




Pier Luigi Bersani hat mit seinem Mitte-Links-Bündnis die absolute Mehrheit der Sitze im Abgeordnetenhaus gewonnen. Doch seine Machtoptionen sind gering, da Silvio Berlusconi ein erstaunlich gutes und für Außenstehende kaum nachvollziehbares Ergebnis bei den Wahlen zur zweiten Kammer, dem Senat, geholt hat. Das Mitte-Rechts-Bündnis des früheren Regierungschefs Silvio Berlusconi kam auf 30,72 Prozent der Stimmen und hat im Senat 116 Sitze. Somit hat Bersani zwar den Wählerauftrag, die 63. (!) Nachkriegsregierung Italiens zu bilden. Doch sie könnte sich schnell als handlungsunfähig beweisen, sollte er keinen Rückhalt im Senat erhalten. Schon ist von Neuwahlen die Rede. Oder gibt es doch noch eine Einigung?
Silvio Berlusconi schließt das nicht aus. Er überlege, mit Bersani zusammenzuarbeiten, erklärte der Ex-Premier. "Italien darf nicht unregiert bleiben, wir müssen nachdenken", sagte Berlusconi am Dienstag in einem Fernsehinterview. Ein Pakt zwischen Bersani und Berlusconi? Sich eine fruchtbare Zusammenarbeit vorzustellen, erfordert viel Phantasie. Zu unterschiedlich sind die beiden Politiker - und ihre Ziele.
Bersani will – anders als weite Teile der Opposition – Italien in Europa halten, den Sanierungskurs fortsetzen und sich vor allem um die Wirtschaft kümmern. Im Wahlkampf betonte er, dieser Aufgabe aus gleich zwei Gründen gewachsen zu sein. Erstens stamme er aus einer Handwerkerfamilie – Bersanis Vater war Automechaniker und besaß eine Tankstelle zwischen Mailand und Modena – und kenne die Sorgen und Nöte der Kleinunternehmer. Zweitens habe er als Verkehrs- und Industrieminister viele Gespräche mit Wirtschaftsvertretern geführt, Probleme erkannt, aber auch die Stärken der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone kennengelernt.
Europa zittert vor möglicher Berlusconi-Wiederkehr
Besonders drastisch drückt es Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer aus: Eine Wiederwahl Berlusconis „wäre für die Anleger ein Horror-Szenario, die Staatsschuldenkrise würde wieder hochkochen“. Die Renditen für italienische Staatsanleihen dürften wieder in die Höhe schnellen, der mühsame Reformprozess in dem Land könnte abrupt beendet sein. „Italien hat mit Berlusconi bereits viele verlorene Jahre hinter sich, eine Neuauflage würde diese Agonie verlängern“, urteilt Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater. Beim Umbau der Europäischen Union drohe wieder mehr Gegenwind aus Rom, meint Kater - Konfrontation statt Kooperation: „Ein Wahlsieg Berlusconis behindert den Wiederaufbau von Vertrauen in den Euro.“
Sollte das hoch verschuldete Land für frisches Geld an den Kapitalmärkten dramatisch höhere Zinsen zahlen müssen, könnte die Europäische Zentralbank (EZB) mit dem Italiener Mario Draghi an der Spitze zumindest in die unangenehme Lage geraten, entscheiden zu müssen, ob sie dem Land zur Seite springt. Die Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba), Gertrud Traud, spricht von einer „wahren Bewährungsprobe für Draghi“. Die EZB könnte mit dem Kauf von Staatsanleihen für Entlastung sorgen, doch die Währungshüter haben die Latte dafür selbst hoch gelegt: Erst wenn ein Land einen Hilfsantrag beim Euro-Rettungsfonds ESM stellt und somit politische Reformauflagen akzeptiert, wäre die EZB prinzipiell bereit zum Kauf von Anleihen des betreffenden Staates.
Der Rettungsschirm ESM kann Eurostaaten bis zu 500 Milliarden Euro an Krediten geben, im Gegenzug müssen sie strenge Spar- und Reformauflagen erfüllen. Sollte Rom - wie von Berlusconi im Wahlkampf versprochen - Steuern senken, ohne die Ausfälle mit Einsparungen zu kompensieren, könnte die Situation in Europa unangenehm werden, meint Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding: „Ein Italien, das die Regeln bricht, wäre kein Kandidat für Unterstützung durch den ESM oder die EZB“. Über Finanzhilfen entscheidet einstimmig der ESM-Gouverneursrat, der aus den Finanzministern der 17 Euro-Staaten besteht. Gustav Horn vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) befürchtet, dass Hilfen für Italien den Rettungsschirm sprengen würden: „Damit gerät die gesamte Rettungsarchitektur in Gefahr.“ Dekabank-Ökonom Kater ist jedoch überzeugt: „Von Rettungsschirmen sind wir weit entfernt.“
„Die Wahl Berlusconis ist nicht mein Hauptszenario“, erklärt Commerzbank-Ökonom Krämer. Stefan Bielmeier von der DZ Bank erwartet, dass das Mitte-Links-Bündnis Bersanis seinen Vorsprung aus den letzten Umfragen halten kann und die neue Regierung in Italien ohne Berlusconi gebildet wird. Auch die Fondsgesellschaft Fidelity hält einen Sieg Bersanis für wahrscheinlich. Die Erleichterung darüber werde zu einer Kursrallye an den europäischen Aktienmärkten führen: Und „selbst wenn die Wahl überraschend eine Regierung unter Berlusconi hervorbringen sollte, ..., werden die Märkte die Rückkehr zum Sparkurs durch Abstrafen sehr schnell erzwingen“.
Denkbar ist, dass Bersani die Mehrheit im Abgeordnetenhaus erringt, aber die nötige regierungsfähige Mehrheit im Senat verpasst. Mögliche Folgen: Hängepartie um die Regierungsbildung, Reformstillstand und Unruhe an die Finanzmärkten. Die Reaktionen wären allerdings weniger heftig als bei einer Wahl Berlusconis, meint Ökonom Krämer: „Unsicherheit ist Gift für die Märkte. Aber solange Berlusconi nicht wieder Premierminister wird, sollte die EZB die Lage stabil halten können, ohne tatsächlich italienische Staatsanleihen zu kaufen.“
Der Ex-Kommunist hat sich über die Jahre zu einem moderaten Linken entwickelt, der die Reformen seines Vorgängers Mario Monti unterstützt hat – auch gegen den Widerstand in der eigenen Partei. „Ich werde den Reformkurs fortsetzen“, versprach Bersani auf Wahlkampfveranstaltungen, kündigte aber auch an, „sozial umsichtig“ agieren zu wollen. Auf eine Politik der Trippelschritte besteht insbesondere die Linkspartei „Linke und Freiheit“, die Teil des Bersani-Bündnisses ist und sich gegen Reformen auf dem Arbeitsmarkt wehrt. Den Sparkurs will Bersani dennoch fortführen.
Ganz anders als Silvio Berlusconi. Sein Rezept im Wahlkampf war einfach (und erfolgreich): Es bestand in erster Linie aus dem Versprechen, den Italienern mehr von ihrem Geld zu lassen. Besonders viel Resonanz bekam der 76-Jährige mit dem Versprechen, die von der Regierung Monti und mit den Stimmen der Berlusconi-Partei eingeführte Immobiliensteuer nicht nur abzuschaffen, sondern sogar zurück zu zahlen. „Das Haus ist heilig“, behauptet Berlusconi und findet damit breite Zustimmung, 80 Prozent der Italiener sind Immobilieneigentümer. Berlusconi wagte sich so weit vor, dass er etwa für Rentner die Rückzahlung der Abgabe in bar in Aussicht stellte. Die Kosten der Operation sollte ein nicht näher definiertes Steuerabkommen mit der Schweiz decken.