Pandemie Worum die EU-Länder beim Impfpass streiten

Quelle: imago images

Ein einheitliches Impf-Zertifikat, das Hoffnung auf mehr Normalität im Alltag birgt, ist nicht in Sicht. Angela Merkel macht zwar Hoffnung auf den EU-Impfpass, aber die Mitgliedsstaaten sind sich noch lange nicht einig.

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Das Timing spricht für sich. In den USA unterzeichnete Präsident Joe Biden einen Tag nach seiner Amtseinführung eine Exekutivorder, nach der seine Beamten die Einführung eines Impfpasses prüfen sollen. Das Thema hat Priorität. In der EU wird ein einheitlicher Impfpass ebenfalls geprüft. Aber die Aussicht, dass EU-Bürger rechtzeitig zum Sommerurlaub auf ein einheitliches digitales Zertifikat zurückgreifen können, ist eher gering.

An diesem Donnerstag wollten die 27 Staats- und Regierungschefs bei ihrer Gipfel-Schalte das Thema debattieren. Am Ende sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel, sie gehe davon aus, dass der EU-Impfpass bis zum Sommer entwickelt werden kann. „Die politische Vorgabe ist, dass man das in den nächsten Monaten erreicht, ich habe ja von drei Monaten gesprochen“, sagte die CDU-Politikerin nach dem EU-Videogipfel. Das Zertifikat soll die Möglichkeit schaffen, Geimpften gegebenenfalls Vorteile zu gewähren. „Alle haben heute darauf hingewiesen, dass das zurzeit bei der geringen Durchimpfung der Bevölkerung gar nicht das Thema ist. Aber man muss sich ja vorbereiten“, betonte Merkel. Das heiße aber nicht, dass künftig nur reisen dürfe, wer einen Impfpass habe. „Darüber sind überhaupt noch keine politischen Entscheidungen getroffen.“

Auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sagte, es seien noch politische und wissenschaftliche Fragen offen. Die Entscheidung, was möglicherweise mit so einem Impfpass möglich sei, müsse jedes Land für sich treffen. Sie sagte, die technischen Vorarbeiten dauerten mindestens rund drei Monate. Die EU-Staaten müssten sich mit ihren nationalen Impfausweisen beeilen, wenn es bis zum Sommer klappen solle.

Auf Reiseerleichterungen für Geimpfte dringen Länder wie Griechenland, Zypern, Bulgarien und Österreich. Griechenland und Zypern haben schon jetzt Vereinbarungen mit Israel über die künftige Einreise von Geimpften geschlossen. Manche EU-Staaten wie Polen und Rumänien gewähren Geimpften bereits Vorteile, etwa bei der Einreise. Dabei ist die Absprache auf EU-Ebene noch lange nicht so weit.

Die 27 EU-Mitgliedsstaaten fallen bei der Debatte über den Impfpass in drei Gruppen. Da gibt es Länder wie Dänemark und Schweden, die an nationalen digitalen Impfpässen arbeiten. Dänemark will dazu schon sehr bald eine Lösung vorlegen, Schweden rechtzeitig bis zur Urlaubssaison im Sommer. Dann gibt es eine zweite Gruppe, die aus südlichen Mitgliedsstaaten wie Griechenland und Portugal besteht, die sich um ihre Tourismuseinnahmen sorgen. Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hat schon im Januar Druck gemacht. Reisebeschränkungen hatten im vergangenen Jahr die Wirtschaftsleistung seines Landes um vier Prozent schrumpfen lassen. Tourismusminister Haris Theocharis hat gerade mehr Geschwindigkeit angemahnt und die „Kurzsichtigkeit“ bestimmter Mitgliedsstaaten beklagt.

Gemeint hat er damit Länder wie Deutschland und Frankreich, die beim Thema Impfpass bremsen und in die dritte Gruppe fallen.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Beide Länder haben erst einen geringen Anteil ihrer Bevölkerung zwei Mal geimpft, in Frankreich liegt die Quote bei unter zwei Prozent. Geimpften ihre Freiheiten zurückzugeben, so lange ein großer Teil der Bevölkerung noch nicht einmal einen Impftermin erhalten hat, wird als politisch schwierig angesehen. Die größte Gruppe im Europäischen Parlament, die Christdemokraten, an deren Spitze der vom Deutschen Manfred Weber (CSU) steht, hat in einem Brief an Ratspräsident Charles Michel ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Impfpass erst dann als Freibrief für Reisen und andere Freizeitaktivitäten eingesetzt werden dürfe, wenn tatsächlich die gesamte Bevölkerung ein Impfangebot erhalten habe.



In den großen Ländern wie Deutschland und Frankreich stellt sich außerdem die Frage, wie schnell digitale Version des Impfpasses überhaupt umgesetzt werden könnte. „Die Frage, ob das operationalisiert werden kann, steht bei der Bundesregierung nicht im Fokus“, beobachtet der grüne Europaabgeordnete Rasmus Andresen. Die Bundesregierung befürchtet außerdem Datenschutzprobleme.

Andresens Fraktionskollegin Jutta Paulus weist darauf hin, dass sich die EU-Länder bisher noch nicht einmal auf abgestimmte Regeln bei Reisen für die Quarantäne einigen konnten und teilweise nicht einmal Tests gegenseitig anerkennen.

Und so ist es für die Mitgliedsstaaten eine bequeme Formel, grundsätzlich an einem Impfpass zu arbeiten, aber auf Probleme hinzuweisen. Diplomaten warnen etwa, dass zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht genug über die Impfungen bekannt sei. „Wir wissen noch nicht abschließend, ob Geimpfte nicht ansteckend sind“, sagt ein EU-Diplomat.

Mehrere Mitgliedsstaaten mahnen an, Erleichterungen bei der Einreise nicht von einem digitalen Dokument abhängig zu machen. „Welche Möglichkeiten sich aus dem Impfpass ergeben, muss zu einem späteren Zeitpunkt diskutiert werden“, sagt ein Diplomat.

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Eine schnelle Einigung erwartet trotz der Ankündigungen aber wohl weiterhin niemand in Brüssel. Bislang haben sich die 27 EU-Staaten nur darauf geeinigt, dass es einen gegenseitig anerkannten Impf-Nachweis geben soll. Angedacht sind eine Datenbank zur Registrierung der Impfungen und ein personalisierter QR-Code für Geimpfte. „Es wird noch weitere Zeit dauern, bis wir in den Mitgliedsstaaten zu einer gemeinsamen Position finden werden“, prognostiziert ein anderer Diplomat.

Unterdessen arbeitet der Dachverband der Fluglinien IATA an einem Pass, der Ende März bei Singapore Airlines großflächig getestet werden soll. Fluggäste können über die App eine Impfung oder ein negatives Impfergebnis vorweisen. Immerhin: Das Projekt wird in Brüssel aufmerksam verfolgt.

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Mit Material von dpa

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