PR-Desaster Darum versagt die EU bei der Impfdiplomatie

So lange die Impfkampagne in der EU so schleppend anläuft, werden die Reserven fehlen für strategische Wohltaten. Das Problem könnte noch eine ganze Weile bestehen bleiben. Quelle: dpa

Russland und China positionieren sich in Europas Nachbarschaft als Wohltäter, indem sie Vakzine liefern. Die EU hat dem wenig entgegenzusetzen.

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Die Szenen erinnern an das erste Frühjahr der Pandemie: Flugzeuge landen und bringen heiß erwartete Hilfsgüter. 2020 waren es Masken und Schutzanzüge, in diesem Jahr ist es Impfstoff, der dankbar in Empfang genommen wird.
Anfang des Monats etwa landeten 10.000 Dosen des russischen Impfstoff Sputnik V am Flughafen von Tel Aviv für Palästina, versehen mit dem Logo des russischen Staatsfonds, der die Entwicklung finanziert hat. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte die großzügige Spende persönlich veranlasst, wie die Palästinenser erfuhren.

Nach den ersten Dosen aus Russland soll im Verlauf des Februars auch Impfstoff von Biontech/Pfizer ins Land kommen. Absender wird Covax sein, eine Initiative der Weltgesundheitsorganisation WHO, Frankreich und der EU, die dafür sorgen will, dass der Impfstoff in der ganzen Welt verteilt wird. Wer die Spende finanziert hat, werden die Palästinenser wohl nicht erfahren. Die EU ist einer der großen Geldgeber von Covax, aber vermutlich wird die blaue Fahne mit den Sternen nicht auf den Hilfslieferungen prangen. „Und Covax bringen die Menschen nicht mit der EU in Verbindung“, beklagt ein EU-Beamter.

Ein Image-Gewinn durch Impfspenden? Russland und China machen gerade rund um den Globus vor, wie das funktioniert, auch in der direkten Nachbarschaft Europas. Strategisch senden beide Länder Vakzine in Länder, von denen sie langfristig Dankbarkeit erwarten können. Die EU hat dem wenig entgegenzusetzen.

von Sonja Álvarez, Karin Finkenzeller, Jürgen Salz, Silke Wettach

Dabei hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon relativ früh erkannt, dass die Pandemie nur mit einer weltweiten Anstrengung gestoppt werden könnte. „Niemand ist sicher, bevor nicht alle sicher sind“, lautet das Mantra der Medizinerin. Sie sorgte dafür, dass Millionenbeträge in Covax flossen, was grundsätzlich keine schlechte Idee war. Über die Außenwirkung wurde in Brüssel aber wohl wenig nachgedacht.

Hinzu kommt: Weil Impfstoff Mangelware ist, laufen die Lieferungen von Covax nur langsam an. Russen und Chinesen profilieren sich unterdessen als Wohltäter. Tunesien und Algerien gehören zu den 26 Ländern weltweit, die Sputnik V zugelassen haben und hoffen auf baldige Lieferung. In Serbien trafen schon im Dezember die ersten Dosen des russischen Impfstoffs ein.

Bis zum Jahresende will das Land selbst Sputnik V herstellen. China hat mittlerweile 1,5 Millionen Impfstoffdosen des Herstellers Sinopharm ins Land gebracht. Gerade erst hat Ministerpräsidentin Ana Brnabic gemeinsam mit dem chinesischen Botschafter eine Lieferung am Flughafen in Empfang genommen. „Ich würde mich genauso freuen, wenn wir eine Million Impfstoffdosen von Pfizer bekommen würden“, sagt Brnabic ganz pragmatisch. Präsident Aleksandr Vucic brüstet sich, dank eines direkten Drahts zu Chinas Präsident Xi Jinping einen Vorzugspreis erhalten zu haben. Ein regierungsfreundliches Blatt titelte daraufhin: „Vucic, Putin und Xi retten Serbien.“

In Berlin und Brüssel dämmert es den Verantwortlichen, dass Großmächten wie Russland und China mit ihrer Impfdiplomatie Geopolitik betreiben. Wer Vakzine liefert, kann nicht nur auf einen Imagegewinn, sondern auch auf Einfluss hoffen. Berliner Überlegungen, mit Lieferungen von 20.000 Dosen für das Gesundheitssystem Solidarität zu bekunden, kommen allerdings reichlich spät. Dank der russischen und chinesischen Vakzine hat Serbien bereits einen höheren Anteil der Bevölkerung geimpft als alle EU-Mitgliedsstaaten.

In Brüssel hat der für die Nachbarschaft zuständige Kommissar Olivér Várhelyi angeregt, möglichst bald Impfstoff in die Länder des westlichen Balkans zu senden, wo China und Russland schon seit Jahren versuchen, ihre Macht mehren. Doch andere EU-Kommissare wiesen darauf hin, dass Südamerika und Afrika mindestens genauso dringend Impfstoff bräuchten.

So lange die Impfkampagne in der EU so schleppend anläuft, werden die Reserven fehlen für strategische Wohltaten. Das Problem könnte noch eine ganze Weile bestehen bleiben. Selbst wenn zusätzliche Hersteller die Produktion aufnehmen, können Mitgliedsstaaten nicht unbedingt Impfdosen an Drittländer weiter reichen. Der deutsche Hersteller Curevac, dessen Vakzin noch nicht genehmigt ist, hat sich etwa ausbedungen, Exporte und Schenkungen an Drittstaaten vom Unternehmen genehmigen zu lassen. Dies geht aus dem Vertrag mit der EU-Kommission hervor. Den Grund dafür nennt das Unternehmen nicht. Möglicherweise haben sich auch andere Hersteller eine solche Genehmigung gesichert. Nur bei AstraZeneca und Sanofi kann das ausgeschlossen werden, weil die Verträge veröffentlicht sind.

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Die Klausel von Curevac würde selbst bilaterale Impfdiplomatie erschweren. Wenn beispielsweise ein einzelnes EU-Land wie Deutschland beschließen sollte, auf eigene Rechnung Impfdosen zu verschicken, dann muss es vorher beim Hersteller anfragen. Obwohl der deutsche Staat an Curevac beteiligt ist. Auch in Berlin ist offenbar wenig über Impfdiplomatie nachgedacht worden.

Mehr zum Thema: Corona-Impfstoff ist knapp. Nun legt die EU-Kommission einen weiteren Vertrag über eine Nachbestellung bei Moderna vor.

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