Politikwissenschaftler Claus Leggewie „Wir müssen den Kapitalismus neu erfinden“

In den Niederlanden wird heute gewählt und Populist Gerd Wilders könnte triumphieren. Politologe Claus Leggewie erklärt, was der Aufstieg der Populisten in Europa bedeutet und wie Demokraten reagieren sollten.

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Claus Leggewie. Quelle: Georg Lukas

WirtschaftsWoche: Die Niederlande, Frankreich, Italien – in vielen europäischen Ländern, in denen Wahlen anstehen, sind populistische Parteien im Aufwind. Wird 2017 das Jahr der Radikalen?
Claus Leggewie: Es wird ein Jahr der Entscheidung. Die Europäer müssen sich überlegen, ob sie wirklich den Weg zurück in einen autoritären Nationalismus gehen wollen. Wie gefährlich das ist, können sie im Vereinigten Königreich und in den USA beobachten. Aber es geht auch anders: Die Österreicher haben einem rechtspopulistischen Kandidaten widerstanden und erstmals in Europa einen Grünen zum Bundespräsidenten gewählt.

Populistische Bewegungen gibt es seit Jahrzehnten. Warum spitzt sich die Lage gerade jetzt zu?
Der europäische Populismus begann in den 70er Jahren in Dänemark mit einer Bewegung, die keine Steuern mehr zahlen wollten. Daraus wurde die schiefe Ebene in den völkisch-autoritären Nationalismus. In Ungarn haben wir heute eine illiberale Demokratie, womöglich auch bald in Polen. Die gesamte europäische Gesellschaft ist in einer Krise und die Populisten stimmen sich untereinander ab und kopieren gegenseitig ihre Erfolgsrezepte.

In den Niederlanden geht es vor allem um den Islam.
Dabei sind die Niederländer gar nicht so viel extremer geworden. Sie sind ein Volk, das die Freiheit liebt. Und Gert Wilders hat es geschafft, die beiden Themen miteinander zu verknüpfen. Der Islam wird von vielen heute als Gefahr für Freiheit und Wohlstand wahrgenommen. Dieser Gedanke ergreift ganz Europa.

Zur Person

Auch Marine LePen mobilisiert in Frankreich gegen Einwanderer und richtet ihre Wirtschaftspolitik auf gebürtige Franzosen aus.  
Ihre Politik ist nationalistisch und sozialistisch. LePen führt die größte Arbeiterpartei Frankreichs und hat die sogenannten Abgehängten hinter sich. Sie will den Wohlfahrtsstaat für die Bio-Franzosen wieder ausbauen. Für sie ist das weder rechts noch links und auch nicht arm gegen reich, sondern Einheimische gegen Fremde. Sie will weg vom Klassenkampf und hin zum Kulturkampf.

Was müssen Demokraten jetzt tun?
Etwas mehr Rente und Mindestlohn überzeugt niemanden. Die demokratischen Kräfte müssen den Sozialstaat und den Kapitalismus neu erfinden. Wie kann es sein, dass jemand voll arbeitet, aber nicht davon leben kann? Wie reagieren wir auf die immer stärkere Automatisierung in der Arbeit? Wenn wir auf diese großen Fragen keine Antworten finden, bricht der Sozialstaat zusammen.

Nach Deutschland: Die AfD verliert derzeit wieder in den Umfragen. Woran entscheidet sich, ob die Partei Erfolg haben wird?

In Deutschland gab es schon immer ein starkes Tabu gegen rechts. Das hält. Die AfD, selbst wenn sie in den Bundestag einzieht, wird in der Versenkung verschwinden, wenn wir im Herbst eine vernünftige Regierung bekommen. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat das entscheidende Thema erkannt: soziale Gerechtigkeit in ganz Europa. Wenn eine neue Regierung darauf Antworten findet, zerfällt die AfD.

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