Portugal Die Textilindustrie ist aus dem Schneider

Gegen die asiatische Billigkonkurrenz war Portugals Textilindustrie chancenlos. High-Tech brachte die Wende.

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Zusammengelegte Wäsche liegt zur Auslieferung bereit. Quelle: dpa

Selbst ein BMW fängt einmal klein an. Winzig sogar. Nur zwei Millimeter lang und einen Millimeter dick sind die weißen Kunststoff-Pellets, aus denen einmal eine Auto-Karosserie werden soll. Im Sekundentakt purzeln sie aus einer Maschine, die wie ein hochgerüsteter Fleischwolf aussieht, während draußen auf dem Tejo-Fluss die Fähren von und nach Lissabon kreuzen. Hier in Lavradio, gegenüber der portugiesischen Hauptstadt, entsteht Precursor, das Rohmaterial für einen Werkstoff, der seit Jahren die Automobil- und Flugzeugindustrie, aber auch den Städtebau revolutioniert: Karbonfasern. Seit vergangenem März lässt der BMW-Partner SGL hier produzieren. "Wenn es nicht möglich ist, ein Billigprodukt herzustellen, muss man eben die Qualität steigern", bringt Geschäftsführer Stefan Seibel die mehr als 40-jährige Geschichte der Firma Fisipe auf den Punkt. Sie stellt hoch-spezialisierte Acrylfasern her und steht damit stellvertretend für die Textilindustrie Portugals. Während die Öffentlichkeit das Land als Armenhaus wahr nimmt, das von der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vor dem sicheren Bankrott gerettet werden musste und nun unter einer neuen sozialistischen Regierung wieder finanzpolitische Kapriolen schlägt, wandelte sich die einstige Billignähstube Europas zur ersten Adresse für die Produktion von High-Tech-Textilien. Die Automobilindustrie gehört zu den wichtigsten Abnehmern, aber auch Hersteller von teurer Sport- und Freizeitmode. Die Textilindustrie war voriges Jahr der am stärksten wachsende Exportsektor. Er legte um 4,5 Prozent zu. Waren im Wert von 4,8 Milliarden Euro gingen ins Ausland. Die Textilindustrie trug damit bedeutend zur Erholung der Wirtschaft bei. Dieses Jahr soll die Marke von 5 Milliarden Euro bei den Ausfuhren geknackt werden.

Portugal

"Wir waren positiv überrascht vom Qualifikationsniveau der Mitarbeiter", sagt Seibel, der 2012 nach der Fisipe-Übernahme durch SGL vom Wiesbadener Mutterhaus nach Portugal zog. "Bevor ich hierher kam, dachte ich, wir müssten einige deutsche Ingenieure zur Unterstützung her bringen." Jetzt ist er der einzige Deutsche bei Fisipe. Als der damalige portugiesische Staatschef Mario Soares die Textilfabrik am Ufer des Tejo 1976 einweihte, produzierte sie Polyacrylgarne. Die Kunstfasern waren damals der letzte Schrei und die Löhne in Portugal niedrig. Aber bald konnten andere Länder noch billiger produzieren. Nach der Öffnung des eisernen Vorhangs und vor allem nach dem Ende der europäischen Handelsschranken für China 2005 brachen die Umsätze ein. "Wir verloren 85 Prozent unseres Markts", erinnert sich Sérgio Neto.

Seine Konfektionsnäherei Petratex im dem kleinen nordportugiesischen Ort Paços de Ferreira hatte zuvor Basics und Funktionskleidung im Auftrag namhafter Marken wie Mondi, Trumpf, Levi's, adidas oder Nike gefertigt. Die Spieler des FC Bayern München und von Real Madrid liefen in Trikots made in Portugal auf. Inzwischen hat Petratex ein gutes Auskommen im hochpreisigen Modesektor sowie in der Nische teurer Sportkleidung gefunden. An der Wand der Produktionshalle hängt ein Autogramm in Posterformat: "Sérgio, Thank you for helping reach my goals" steht darauf. Unterschrieben ist es von Michael Phelps. Der 14-fache Olympiasieger aus den USA trug 2008 bei den Spielen in Peking einen Schwimmanzug, der hier in der portugiesischen Provinz entstand: den LZR Racer der Marke Speedo. Nosew, die nahtlose Nähtechnik, die den Widerstand im Wasser reduziert, ist eine der Erfindungen von Petratex. Rund 40 der insgesamt 400 Mitarbeiter sind allein damit beschäftigt, Prototypen zu entwickeln.

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