerpräsident Alexis Tsipras politische Nähe zum Kreml und hat sich mehrfach mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen. In der EU gibt man sich zwar gelassen, dass Russland nicht als alternativer Geldgeber gegen die EU ausgespielt werden kann - dafür sind die nötigen Hilfssummen viel zu groß. Auch die Träume des Links-Politikers, dass Griechenland Verteilland für russisches Gas in der EU werden könnte, dürften sich angesichts des Vorgehens der EU-Kommission gegen den russischen Gasriesen Gazprom zerschlagen. Aber Putin hat nach Ansicht von EU-Diplomaten durchaus schon bewiesen, dass er Differenzen zwischen EU-Staaten ausnutzen kann. Bei der Verlängerung von EU-Sanktionen gegen Russland braucht es etwa auch die Zustimmung Griechenlands.
In Berlin sorgt man sich zunehmend, dass die gesamte Balkan-Region ohnehin sehr instabil werden kann. Immer noch gärt der Namensstreit zwischen Griechenland mit dem EU-Beitrittsaspiranten Mazedonien - in dem ein heftiger innenpolitischer Machtkampf tobt. Und Geheimdienste warnen, dass die radikalislamische Miliz Islamischer Staat (IS) in den vergangenen Monaten massiv versucht hat, in den moslemischen Bevölkerungen Bosnien-Herzegowinas, Albaniens oder Mazedoniens Fuß zu fassen. Ein zusammenbrechender Nachbarstaat Griechenland würde die Unruhe in der Region noch verstärken.
Kaum diskutiert worden ist die Rolle Griechenlands bei der Abwehr eines unkontrollierten Zuzugs von Flüchtlingen in die EU. In den vergangenen Jahren hat der bessere Schutz der griechisch-türkischen Grenze Flüchtlingen aus dem Nahen Osten die Einwanderung in die EU zumindest zum Teil erschwert. Die linke Syriza-Partei könnte im Falle eines Staatsbankrotts die Schleusen für afrikanische oder syrische Flüchtlinge aufmachen. Entsprechende Drohungen waren aus Athen bereits zu hören. Denn seit Jahresbeginn seien bereits 46.000 Flüchtlinge nach Griechenland gekommen, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit. 2014 waren es im selben Zeitraum nur 34.000 Personen. Die Vereinten Nationen warnen bereits vor einer Flüchtlingskatastrophe in Griechenland.
EU-Kommissar Günther Oettinger forderte die Brüsseler Behörde auch deshalb auf, einen "Plan B" zu erarbeiten. Dabei soll Hilfe für das Land für den Fall eines Bankrotts vorbereitet werden. Neben humanitärer Hilfe gehe es um die Frage, wie man eigentlich die Sicherheit in dem EU-Land noch gewährleisten will, wenn die Regierung den Polizisten keine Löhne mehr zahlen kann.
Eine Regierung, die in Verhandlungen jeglichen Respekt vor den Partnern vermissen ließ, deren Regierungschef die EU gar als „terroristisch“ bezeichnete, bekommt weitere 80 Milliarden Euro. Damit Griechenland nicht sofort pleite ist, überweist die EU eine Soforthilfe im Wert von sieben Milliarden Euro.
Welche Reformen kommen sollen
Was verhandelt wurde: Die Mehrwertsteuer soll reformiert werden, Steuern effizienter eingezogen und Steuervermeidung erschwert werden. Der Begriff Steuerbetrug soll weiter gefasst werden. Die Justiz soll reformiert werden. Es soll aus dem Verkauf von Staatseigentum ein 50-Milliarden-Tilgungsfonds geschaffen werden, von dem ein Teil wieder für Infrastrukturinvestitionen zur Verfügung steht. Nun hat das griechische Parlament zugestimmt. Ich halte dies alles mehr oder weniger für leere Versprechungen.
Zur Person
Max Otte, Jahrgang 1964, ist ein deutsch-amerikanischer Ökonom, der durch sein 2006 erschienenes Buch „Der Crash kommt“, in dem er die Finanzkrise vorhersagte, national wie international große Bekanntheit erlangt hat. Er ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Worms und war Professor für Unternehmensanalyse und -diagnose an der Universität Graz. Der Vertrag mit der Uni Graz ist inzwischen ausgelaufen ist, die Lehrtätigkeit in Worms ruht. Otte ist Leiter des 2003 von ihm gegründeten Instituts für Vermögensentwicklung (IFVE) sowie unabhängiger Fondsmanager. Zwei Investmentfonds für Privatanleger, die nach der Strategie von Max Otte seit 2008 und 2013 anlegen, basieren auf seinen Anlageentscheidungen. Otte ist Herausgeber des Börsenbriefs "Der Privatinvestor", hat zahlreiche Bücher zu verschiedensten Wirtschafts- und Anlagethemen veröffentlicht und ist gern gesehener Gast auf Vortragsveranstaltungen, in Talkshows und in Expertengremien.
Patrick Bernau von der FAZ fasst es zusammen: „Ein 25-tägiger Showdown. Sieben Finanzministertreffen. Drei Gipfel. Eine 16-stündige Nachtsitzung. Und jetzt? Ist Europa ganz genauso weit wie vorher. Wer mit dem bisherigen Zustand zufrieden war, darf sich ruhig zurücklehnen. Alle anderen ärgern sich.“
Weder die Soforthilfe noch die folgenden Milliarden werden der griechischen Mittelschicht helfen. Im Gegenteil: Mit den jetzt zugesicherten „Reformen“ schont Tsipras weiter die Oberschicht seines Landes und die Reeder und bedient sich bei der Mittelschicht, die sich nicht wehren kann. Konkrete Reformen, die die Griechen nicht belasten würden und absurde Zustände abschaffen würden, stehen nicht im Papier. Kioske dürfen zum Beispiel kein Brot verkaufen. Freizeitparks dürfen nur in Städten mit mehr als 40.000 Einwohnern eröffnet werden. Zwei Beispiele einer ellenlangen Liste vieler Regelungen eines nicht funktionierenden Staates und einer absurden Klientelpolitik, die Tsipras hätte angehen können. Stattdessen beschimpft er Deutschland und die EU.





Antonia Schäfer von Focus Online kommentiert: „Die grundlegenden Probleme des Landes bleiben unangetastet – und das wird desaströse Folgen haben. Mit dem neuen Abkommen hangelt sich Griechenland erneut von Zahlung zu Zahlung, ohne große Chancen, die Krise hinter sich zu lassen oder seine Schulden je begleichen zu können. Die Konsequenzen sind klar: Der nächste Verhandlungsmarathon in Brüssel kommt bestimmt.“
Rolle Deutschlands
Und Deutschland macht in diesem absurden Spiel weiter mit – und verkauft dies auch noch den eigenen Bürgern als Erfolg – wohl auch, weil Griechenland für den Wirtschaftskrieg der EU gegen Russland gebraucht wird. Obama jedenfalls hatte die deutsche Bundeskanzlerin diesbezüglich mehrfach ins Gebet genommen.
Dolf Sternberger prägte einst den Begriff des „Verfassungspatriotismus“, um das neue Staatsverständnis der Bundesrepublik Deutschland zu beschreiben, dass eben nicht mehr historisch geprägt sein sollte. Aber letztlich sind alle Staaten historische Gebilde. Heute wird die Verfassung nach Belieben gebrochen – wenn es im Interesse der internationalen Staatengemeinschaft ist, wohlgemerkt, nie im Interesse Deutschlands. Was der Verfassungspatriotismus wert war, zeigte sich schon Anfang der neunziger Jahre, als die Bundeswehr entgegen dem Geist der Verfassung ihre ersten Auslandseinsätze unternahm.
Die deutsche Regierung ist dauerhaft handlungsunfähig. Wenn man sie abschaffen würde, hätte das keinen großen Einfluss auf den Verlauf der Dinge.
Max Otte ist Herausgeber des Börsenbriefs "Der Privatinvestor" und berät den Max Otte Vermögensbildungsfonds für Privatanleger (WKN A1J3AM)), der nach seiner Strategie und Methode der Königsanalyse investiert.