Politik-Booster Italien macht wieder „bella figura“ – dank Draghi

Mario Draghi, Ministerpräsident von Italien, ist hauptverantwortlich für den Auftriebs Italiens. Quelle: imago images

Plötzlich Corona-Vorzeigeland und Fußball-Europameister. Italien strotzt nach dem schlimmen Covid-Jahr 2020 wieder vor Selbstbewusstsein. Den politischen und wirtschaftlichen Erfolg verdankt es einem Politiker.

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Am Tag, als die Bundeswehr Corona-Intensivpatienten durch Deutschland fliegt, malt die italienische Luftwaffe grün-weiß-rote Streifen in den Himmel über Rom. Ende November zelebriert Italien einen als historisch gefeierten Vertragsabschluss mit Frankreich und den nächsten Erfolg in diesem so überraschend positiven Jahr 2021. Die Pandemie scheint im Griff wie kaum irgendwo anders, die Wirtschaft zieht an, Rom glänzt auf dem Politik-Parkett. Ein Jahr nach der Covid-Katastrophe ist Italien Europas Musterschüler - und nebenbei Fußball-Europameister und Sieger des Eurovision Song Contest.

Der politische Aufstieg des früheren Krisenlandes trägt die Handschrift von Ministerpräsident Mario Draghi, der einst den Euro und nun sein Heimatland und dessen Ruf rettete. Der 74 Jahre alte Ex-Chef der Europäischen Zentralbank hat für neuen Optimismus und Aufbruchstimmung im Land gesorgt. „Ich glaube, dass Draghis Rolle für die Neupositionierung Italiens zentral war, durch den Scharfsinn der Vision, den Pragmatismus in ihrer Umsetzung und die Kompetenz im Dialog mit den anderen EU-Mitgliedstaaten“, meint Giorgio Armani.

Italien mache endlich wieder „bella figura“, sagte der 87 Jahre alte der Unternehmer, Milliardär und Modedesigner – und der kennt sich mit gutem Auftreten aus.

Die Herausforderungen für das Land waren riesengroß zu Jahresbeginn, als Draghi mit seiner Expertenregierung übernahm. Es galt, die Pandemie wirksam zu bekämpfen – die Bilder von sich stapelnden Särgen aus der ersten Corona-Welle ein Jahr zuvor hatten die Italiener nicht vergessen. Daneben musste die heftig angeschlagene Wirtschaft gerettet werden. Und mit dem Vorsitz der G20-Gruppe der wichtigsten Industrienationen der Welt war Rom auch diplomatisch gefordert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lobte ihren Duz-Freund Draghi für das politische Engagement Italiens in diesem Jahr, sei es in der Afghanistan-Krise oder im Kampf der G20 gegen den Klimawandel. Den G20-Gipfel in Rom Ende Oktober verkauften Merkel wie Draghi als Erfolg, auch wenn Kritiker zu lasche Zusagen der Staaten bemängelten.

Unbestritten ist, dass Draghi im Vergleich zu vielen seiner Vorgänger politisches Gewicht und Einfluss mitbringt. „Italiens Stimme ist hörbarer geworden, weil mit Draghi eine sehr erfahrene und gut vernetzte politische Persönlichkeit als Ministerpräsident kam“, sagt Nino Galetti, der Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom.

Ende November unterzeichneten Draghi und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron in Rom ein umfangreiches, bilaterales Abkommen, das einige schon mit dem deutsch-französischen Élysée-Vertrag verglichen. Italien holt an Einfluss auf und will zu den zwei wichtigsten Volkswirtschaften und politischen Akteuren Europas aufschließen.

Draghi profitiert davon, kein Parteipolitiker zu sein, der auf die nächsten Wahlen schielt. „Er hat einen Plan für Italien und den will er umsetzen“, erklärt Galetti. „Draghi ist klar in seinen Aussagen, ohne Spielraum für uferlose Diskussionen. Er gibt die Leitlinie vor, aus und fertig! Er nimmt kaum Rücksicht auf Befindlichkeiten von Parteifreunden, Parteiströmungen oder Koalitionspartnern – er macht einfach. Damit fährt er gut, damit fährt Italien gut.“



Vor allem in der Pandemie führte dieses Vorgehen zum Erfolg. Draghis Kompromisslosigkeit und die Organisation der Maßnahmen durch den Armeegeneral Francesco Figliuolo als obersten Covid-Koordinator sorgten für hohe Impfquoten und niedrige Fallzahlen.

Während anderswo noch gefeilscht und die Pandemie gar für beendet erklärt wurde, führte Rom eine 3G-Pflicht am Arbeitsplatz ein. Über Regeln wie die Maskenpflicht etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln wurde da längst nicht mehr diskutiert und auch die Impfpflicht für gewisse Berufe war schon durchgesetzt. Als in Deutschland und Österreich die vierte Corona-Welle wütete, hatten die Italiener die Lage im Griff und konnten sogar Patienten aus dem Ausland aufnehmen.

Finanzexperte Draghi wusste, die Milliarden aus dem Wiederaufbautopf der EU einzusetzen. Zusammen mit nationalen Fonds kann Rom rund 222,1 Milliarden Euro an größtenteils geliehenen Geldern unter anderem in Digitalisierung, Infrastruktur und den ökologischen Umbau stecken.

Das Bruttoinlandsprodukt des Mittelmeerlandes werde in diesem Jahr um etwa sechs Prozent wachsen, rechnen Experten vor. Auch der Export springe wieder an. „Draghi hat das wirklich sehr seriös umgesetzt und die entscheidenden Ministerien mit Experten besetzt“, lobt Jörg Buck, der Chef der Deutsch-Italienischen Handelskammer (AHK Italien). Viel Vertrauen aus Brüssel sei mit dem Ministerpräsidenten verbunden. „Draghi spielt die wichtige Rolle des Mediators“, erläutert Buck.

Der Regierungschef ist der Politiker, mit dem die Italiener am zufriedensten sind in diesem Jahr des Wiederaufbruchs. Kein Wunder, dass ihn viele als idealen Staatspräsidenten sehen; Anfang 2022 wird dieser in Italien von den Parlamentsabgeordneten neu gewählt. Dann aber müsste er als Ministerpräsident zurücktreten – was inzwischen fast alle Parteien rechts wie links bedauern würden. So eine einhellige Meinung über einen Politiker ist ganz selten in Italien.

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Manchmal aber geriet selbst Draghi in den Hintergrund, wenn anderswo in grün-weiß-rot gefeiert wurde: Im Frühjahr gewann die Römer Band Maneskin den Eurovision Song Contest. Die Fußballer holten im Sommer sensationell den EM-Triumph. Bei Olympia in Tokio liefen Italiens Sprinter allen davon. Und auch ein Nobelpreis ging nach langer Zeit mal wieder nach Rom, an den Physiker Giorgio Parisi.

Neben dem politischen Auftritt mit Draghi hatten auch sie alle Anteil daran, dass Italien auf ein erfolgreiches 2021 zurückblicken kann.

Mehr zum Thema: „Wie im Krieg“, so erinnern sich Bürger aus Bergamo noch heute an den Pandemiebeginn. Die Erfahrung hat Italien geprägt, das auf radikalere Corona-Maßnahmen als Deutschland setzt.

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