
"Mein Vater", sagte Oppositionschef Ed Miliband jüngst dem konservativen Daily Telegraph "war Marxist". Dann betont er: "Ich möchte den Kapitalismus vor sich selber retten und bin daher für einen verantwortungsbewussten Kapitalismus, der anständiger, menschlicher und brüderlicher ist".
Das klingt ganz gut, genauso wie: "Wir wollen eine Marktwirtschaft - keine Marktgesellschaft". Und trotzdem: Wenn er am heutigen Sonntag zum Auftakt des diesjährigen Parteitags in Manchester händchenhaltend mit seiner Frau Justine, einer in Cambridge ausgebildeten Juristin, das Konferenzzentrum betritt, werden sich viele Mitglieder seiner Partei ebenso wie die Kommentatoren fragen: Für welche Politik steht der Labour-Chef eigentlich?
Wo will Miliband neue Schwerpunkte setzen - vor allem im Hinblick auf Haushaltskonsolidierung und die Gewichtung der künftigen Wirtschafts- und Industriepolitik? Wie hält er es mit den Banken und der Finanzwirtschaft? Mit den Gewerkschaften? Mit welcher Strategie wird er versuchen, die Labour-Partei bei den nächsten Wahlen im Mai 2015 zum Sieg zu führen? Und überhaupt: Was ist der 42-jährige Labour-Chef, der dem glücklosen Erfinder Wallace aus dem britischen Animationsfilm "Wallace & Gromit" so täuschend ähnlich sieht, für ein Mensch?
Milibands neuer moralischer Kapitalismus
Vor drei Tagen forderte der ehemalige Innenminister Alan Johnson angesichts der Popularitätsdefizite seines Parteichefs: "Er muss mehr tun, um zu beweisen, dass er Führungsqualitäten besitzt".
Schon kurz nach seiner überraschenden Wahl zum Labour-Chef im September 2010 - Ed Miliband hatte damals seinen älteren Bruder David, knapp und nur mit Hilfe der Gewerkschaften geschlagen - begann er sein Konzept von einem neuen moralischen Kapitalismus zu skizzieren. Seinem Spitznamen "Red Ed" (Roter Ed) wurde er gerecht, als er im Jahr darauf beim Parteitag in Liverpool in einer viel beachteten Rede erklärte, Labour müsse sich die Frage stellen, ob die Partei an der Seite echter Produzenten und "Wert-Schöpfer" oder an der Seite räuberischer "Unternehmens-Ausschlachter" stehen wolle.
Das trug ihm viel Kritik ein, er vergraule die Wirtschaft, führe seine Partei auf Konfrontationskurs mit den Unternehmen und mache sie für die Mittelklasse nicht mehr wählbar, hieß es. David Miliband, einst Außenminister Großbritanniens, einst Hoffnungsträger des rechten Flügels der Labour-Partei hätte dergleichen nie gesagt. Denn anders als sein jüngerer Bruder gilt David als durch und durch New Labour: pro Marktwirtschaft, pro Tony Blair, anti Gewerkschaft.
Doch die Stimmung in Großbritannien hat sich in den letzten zwölf Monaten gewandelt, die Bürger sind zunehmend desillusioniert was die Koalitionsregierung angeht, das kommt Ed Miliband zugute und schlägt sich in Meinungsumfragen nieder, die seiner Partei nun schon seit längerem einen zweistelligen Vorsprung vor den Konservativen bescheren.