Als Maidan-Demonstranten die korrupte Elite um Präsident Viktor Janukowitsch aus dem Amt gejagt hatten, waren plötzlich Integrität und Transparenz gefragt in der Ukraine. Petro Poroschenko war einer der ersten, der das verstand. Und dass er im Mai 2014 die Präsidentschaftswahl klar gewann, lag nicht zuletzt an einem noch klareren Versprechen: Im Falle eines Wahlsiegs, sagte er im Januar jenes Jahres der „Deutschen Welle“, werde er seine Schokoladen-Fabrik Roshen verkaufen.
Versprochen, gebrochen? Genau dieser Eindruck entsteht, wenn man die „Panama Papers“ oberflächlich liest, die der „Süddeutschen Zeitung“ zugesteckt wurden. Just im August, als ukrainische Truppen in der Schlacht im Osten der Ukraine schwere Niederlagen gegen russische Spezialeinheiten und die pro-russischen Separatisten erlitten, wurde im Steuerhafen der britischen Jungferninseln die Briefkastenfirma Prime Asset Partners eröffnet – mit Petro Poroschenko als Benefiziar in letzter Instanz.
Belügt der Präsident sein Volk? Will er Steuern sparen, während seine Soldaten auf dem Schlachtfeld sterben? Geht es gar um Geldwäsche? In Kiew, wo der Frust ob der Reformresistenz der politischen Elite ohnehin kurz vor dem Siedepunkt steht, treibt der Skandal den Keil noch tiefer zwischen Volk und Machthaber.
Aber der Skandal ist kein Skandal, noch nicht. Nur muss man die Vorgeschichte kennen: Nach seiner Wahl zum Präsidenten übertrug Poroschenko sein drei Milliarden Dollar schweres Schoko-Imperium an einen so genannten „Blind Trust“: Banker des Hauses Rothschild verwalten Roshen seither treuhänderisch nach britischem Recht, offenbar wurden Teile des Konzern zwecks Weiterverkaufs an Prime Asset Partners gereicht.
Das müssen Sie zu den Panama Leaks wissen
Der "Süddeutschen Zeitung" sind nach eigenen Angaben umfassende Daten über Briefkastenfirmen zahlreicher Politiker zugespielt worden. Insgesamt gehe es um 11,5 Millionen Dokumente zu 214.000 Briefkastenfirmen, die von einer Kanzlei aus Panama gegründet worden seien. Die Dokumente würden ein detailliertes Bild darüber abgeben, wie diese Firma "Tag für Tag Sanktionsbrüche und Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Geldwäsche in Kauf nimmt". Es gebe Unterlagen über mutmaßliche Offshore-Firmen von zwölf aktuellen und früheren Staatschefs sowie Spuren zu Dutzenden weiteren Spitzenpolitikern, ihren Familien, engsten Beratern und Freunden. Zudem fänden sich fast 130 weitere Politiker aus aller Welt unter den Kunden der Kanzlei, darunter viele Minister. Zur Überblicksseite: www.panamapapers.de
Quelle: dpa/reuters
Die Unterlagen sollen E-Mails, Urkunden, Kontoauszüge, Passkopien und weitere Dokumente zu rund 214.000 Gesellschaften umfassen, vor allem in Panama und den Britischen Jungferninseln. Der Datensatz wurde der „Süddeutschen Zeitung“ von einer anonymen Quelle zugespielt. Die „Süddeutsche Zeitung“ teilte die Daten mit dem Internationalen Konsortium investigativer Journalisten (ICIJ) und Partnern auf der ganzen Welt. Etwa 370 Journalisten aus 78 Ländern haben im Zuge der Recherchen den Datenschatz aus rund 11,5 Millionen Dateien ausgewertet. Es handle sich um „ein gigantisches Leak in einer bislang nicht vorstellbaren Dimension von rund 2,6 Terabyte“.
Die Kanzlei Mossack Fonseca aus Panama bietet die Gründung und Verwaltung von Offshorefirmen an. Nach eigenen Angaben beschäftigt das Unternehmen über 500 Mitarbeiter auf der ganzen Welt. Die Kanzlei ist demnach in Belize, den Niederlanden, Costa Rica, Großbritannien, Malta, Hong Kong, Zypern, den Britischen Jungfern-Inseln, Bahamas, Panama, Anguilla, Seychellen, Samoa und den US-Bundesstaaten Nevada und Wyoming tätig.
Mossack Fonseca bietet zudem Rechtsberatung unter anderem in den Bereichen Finanzen, geistiges Eigentum und öffentliche Ausschreibungen an. Außerdem setzt die Kanzlei Treuhandfonds und private Stiftungen auf und verwaltet sie.
Gegründet wurde die Kanzlei 1977 von dem deutschstämmigen Rechtsanwalt Jürgen Mossack. 1986 tat er sich mit dem Panamaer Ramón Fonseca Mora zusammen. Der Anwalt, Schriftsteller und Politiker war bis vor kurzem Berater von Staatschef Juan Carlos Varela. Wegen Ermittlungen gegen Mossack Fonseca in Brasilien lässt er seine Beratertätigkeit derzeit ruhen.
Panama ist einer der wichtigsten Finanzplätze in Lateinamerika. Ein äußerst liberales Bankengesetz lockte zahlreiche Kreditinstitute nach Mittelamerika. Die Finanzkrise ging an Panama weitgehend vorbei und brachte dem Finanzplatz sogar zusätzliche Investitionen.
Nachdem sich die Schweiz zuletzt von ihrem Bankgeheimnis verabschiedet hatte, galt Panama vielen als neue Steueroase. Immer wieder gibt es Berichte über illegale Transaktionen. In den Achtzigerjahren war das Land das Bankenzentrum der kolumbianischen Drogenkartelle. Zuletzt bemühte sich Panama allerdings darum, dieses Image loswerden und sich als seriöser Finanzplatz zu positionieren.
So erließ die Regierung eine Reihe neuer Richtlinien für Banken, Versicherungen, Immobilienfirmen sowie Wertpapier- und Edelsteinbörsen. Im Februar strich der OECD-Arbeitskreis für Maßnahmen zur Geldwäschebekämpfung (Gafi) Panama von der grauen Liste, auf der Staaten geführt werden, die beim internationalen Austausch von Finanz- und Steuerinformationen noch hinterherhinken. Der Internationale Währungsfonds (IWF) lobt in seinem jüngsten Bericht die Stabilität des Bankensektors.
Doch Roshen ist in einer schwierigen Lage: Infolge des Konflikts zwischen Kiew und Moskau ist der wichtige russische Markt weggebrochen, die Kaufkraft am Binnenmarkt ist schwach, am EU-Markt ist die Marke nicht etabliert. Darum ließe sich das Unternehmen allenfalls weit unter Wert verkaufen. Und so war auch das Kaufangebot über eine Milliarde Dollar zu bewerten, das der Schweizer Nahrungsmittelriese Nestlé laut „Reuters“ abgegeben hatte.
Aus verständlichen Gründen stellten die Rothschild-Banker den Verkauf zurück. Statt mit einem Milliardenbetrag ausbezahlt zu werden, besteht Poroschenkos Vermögen von geschätzten 1,3 Milliarden Dollar also weiter zum großen Teil aus Buchwerten. Der Präsident ist formaler Eigentümer seiner Unternehmen, operativen Zugriff hat er nicht mehr. Und sicher ist er nicht mehr in jedes Detail der Verkaufsbemühungen eingeweiht.
Nur ein weiterer Tropfen in ein großes Fass Verdruss
Der Ukrainer selbst möchte sich nicht im Detail äußern. Auf seiner Facebook-Seite schreibt er eher trotzig: „Ich glaube, ich bin der erste Top-Offizielle der Ukraine, der seine Anteile und mögliche Interessenkonflikte sauber deklariert hat und ernsthaft Steuern zahlt.“ In der Tat gilt Roshen zumindest seit der Maidan-„Revolution“ als sauberer Steuerzahler. Und trotz Fremdverwaltung durch die Rothschild-Banker zahlen seine Unternehmen weiter in der Ukraine ihre Steuern.
Ungereimtheiten bleiben dennoch: Unter Juristen ist umstritten, ob für den formalen Transfer von Konzernteilen zum Nominalwert eine Steuer in der Ukraine hätte anfallen müssen. Und falls ja, bleibt die Frage, ob die Steuern gezahlt wurden. Fraglich ist auch, ob der Transfer in Einklang mit den Kapitalverkehrsvorschriften stand, die im August 2014 bereits zum Teil in Kraft waren.
Zudem belegen die Panama-Papiere nach Recherchen des österreichischen Magazins „Falter“ weitere Offshore-Briefkästen auf den Jungferninseln: Sie wurden offenbar über Poroschenkos Konto bei der Raiffeisen-Zentralbank in Wien mit Geld versorgt. Parallel floss von den Offshore-Konten Geld an Lieferanten, darunter ein deutscher Hersteller von Saatgut.
So sehen in der Ukraine wie in Russland Zahlungsschemata für Schmiergeldtransfer aus. Ob die Jungferninseln auch Roshen zur Begleichung „doppelter“ Rechnungen dienten, werden weitere Recherchen und Ermittlungen ergeben, in deren Verlauf wohl auch die Raiffeisen-Gruppe in Wien einige Fragen wird beantworten müssen.
Stand jetzt, steht Petro Poroschenko allerdings zu Unrecht am Pranger. In der Ukraine wird ihm das politisch wenig helfen. Denn der Vorfall ist nur ein weiterer Tropfen in ein großes Fass Verdruss, das die Ukrainer seit ihrer wackeren „Revolution der Würde“ auf den Schultern tragen.
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