Politische Union Deutschland droht der Souveränitätsverlust

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Auftrieb für die Euro-Skeptiker

Doch um in allen Ländern die juristischen Hürden auf dem Weg zu einer politischen Union zu überwinden, wären wohl mehrere Jahre, wenn nicht gar ein ganzes Jahrzehnt nötig. Eine schnelle Lösung für die aktuelle Krise ist das nicht. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung gegen den Ausbau der Euro-Zone zu einer politischen Union ausspricht.

Denn die milliardenschweren Rettungspakete für die Krisenländer haben den Europa-Skeptikern Auftrieb gegeben. Eine aktuelle Meinungsumfrage des amerikanischen Pew-Forschungszentrums zeigt, dass die Mehrheit der Bürger auf dem alten Kontinent keine Lust auf „mehr Europa“ hat. In keinem Land nannte eine Mehrheit der Befragten den Euro eine gute Sache. Nur die mit vertrauenswürdigen Politikern nicht gerade reichlich gesegneten Italiener waren bereit, Europa bei der Kontrolle des nationalen Haushalts mehr Einfluss zu gewähren.

Für die Nordländer wäre eine politische Union mit einer gemeinsamen Finanzpolitik hingegen ein schlechter Deal. Sie hätten in dieser Union nicht mehr viel zu melden. Denn die Südländer werden darauf bestehen, dass in allen wichtigen Gremien der politischen Union – wie schon im Zentralbankrat der EZB – nach dem Prinzip „Ein Land, eine Stimme“ entschieden wird. Der Süden hätte damit eine klare Mehrheit gegenüber den Ländern aus dem Norden – und würde diese permanent überstimmen. Die Transferunion wäre perfekt.

Betroffenheit der Bevölkerung von der Wirtschaftskrise und Bereitschaft zur Vergemeinschaftung von Schulden

Vor diesem Hintergrund mutet die Hoffnung naiv an, Europa könne mittelfristig zu einem Bundesstaat oder gar zu einer europäischen Nation nach dem Vorbild der USA zusammenwachsen. In Amerika hatten sich die einzelnen Staaten nach langen Widerständen 1790 entschlossen, ihre Schulden zusammenzulegen. Der damalige Finanzminister Alexander Hamilton erkaufte sich die Zustimmung der zunächst widerstrebenden Südstaaten, indem er ihnen die Hauptstadt Washington D. C. anbot, direkt vor den Toren Virginias.

Entscheidend für die politische Akzeptanz der US-Schuldenunion bei den Bürgern aber war, dass die hohen Außenstände der Bundesstaaten nicht etwa das Ergebnis regionaler Verschwendungssucht waren, sondern die Folge des gemeinsamen Freiheitskampfes gegen die Kolonialmacht Großbritannien. Der Sieg gegen die Briten schweißte die Amerikaner zusammen – und gab den Startschuss für die Bildung der Nation.

„In Europa fehlen solche gemeinsamen Mythen, jedes Land hat seine eigene Geschichte und Kultur“, sagt Kai Carstensen, Konjunkturchef des ifo Instituts. Die Hoffnung, aus den Nationen auf dem alten Kontinent könnten auf absehbare Zeit die Vereinigten Staaten von Europa werden, hält Carstensen daher für abwegig. „Europa ist nur unsere zweite Haut“, sagt der ifo-Ökonom.

Dazu trägt auch die Vielzahl an Sprachen bei, die die Kommunikation zwischen Politikern und Bürgern über Ländergrenzen hinweg erschwert. Wie will ein Euro-Innenminister aus Portugal seine Botschaften bei den Bürgern der Niederlande an den Mann bringen? Die Folge: Es gibt auf dem alten Kontinent keine europäische Öffentlichkeit für politische Debatten.

Ist die Zentralisierung erst einmal eingeleitet, entwickelt sie einen sich selbst verstärkenden Sog. Das hatte schon der Finanzwissenschaftler Johannes Popitz erkannt, nach dem das Popitzsche Gesetz benannt ist. Die untergeordneten Gebietskörperschaften bluten aus und werden langfristig zu Empfängern von Finanzzuweisungen der Zentrale. Deutsche Länder und Kommunen sind ein Beispiel dafür.

Eine politische Union würde Europas Gesicht dramatisch verändern. Ob bei Steuern, Sozialleistungen oder Bildung – in vielen Politikbereichen träten zentrale Einheitslösungen an die Stelle von Vielfalt. Koordination würde Wettbewerb ersetzen, zentrale Direktiven die Freiheit beschränken. Es dürfte dann nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sich die Bürger endgültig von Europa abwenden.

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