Plan für ein sozialeres Europa Junckers Charme-Offensive wird enttäuschen

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Widerstand der Nationalstaaten erwartet

Der Versuch, sozialpolitische Vorgaben rechtsverbindlich gegen einzelne Mitgliedsstaaten durchzusetzen, wie die Kommission das mit dem Elternurlaub vorhat, dürfte aber auf entschiedenen Widerstand stoßen. Die Sozialsysteme in den europäischen Nationen beruhen auf sehr verschiedenen Strukturen. Noch entscheidender: Dahinter stehen  historisch gewachsene und kulturell begründete Vorstellungen über Art und Ausmaß der sozialen Sicherung. Diese sind nicht durch Brüsseler Vorgaben aus der Welt zu schaffen.

Vor allem die osteuropäischen Mitgliedstaaten werden die Initiative vermutlich bremsen wollen, glaubt Dauner. „Sie haben wenig Interesse an hohen und für alle verbindlichen Sozialstandards. Diese sind mit erheblichen Kosten verbunden und schmälern ihren wichtigsten Wettbewerbsvorteil – günstige Arbeitskräfte. Zusätzlich werden einige Mitgliedstaaten die Einmischung der EU in die Sozialpolitik mit Argwohn beobachten und auf der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips bestehen. Wie die gescheiterte Versuche zum Mutterschutz und zur Frauenquote belegen, hatte die EU-Kommission sich schon in der Vergangenheit schwer getan, in der Sozialpolitik Weichen zu stellen.“

Soziale Harmonisierung chancenlos

Der Politologe Martin Höpner vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln glaubt, dass die Hoffnungen, mit einer europäisch integrierten Sozialpolitik die Herzen enttäuschter Europäer zurückzugewinnen, bitter enttäuscht werden. Junckers „Säule“ sei ein Indiz dafür, dass man sich vor einer Erkenntnis drücke: nämlich, dass die Chancen auf eine soziale Harmonisierung der gesamten EU sehr gering seien. Stattdessen müsste das Ansinnen europäischer Sozialpolitiker vielmehr sein, so Höpner, die nationalen Sozialstaaten vor EU-Übergriffen zu schützen. Die Durchsetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit mit Hilfe des Europäischen Gerichtshofes führe oft zu einer Aushebelung sozialer Standards in den Mitgliedsstaaten.

Überblick: Langzeitarbeitslose in der EU

Auch bei Politikern, die der EU-Feindschaft völlig unverdächtig sind, trifft Junckers sozialpolitischer Integrations-Aktionismus auf große Skepsis: „Wir müssen sorgfältig aufpassen, was Europa tut oder nicht“, sagte etwa der CDU-Europaabgeordnete Herbert Reul der Nachrichtenagentur dpa. „Bei Elternurlaub von Bulgarien bis Helsinki habe ich ernste Zweifel.“  Deutlicher kann man unter politischen Freunden nicht klarmachen, dass man den Bogen für überspannt hält. 

Roland Freudenstein befürchtet, dass die Erwartungen, die die Kommission jetzt schüre, in wenigen Jahren negativ auf die Europäischen Institutionen zurückfallen werden. Wenn sich die großen Ankündigungen der Kommission mittelfristig als Luftnummern erweisen, dürfte das populistischen EU-Feinden besonders starke Argumente liefern.

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