Parlamentswahl: Das Italien-Drama und die wirtschaftlichen Folgen

Luigi Di Maio (r.), Spitzenkandidat der Fünf-Sterne-Bewegung, und Beppe Grillo, Gründer der Partei Quelle: dpa

Die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone hat sich ein bizarres Ergebnis zusammengewählt. Eine stabile Regierung scheint in weiter Ferne – und doch dürften die Märkte zunächst gelassen bleiben. Drei Lehren aus der Wahl für den Rest der Euro-Zone.

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Großes Drama, das können sie in Italien. Selbst am Wahltag. Auf Sizilien öffneten viele Wahllokale wegen eines Fehlers erst verspätet. In Rom stimmten 36 Wähler zwei Mal ab, weil einige Kandidaten falsch benannt waren. In Mailand tanzte plötzlich eine barbusige Frauenrechtlerin vor dem wählenden Silvio Berlusconi. Und ähnlich schillernd wie der Wahltag ist das Ergebnis: Zwar gibt es zwei klare Gewinner, eine Regierungsbildung aber ist nach den ersten Hochrechnungen unklarer denn je.

Das endgültige Ergebnis wird erst gegen Nachmittag feststehen, allerdings scheinen stabilen Hochrechnungen zufolge zwei Gewinner festzustehen: das Protestbündnis Cinque Stelle und die rechtsradikale Lega. Die Cinque Stelle legten von 25 auf mehr als 30 Prozent zu und sind stärkste Einzelpartei im neuen Abgeordnetenhaus und wohl auch im Senat. Die Lega legte auf um die 17 Prozent zu und katapultierte damit das Rechts-Wahlkampfbündnis aus Lega, den neonazistischen Fratelli d’Italia und der konservativen Forza Italia von Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi auf mehr als 35 Prozent.

Berlusconi, obwohl wegen einer Verurteilung selbst nicht wählbar, ist damit gleichermaßen Gewinner und Verlierer. Gewinner, weil seine Wahlkampf-Koalition offensichtlich den Nerv der Wähler traf. Verlierer, weil das Erstarken der Lega, die seine Forza Italia innerhalb des Wahl-Bündnisse wohl überholt, ihm die Wortführerschaft im eigenen Bündnis streitig macht. Unwahrscheinlich, dass Berlusconi seine Partei in eine Koalition unter Führung der Lega leitet.

Szenarien nach unklarem Wahlausgang

Damit aber ist eine Regierungsbildung offen. Die Cinque Stelle kündigten an, an ihnen führe keine Regierung vorbei. Der bisher regierende sozialdemokratische Partito Democratico, dessen Spitzenkandidaten Matteo Renzi und Regierungschef Paolo Gentiloni um die 20 Prozent einfuhren, kündigte den Gang in die Opposition an. Wenn gleichzeitig Bersluconi nicht die Führung der Rechtskoalition der Lega überlässt, steht Italien damit vor einem Patt – und ungewissen Wochen. Dennoch lassen sich bereits drei Lehren aus den Wahlen ziehen.

1. Der Umgang mit den Flüchtlingen entscheidet in Europa Wahlen

Wer in Italien vor der Wahl mit Wählern sprach, konnte die Realitätswerdung von Schizophrenie beobachten. Kaum ein Wähler des so genannten Mitte-Rechts-Blocks aus Forza Italia und den beiden rechts-radikalen Parteien Lega und Fratelli d’Italia glaubte wirklich, dass auch nur eine der absurden politischen Versprechungen – von 1000 Euro Bürgergeld für alle bis zur Abschaffung nahezu sämtlicher Steuern – nach der Wahl erfüllt werde. Dennoch wählten sie das Bündnis. Was viele Italiener mit dem Dreier-Block verbanden: Dass endlich jemand eine Frage beantwortet, die aus Sicht der Italiener ein Problem ist – der Umgang mit den vielen Flüchtlingen.

Und hier zeigt sich, wie schwer rationale Argumente durchdringen, wenn sich einmal ein Gefühl erlebter Realität verbreitet hat. Zwar ist es der Mitte-Links-Regierung und ihrem Innenminister Marco Minniti seit Mitte vergangenen Jahres gelungen, den Zustrom an Flüchtlinge über das Mittelmeer nahezu komplett einzudämmen. Doch war das Thema für viele Wähler noch immer das vorherrschende. Weil es der Mitte-Links-Regierung nie gelang, den Eindruck eines geordneten Umgangs mit den bereits in Italien befindlichen Flüchtlingen zu erwecken. Und weil sie es nie schaffte, in Europa auf einen fairen Verteilungsschlüssel zu dringen. Der rechte Spitzenmann Berlusconi erkannte diese politische Marktlücke schnell – und schürte das Thema. Laut Umfragen dürfte das dem Rechts-Bündnis die meisten Stimmen gebracht haben.

2. Die Zeit des Euro-Hasses ist vorbei, die der Euro-Krise nicht

Die Märkte reagierten in den vergangenen Wochen auch deshalb eher ruhig auf das sich anbahnenden politische Chaos in Italien, weil alle relevanten Parteien Markt-Schocker in ihren Programmen strichen. Forderten zu Beginn des Wahlkampfes noch nahezu alle großen Parteien außer des regierenden Partito Democratico den Ausstieg Italiens aus dem Euro, räumten die Protestler der Cinque Stelle dieses genauso ab wie Berlusconis Forza Italia und die Lega.

Das zeigt: Mit blankem Euro-Hass ist im Jahr 2018 in keinem der großen Euro-Gründungsstaaten mehr politisch etwas zu gewinnen.

Und doch ist der Euro noch immer in der Lage, politische Systeme zu spalten. Man kann das sehr schön am Schicksal des PD begutachten. Der Euro mag nicht mehr gehasst werden, die konkrete Euro-Politik aber schon. Viele Italiener kriegen regelrechte Hassschübe, wenn das Wort Austerität fällt. Unterstellen sie einer Regierungspartei, wie nun dem PD, sich da zu sehr den Wünschen der Nordeuropäer zu beugen, wählen sie sie ab.

Nichts erwies sich in diesem Wahlkampf so derart als Stimmungskiller wie die Forderung, doch die Stabilitätskriterien aus Brüssel irgendwie Ernst zu nehmen. Will Brüssel nicht zulassen, dass der Kontinent demnächst von Euro-Skeptikern regiert wird, muss es darauf reagieren. In Italien wäre eine bessere Vermittlung der Euro-Ziele auch im eigenen Interesse der Nordeuropäer gewesen. Sie sind darauf angewiesen, dass in Italien eine Regierung der finanzpolitischen Vernunft regiert. Das Land ist mit 132 Prozent seines Bruttoinlandsprodukte verschuldet, allein dieses Jahr müssen mehr als 50 Milliarden Euro neu finanziert werden - gelingt das nicht, weil die Märkte einer extremen Regierung misstrauen, kehrt die Krise in die gesamte Euro-Zone zurück.

3.„Ökonomische Vernunft“ ist kein Argument

Der Industrieverband Confindustria hat in einem Strategiepapier drei Ziele definiert und bat die Italiener vor der Wahl, diese bei ihrer Wahlentscheidung zu berücksichtigen: Innerhalb der nächsten fünf Jahre müssten 1,8 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden; das Bruttosozialprodukt sollte jährlich um zwei Prozent wachsen und der Schuldenstand um 20 Prozentpunkte gesenkt werden. Wie? Durch eine effizientere Verwaltung, bessere Bildung und eine investitionsfreundliche Steuergesetzgebung. Die Forderungen waren am ehesten deckungsgleich mit dem Programm des regierenden PD.

Und tatsächlich haben die Sozialdemokratien in den vergangenen Jahren eine ordentliche ökonomische Bilanz vorgelegt: Die Wirtschaft wuchs im vergangenen Jahr um 1,5 Prozent, die Arbeitslosigkeit ging seit 2015 um 1,5 Prozentpunkte zurück. Dennoch belohnten die Wähler ihre Regierung nicht. Der Grund ist recht einfach: Ob desaströse Schulen, stagnierende Einkommen oder inflationierende Job-Befristungen: der Normal-Italiener profitiert nicht von der guten Lage vieler Unternehmern. Oder anders gesagt: Ökonomische Vernunft muss man sich leisten können. Sie fällt leichter, wenn sie sich im eigenen Portemonnaie und nicht nur in dem des Chefs bemerkbar macht.

Das ist keine Polemik sondern der Schlüssel für real erfolgreiche Wirtschaftspolitik: So lange Wirtschaft und Regierung keine Antwort darauf finden, die beides vereint, werden die Wähler nicht so wählen, wie es im Interesse der Wirtschaft wäre. Auch das zeigt dieses Ergebnis.

„Der junge, gefeierte Schriftsteller Giorgio Fontana befand unlängst: „Obwohl Italien einmalige Ressourcen wie die schöne Landschaft, das Klima, kulturellen Reichtum sowie ein erstklassiges Gesundheitssystem hat, tritt es auf der Stelle, weil es ein zynisches, müdes und arrogantes Land ist, das aufgehört hat, lernen zu wollen.“ Man muss diese Düsternis nicht teilen, vermutlich schon aber die Schlussfolgerung: „Vieles, was in Italien passiert, ist vorhersehbar, wird aber ignoriert. Das Problem liegt in der geistigen Verfassung. Und solange die Italiener nicht hinzulernen wollen, liegt ihr Potenzial brach.“ Wenn in den nächsten Wochen nicht ein politisches Wunder besteht, bleibt zu befürchten: Das Thema liegt noch eine Weile brach.

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