Polen Der Partner, der kein Partner sein möchte

In Warschau bahnt sich ein Regierungswechsel an. Berlin und die EU müssen sich auf einen Rechtsruck einstellen.

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Wahlkampf in den Landesfarben: Nationalistische Spitzenkandidatin Szydło Quelle: REUTERS

Beata Szydło kann Wahlkampf. Im Fernsehduell am vergangenen Montag, sechs Tage vor der Parlamentswahl, machte die 52-jährige Spitzenkandidatin der konservativen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) eine deutlich bessere Figur als die noch amtierende Ministerpräsidentin Ewa Kopacz. Da Szydłos Partei auch vorher in allen Umfragen vorne lag, bestehen kaum Zweifel, dass die Rechtskonservativen die Wahlen am Sonntag auch gewinnen.

Berlin und Brüssel sollten sich also auf eine neue polnische Regierung vorbereiten. Angenehm wird das nicht. Denn der große Unterschied zwischen den beiden großen Parteien in Polen ist die Außenpolitik – oder besser gesagt die Einstellung gegenüber der Außenwelt. Zwar haben auch Kopacz und zuvor ihr Vorgänger und Ziehvater Donald Tusk in Brüssel und Berlin energisch für die eigenen Interessen gestritten: für weitgehende Freizügigkeit für polnische Arbeitsmigranten in der EU, für militärischen Schutz gegen eine mögliche russische Bedrohung, für das Überleben des polnischen Kohlebergbaus, gerade jetzt auch gegen die Zuweisung von Flüchtlingskontingenten ins eigene Land. All das machte Polen zu einem schwierigen Partner in Europa, und zur Besänftigung und besseren Einbindung haben die Westeuropäer ja auch Donald Tusk vom polnischen Premier zum Präsidenten des Europäischen Rates befördert.

Wissenswertes über Polen

Doch Szydło stellt all das in den Schatten: Kompromisse mit Europa, die Polen auch nur im Entferntesten benachteiligen könnten, sind in ihren Augen Landesverrat. Was das bedeutet, machte sie diesen Herbst vor einem Unternehmerforum im südpolnischen Kurstädtchen Krynica klar. „Klimapolitik“, sagte sie, „ist gegen unsere Interessen, und ich werde dafür sorgen, dass Polen sich an so etwas nicht beteiligt.“ Die Rede war nicht von einzelnen Maßnahmen etwa zur Begrenzung des Bergbaus in Oberschlesien, sondern von einem europäischen Angebot zur Reduzierung von Treibhausgas ganz generell.

Polen könnte also demnächst unter einer Regierungschefin Szydło in Brüssel ganz einfach dem Konferenztisch fernbleiben, wenn es um CO2-Ziele geht, aber auch um die Verteilung syrischer Flüchtlinge oder irgendwann einmal um eine Lockerung der Sanktionen gegen Wladimir Putins Russland. Leicht denkbar, dass eine solche Politik dann auch von kleineren osteuropäischen Staaten von Lettland bis Ungarn kopiert wird – die EU hätte eine weitere Krise von ungeahntem Format.

Bizarrer Nationalismus wird gesellschaftsfähig

So weit muss es natürlich nicht kommen. Die Partei PiS hat schon einmal Polen regiert. Damals konnten die Westeuropäer immer wieder nach langen Verhandlungen Kompromisse mit Warschau zurechtzimmern – inzwischen aber hat sich die PiS radikalisiert. Der alternde Parteichef Jarosław Kaczynski, der die bisherige Parlaments-Hinterbänklerin Szydło im Sommer überraschend zur Spitzenkandidatin kreierte, unterstellt den Politikern in Brüssel mindestens so böse Absichten gegenüber Polen wie Wladimir Putin. Und den hält er nach wie vor für den Mörder seines Zwillingsbruders Lech, der 2010 als polnischer Präsident nach Russland flog und beim Absturz seiner Maschine ums Leben kam.

Der russische Krieg in der Ukraine hat den bizarr wirkenden Nationalismus Kaczynskis und Szydłos in Polen mehrheitsfähig gemacht. Vor allem zeigt sich das in den Regionen im Osten, wo die Angst vor Moskau umgeht und die Enttäuschung über Westeuropa, weil der EU-Beitritt hier im Gegensatz zu Warschau und den Regionen im Westen Polens kaum wirtschaftlichen Aufschwung gebracht hat. Ostpolen ist arm, die Arbeitslosigkeit liegt weit über dem Landesdurchschnitt von acht Prozent – und die Umfrageergebnisse versprechen hier der PiS absolute Mehrheiten. Da hat die heutige Ministerpräsidentin Kopacz keine Chance, wenn sie im Fernsehen mit guten ökonomischen Argumenten Szydłos Forderung nach einem Mindestlohn von umgerechnet drei Euro pro Stunde zurückweist.

Polen wird also demnächst unter einer rechtskonservativen Regierung eine früher wohl als linkspopulistisch zu bezeichnende Arbeitsmarktpolitik betreiben. Das wird die meisten Westeuropäer kaum stören. Anders wird es aber in der Energiepolitik. „Wer von CO2 redet, ist ein Widersacher Polens“, verkündet Szydło. Eine überraschende Erkenntnis: Polen ist zwar mit Abstand der größte Kohleproduzent in Europa, aber die Produktion ist international nicht wettbewerbsfähig und macht Riesenverluste. Das aber ist den Polen egal, solange die Alternative Gas aus Russland ist.

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