Herr Mody, an diesem Freitag findet in Brüssel ein Euro-Gipfel statt, bei dem die Vertiefung der Währungsunion beschlossen werden soll. Wird der Euro nun stärker?
Wenn ich mir das Verhältnis von Worten und Taten in Europa ansehe, dann haben wir ein großes Missverhältnis. Das spiegelt die Tatsache wider, dass die Politik in der Eurozone unter extremen Zwängen agiert. Deswegen kommen aus der Politik so viele optimistische Botschaften und so viele leere Begriffe. Politiker verwenden Worte wie Währungsunion, die keine Bedeutung haben. In Europa gibt es eine gemeinsame Währung, mehr nicht.
Von der Rhetorik einmal abgesehen, wie beurteilen Sie die Beschlüsse, die anstehen?
Der europäische einheitliche Bankenabwicklungsfonds, der ohnehin schon klein ist im Vergleich zu dem was benötigt wird, soll vom Europäischen Rettungsschirm (ESM) künftig eine Kreditlinie bekommen. Das hilft im ersten Schritt sicherlich. Aber es handelt sich um einen Fortschritt mit Alibi-Charakter.
Wieso?
Niemand hat sich Gedanken gemacht, was eigentlich passiert, wenn der Fonds das Geld nicht zurückbekommt. Die Annahme ist, dass Kredite gerade billig sind, und man sich keine Sorgen machen muss.
Wie die Eurozone gestärkt werden soll
Geplant war eigentlich ein großer Wurf, oder zumindest ein mittelgroßer. Ziel ist, den Euro besser gegen Krisen zu wappnen, um das Vertrauen von Bürgern und Anlegern in die Währung zu stärken. Doch die beim EU-Gipfel am Freitag beschlossenen Reformen der Eurozone sind eher kleinteilig. Zwar haben Deutschland und Frankreich nach monatelangen Verhandlungen nun endlich eine gemeinsame Linie. Nur: Längst nicht alle Euro-Partner können sich mit den Ideen aus Paris und Berlin anfreunden. Vieles wird vertagt.
Die kühnste Idee, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron den Partnern nach Brüssel mitbrachten, ist ein „Haushalt für die Eurozone“. Für Macron ist das ein zentraler Punkt. Er will eine wirtschaftliche Angleichung der Länder, die ihre Währung teilen. Eine echte Wirtschaftsunion war ja bei Einführung des Euro auch vorgesehen. Macron und Merkel vereinbarten vorige Woche in Meseberg, schon ab 2021 mit einem solchen Haushalt „die Wettbewerbsfähigkeit, Annäherung und Stabilisierung in der Eurozone“ zu fördern.
Einzelheiten - um wie viel Geld geht es und woher kommt es und wie wird es ausgegeben? - ließen die beiden bewusst offen, offiziell, um die übrigen Euro-Partner nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die ziehen aber trotzdem vorerst nicht mit. Der Vorschlag taucht in den Gipfelbeschlüssen nicht auf. Immerhin heißt es darin, man begrüße Ideen aus den Mitgliedsstaaten, auch die deutsch-französischen. Alles werde nun weiter diskutiert und im Dezember werde sich ein weiterer Gipfel damit befassen. Allerdings herrscht Zeitdruck. Wenn es 2021 mit dem Euro-Budget losgehen soll, müsste dies bereits in den anstehenden Haushaltsberatungen mit ausgehandelt werden.
Das Projekt Bankenunion wurde 2012 gestartet und hat derzeit zwei Säulen: eine zentrale Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank und ein gemeinsamer Abwicklungsfonds für Banken in Schieflage. Damit soll verhindert werden, dass Steuerzahler bei Bankenpleiten haften müssen. Für den Abwicklungsfonds soll nun ein „Sicherheitsnetz“ geschaffen werden, im Fachjargon „backstop“ genannt. Das soll helfen, dass der Abwicklungsfonds auch bei großen Bankenpleiten nicht überfordert ist. Dass es so etwas geben soll, ist bereits seit 2013 Beschlusslage. Neu ist die Einigung, dass dieses „Sicherheitsnetz“ beim Eurorettungsschirm ESM aufgespannt werden soll, und zwar in Form einer Art Dispokredit. Vorher sollen aber noch Risiken bei den Banken abgebaut werden. Wenn das gut vorangeht, könnte der „backstop“ schon vor 2024 voll funktionstüchtig sein.
Ein noch viel dickeres Brett ist die Schaffung eines gemeinsamen Sicherungssystems für Sparguthaben, genannt Edis. Es soll verhindern, dass Anleger im Krisenfall in einem Land aus Angst um ihr Erspartes massenhaft Geld abheben. Deutsche Banken fürchten aber, für ausländische Geldinstitute in Schieflage haften zu müssen. Auch hier sollen zunächst Risiken bei Banken reduziert werden, vor allem der Bestand an faulen Krediten. Das Projekt bewegt sich deshalb im Schneckentempo: „Die Arbeit an einem Fahrplan für den Beginn politischer Verhandlungen“ für Edis solle starten, heißt es in den Gipfelbeschlüssen.
Für den Ausbau des Euro-Rettungsschirms ESM zu einem Europäischen Währungsfonds gibt es in Europa grundsätzlich breite Zustimmung. Der Teufel liegt im Detail. Derzeit wird der ESM von den 19 Euro-Staaten finanziert und kontrolliert. Er kann gegen strenge Spar- und Reformauflagen langfristige Kredite an pleitebedrohte Staaten vergeben, wenn die Stabilität der Eurozone in Gefahr ist. Merkel hat vorgeschlagen, dass ein künftiger EWF kurzfristiger und frühzeitiger helfen soll. Außerdem will sie, dass der EWF die wirtschaftliche Lage der Staaten aus eigener Kompetenz beurteilt. Da gibt es Kompetenzgerangel mit der EU-Kommission. In Summe herrscht noch einiger Klärungsbedarf. In der Gipfelerklärung taucht der etwaige künftige Währungsfonds nicht auf. Dort heißt es zum ESM, die Eurogruppe werde die Bedingungen für das neue Sicherheitsnetz ausarbeiten und bis Dezember Details zur weiteren Entwicklung des ESM vereinbaren.
Eine gemeinsame Einlagensicherung für die Eurozone ist erst einmal aufgeschoben, auch auf deutschen Druck. Gut oder schlecht?
Eine gemeinsame Einlagensicherung wird es nie geben. Sie würde bedeuten, dass Länder unbegrenzt Steuergelder versprechen würden. Das wird nicht passieren.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron pocht auf einen Eurozonenhaushalt. Ist der ökonomisch sinnvoll?
Macron kombiniert übertriebene Rhetorik mit Ideen, die in der Praxis keinerlei Bedeutung haben. Und sein Finanzminister Bruno Le Maire spricht bereits davon, dass der Euro-Haushalt „unverhandelbar“ sei. Wie kann er das entscheiden, es gibt 18 weitere Länder in der Eurozone. Dürfen die anderen nicht entscheiden? Und dann benennt er das Ganze noch um in Solidaritätsfonds. Dazu gibt es eine schöne Anekdote. Bereits 2012 hat der damalige französische Präsident François Hollande einen Eurozonenhaushalt vorgeschlagen. Merkel hat ihn bei einem Gipfel gefragt, wo das Geld dafür herkommen solle. Hollande antwortete, sie solle das Ganze als Solidaritätsfonds ansehen. Merkel fragte ihn darauf erneut: Und wo soll das Geld herkommen? Damit hatte sich das Thema erledigt.
Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern, damit der Euro besser funktioniert?
Ich habe drei Vorschläge, die aus europäischer Sicht sehr radikal sind. Erstens: Schafft die Maastricht-Regeln ab! Sie sind ein völliges Desaster. Die Maastricht-Regeln sind politisch zerstörerisch, weil sie Spannung zwischen den Ländern herstellen. Sie ergeben ökonomisch Sicht keinen Sinn, weil sie die Dinge nur verschlechtern.
Das müssen Sie erklären.
In Krisen zwingen die Regeln zu einem unnötig verschärften Sparkurs. Gleichzeitig disziplinieren sie nicht. Wenn es hart auf hart kommt, schummeln Regierungen. Oder sie versuchen, eine Ausnahme zu bekommen. Alle wissen, dass alle ein Spiel spielen.
Was würde Ihrer Meinung nach für mehr Haushaltsdisziplin in der Eurozone sorgen?
Ich komme zu meinem zweiten Vorschlag: Es gibt keine andere Option als automatische Umstrukturierung von Schulden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte 2010 in Deauville die richtige Idee.
Sie hat damals ein geregeltes Insolvenzverfahren für Staaten der Eurozone vorgeschlagen. Ab dem Jahr 2013 sollte ein Schuldenschnitt auf Staatsanleihen möglich werden, wenn Länder Hilfe aus dem europäischen Rettungsfonds beantragten. Aber wegen des erbitterten Widerstands des damaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) Jean-Claude Trichet, ließ Merkel das Vorhaben fallen. Ein Fehler?
Ja. Aber der öffentliche Aufschrei war zu groß. Dabei war die Kritik unberechtigt. Die Kritiker behaupteten, dass die Ankündigung einer Insolvenzordnung die Renditen von Staatsanleihen in die Höhe habe schießen lassen. Das war eine völlig falsche Darstellung. Gläubiger verstehen nämlich, dass Schuldner manchmal ihre Schulden nicht bedienen können. Und Merkel hatte eine Übergangszeit von drei Jahren eingeplant, das war sehr clever.