Politische Union Deutschland droht der Souveränitätsverlust

Seite 4/5

Geschützte Kernbereiche im Grundgesetz

Entwicklung der Staatanleihen in der Schuldenkrise
Rendite der 10-jährigen Bundesanleihe seit Januar 2010 Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen USA Quelle: Bloomberg
Staatsanleihen Griechenland Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen Portugal Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen Irland Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen Italien Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen Spanien Quelle: Bloomberg

Eine solche neue Verfassung wäre nötig, um eine EU-Aufsicht über den deutschen Staatshaushalt auf den Weg zu bringen. Das ergibt sich aus der Ewigkeitsklausel des Grundgesetztes, die in Artikel 79 verankert ist. Sie schützt nicht nur die Regelungen in den Artikeln 1 und 20 des Grundgesetzes, sondern wirkt auch auf weitere Vorschriften.

Dazu zählt neben individuellen Grundrechten auch der Kernbereich der staatlichen Souveränität. In seinem Urteil zum Lissabon-Vertrag im Jahr 2009 hat das Bundesverfassungsgericht umrissen, was es darunter versteht. Neben dem Strafrecht und dem staatlichen Gewaltmonopol erwähnen die Richter das Budgetrecht des Parlaments. Die Grenzen des Grundgesetzes würden verletzt, „wenn die Festlegung über Art und Höhe der den Bürger treffenden Abgaben in wesentlichem Umfang supranationalisiert würde“. Gleiches gilt für die Ausgaben des Staates.

Systemrelevante Banken in der Euro-Zone

Nun spekulieren Juristen und Politiker, ob die Verfassungsrichter im Lichte der Euro-Krise von ihrer damaligen Sichtweise abweichen könnten. „Die Entscheidung stammt aus einer Zeit, als die jetzt diskutierten Maßnahmen noch nicht zur Debatte standen“, gibt Oliver Sauer vom Centrum für Europäische Politik an der Uni Freiburg zu bedenken.

Sowohl in ihren Entscheidungen als auch in Interviews haben die Richter vor allem einen Trend benannt, den sie unterbinden wollen: die Verselbstständigung der europäischen Institutionen. In keinem Fall dürften diese in eine Lage kommen, in der sie von sich aus immer mehr Kompetenzen an sich ziehen. Dasselbe gelte für finanzielle Ermächtigungen. „Ich persönlich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich den Weg zu einem europäischen Bundesstaat für den richtigen halte“, sagte Andreas Voßkuhle, der Präsident des Verfassungsgerichts, in einem Interview im Mai. „Es wäre nur fatal, wenn ein solcher Bundesstaat ohne demokratische Rückanbindung und ohne die entsprechenden Institutionen auf europäischer Ebene sozusagen schleichend etabliert würde.“

Will die Bundesregierung die Hoheit über den Bundeshaushalt nach Europa abgeben, müsste also eine neue Verfassung her. Das Grundgesetz selbst sieht für diesen Fall zwar keine konkreten Regeln vor. In der Geschichte sind jedoch zumeist zwei Modelle zur Anwendung gekommen. Eine Variante wäre, dass ein Gremium die Verfassung ausarbeitet und sie anschließend dem Volk zur Abstimmung vorlegt. Die zweite, dass das Volk die Mitglieder einer verfassunggebenden Versammlung wählt und diese dann die neue Verfassung erarbeiten und beschließen. Über den Inhalt der Verfassung würde dann nicht mehr abgestimmt.

Vielleicht geht es Finanzminister Schäuble aber auch gar nicht um eine neue Verfassung, sondern um etwas mehr Legitimation für die anstehenden Schritte. Um die herzustellen, müsste die Regierung einen bundesweiten Volksentscheid schaffen. In Artikel 20 heißt es, das Volk übe seine Staatsgewalt unter anderem „in Wahlen und Abstimmungen“ aus. Einige Juristen interpretieren dies als Grundlage für die Schaffung eines einfachen Gesetzes über Volksabstimmungen, andere halten eine Verfassungsänderung für notwendig. Die neue Regelung könnte dann zum Beispiel vorsehen, dass jede Verfassungsänderung, wie in Frankreich oder der Schweiz üblich, zuerst dem Volk vorgelegt werden müsste.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%