Die Vereinbarung mit der Türkei war bereits vor dem Staatsstreich am 15. Juli, der Europas Zukunft in noch größere Ungewissheit gestürzt hat, problematisch. Auf der einen Ebene macht die Vereinbarung den Eindruck eines Erfolgs, da die Balkanroute größtenteils blockiert ist und Flüchtlingsströme nach Griechenland auf ein Rinnsal zurückgegangen sind. Doch Flüchtlingsströme sind auf gefährlicheren Mittelmeerrouten aufgewallt. Zur selben Zeit weist gerade die Grundlage der Übereinkunft – dass Asylsuchende auf legale Weise in die Türkei zurückschickt werden können – grundlegende Mängel auf.
Griechische Gerichte und Ausschüsse für Einwanderung und Asyl haben konsequent entscheiden, dass die Türkei kein „sicheres Drittland“ für den Großteil der syrischen Asylsuchenden ist, ein Standpunkt, der nach dem Putschversuch wohl bekräftigt wird. Die kürzlich vorgenommene Umstrukturierung der Berufungsausschüsse für Asylverfahren in Griechenland, mit dem Ziel, diese regierungsfreundlicher zu gestalten, kann vor Gericht angefochten werden, ebenso der Vorschlag der Europäischen Kommission vom 13. Juli, die Entscheidungen nationaler Gerichte außer Kraft zu setzen.
Unterdessen kommt die EU-Türkei-Vereinbarung, die auf der Grundlage errichtet wurde, dass Flüchtlingsrechte gegen finanzielle und politische Begünstigungen gehandelt werden können, nun als Muster zum breiteren Einsatz. Im letzten Monat forderte die Europäische Kommission, Entwicklungsgelder von der Einführung von Migrationskontrollen durch afrikanische Partner abhängig zu machen. Dies verletzt die Werte und Prinzipien, welche die Europäische Union leiten sollten, stellt einen Bruch mit Jahrzehnten der Praxis von Entwicklungsfinanzierung dar und würdigt die Behandlung von sowohl Zuwanderern als auch Flüchtlingen herab.
Die große Übereinkunft mit Ländern in Afrika und anderswo kann nicht einfach sein: Stoppt man die nach Europa kommenden Zuwanderer, darf man nach Belieben alles andere tun. Dieser Ansatz schädigt jeden – moralisch, politisch und wirtschaftlich. Eine wahrhaft große politische Übereinkunft würde sich auf einen Aufbau in Afrika konzentrieren – auf einen echten Aufbau, der über eine Generation hinweg tatsächlich die tieferen Ursachen von Abwanderung anginge, auf die sich so viele Politiker regelmäßig in ihrer Rhetorik berufen und in der Praxis ebenso regelmäßig missachten.
Eine angemessenere Vorgehensweise
Eine wirkungsvolle Alternative zur derzeitigen Vorgehensweise der EU würde sich auf sieben Säulen stützen:
Erstens müssten die EU und der Rest der Welt eine beträchtliche Zahl von Flüchtlingen direkt aus den Frontstaaten aufnehmen, in einer gesicherten, ordnungsgemäßen Weise – welche für die Öffentlichkeit weitaus annehmbarer wäre als die gegenwärtige Unordnung. Wenn die EU eine Verpflichtung einginge, selbst nur 300.000 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen, – und wenn diese mit vergleichbaren Verpflichtungen anderer Länder der Welt einherginge – würden die meisten wirklichen Asylsuchenden sich ausrechnen, dass die Chancen, ihren Zielort zu erreichen, hoch genug sind, um nicht zu versuchen, Europa auf illegale Weise zu erreichen, da sie dies von einer rechtmäßigen Aufnahme ausschlösse. Würden obendrein die Bedingungen in den Frontstaaten durch größere Hilfeleistungen verbessert, gäbe es keine Flüchtlingskrise. (Das Problem von Wirtschaftsflüchtlingen bestünde weiterhin.)
Die zehn gefährlichsten Konflikte der Welt
In Syrien und im Irak gehört die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu den stärksten Kriegsparteien. Im syrischen Bürgerkrieg bekämpfen sich zudem das Regime und seine Gegner. Iran, die Hisbollah-Miliz und die russischen Luftwaffe sind dort involviert.
Quelle: dpa
Bei den Kämpfen zwischen ukrainischen Regierungseinheiten und prorussischen Separatisten im Unruhegebiet Donbass starben seit April 2014 mehr als 9000 Menschen. Von den 13 im Friedensplan von Minsk vereinbarten Punkten wurde noch keiner vollständig umgesetzt.
Die islamistische Terrorgruppe Boko Haram will in Nigeria und angrenzenden Gebieten der Nachbarländer Kamerun, Tschad und Niger einen „Gottesstaat“ errichten, verübt blutige Anschläge und Angriffe.
Fünf Jahre nach ersten Protesten gegen den später gestürzten und getöteten Diktator Muammar al-Gaddafi ist Libyen ein „failed state“ (gescheiterter Staat) - und ein Rückzugsgebiet für IS-Kader.
Im Südchinesischen Meer streitet sich China gleich mit einer ganzen Reihe seiner Nachbarn um Territorien.
Nordkoreas Raketen- und Atomprogramm wird in der Region, aber auch darüber hinaus, ja weltweit, als Bedrohung angesehen.
Der Konflikt dort flammt wieder voll auf. Die Taliban kontrollierten jetzt so viel Territorium wie seit 2001 nicht mehr. Dutzende Bezirke sind umkämpft, der IS versucht sich auszubreiten.
Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern schwelt schon seit Jahrzehnten. Seit Oktober 2015 gibt es wieder eine neue Serie palästinensischer Anschläge.
Im jemenitischen Bürgerkrieg sind schon mehr als 5800 Menschen gestorben. Die schiitischen Huthi-Rebellen kontrollieren weite Teile im Norden, die regimetreuen Truppen werden von Luftschlägen einer saudisch geführten, sunnitischen Militärkoalition unterstützt.
Die Türkei ist der einzige Nato-Partner, bei dem in Teilen des Landes bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen: In kurdischen Städten im Südosten geht das Militär gegen Kämpfer der PKK vor.
Das führt uns zum zweiten Punkt: Die EU muss das Durcheinander an ihren Grenzen beseitigen. Es gibt wenig, das die Öffentlichkeiten mehr befremdet und verschreckt als Szenen des Chaos.
Fünfzehn Monate nach dem Beginn der akuten Phase der Krise herrscht nach wie vor Durcheinander in Griechenland und im Mittelmeerraum. Über 50.000 Flüchtlinge leben in erbärmlichen Verhältnissen in einer Reihe mangelhaft verwalteter, provisorischer Lager im gesamten Land. Die Öffentlichkeit sieht dies auf ihren Bildschirmen und fragt sich, warum die mächtige Europäische Union unfähig ist, zumindest Basisleistungen für Kinder und Frauen auf der Flucht vor Krieg bereitzustellen. Unterdessen hinterlassen die fortschrittlichsten Seestreitkräfte der Welt den Eindruck der Unfähigkeit, die Menschen zu retten, die das Mittelmeer überqueren; die Zahl der Ertrinkenden ist in diesem Jahr um 50 Prozent gestiegen. Die zynische Erklärung für all dies – dass die EU das Fortbestehen dieser Verhältnisse bewusst zulässt, damit sie einen abschreckenden Nutzen haben – ist gleichermaßen beunruhigend.