Eine Woche nach dem Unabhängigkeitsbeschluss des katalanischen Parlaments droht dem entmachteten und nach Belgien ausgereisten Regionalpräsidenten Carles Puigdemont das Ende seiner Freiheit und der Weg ins Gefängnis. Das Staatsgericht in Madrid erließ nach Angaben seines Anwalts einen Europäischen Haftbefehl. Neben Puigdemont seien auch vier Ex-Minister betroffen, die sich ebenfalls nach Brüssel abgesetzt hätten, sagte der Jurist Paul Bekaert am späten Donnerstagabend dem belgischen Sender VRT NWS unter Berufung auf Angaben von Puigdemont. Schon am Freitag könnte demnach die belgische Polizei den 54-Jährigen festnehmen. Eine offizielle Stellungnahme aus Madrid blieb dazu aus.
Dem Separatisten-Chef droht in Spanien eine Haftstrafe von bis zu 30 Jahren. Ihm werden Rebellion, Auflehnung gegen die Staatsgewalt und Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Grund ist der einseitige Unabhängigkeitsbeschluss, der das Parlament in Barcelona am Freitag vor einer Woche verabschiedet hatte. Die Zentralregierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte die katalanische Regierung daraufhin abgesetzt. Die wirtschaftsstarke Region im Nordosten Spaniens steht nun unter Zwangsverwaltung aus Madrid, das Neuwahlen für den 21. Dezember einberufen hat.
Puigdemont und die vier Ex-Minister hatten am Donnerstag eine Vorladung von Richterin Carmen Lamela missachtet. Die neun restlichen ehemaligen Angehörigen der katalanischen Regierung erschienen dagegen vor Gericht und wurden mit Untersuchungshaft belegt. Die sieben Männer und zwei Frauen wurden nach den Vernehmungen umgehend zu zwei Gefängnissen im Madrider Umland gefahren. Nur einer dieser Politiker darf gegen Zahlung einer Kaution von 50.000 Euro die Haft unter Auflagen verlassen.
Der abgesetzte katalanische Regierungschef Carles Puigdemont ist indes zur Zusammenarbeit mit der Polizei bereit. Sein belgischer Anwalt Paul Bekaert sagte der Nachrichtenagentur AP auf die Frage, ob Puigdemont sich nach Erlass eines Haftbefehls stellen werde: „Sicher, oder die Polizei kommt und holt ihn.“ Die Möglichkeit, Asyl in Belgien zu beantragen, sei „jetzt vom Tisch“.
Tausende Menschen gingen nach Bekanntgabe der Inhaftierungen in verschiedenen Städten Kataloniens auf die Straße, um gegen den Beschluss der Richterin zu protestieren. In der Hauptstadt Barcelona versammelten sich die Menschen vor dem Regierungspalast. In Lleida wurde die Zahl der Demonstranten auf 3000, in Tarragona auf 5000 geschätzt. Unzählige Katalanen schlugen in der Nacht aus Protest auf Balkonen und von Fenstern aus spontan auf leere Töpfe. In Barcelona war der Lärm in vielen Stadtvierteln zu hören.
Die Inhaftierungen wurden unter anderem von neutralen Politikern, von Gewerkschaftsverbänden, von TV-Moderatoren und auch vom Topclub FC Barcelona kritisiert. „Aktionen wie diese tragen nicht dazu bei, die Wege des Dialogs und des Respekts zu bauen, die wir als Institution immer verteidigt haben“, schrieb der Fußball-Topclub. Die linke Bürgermeisterin Barcelonas, Ada Colau, meinte vor Journalisten, alles deute auf „Revanchegelüste“ hin.
Kataloniens Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland
Etwa 1300 deutsche Firmen sind in Spanien aktiv, davon sind etwa 40 Prozent in Katalonien ansässig. Sie kommen besonders aus den großen Industriebranchen Chemie, Pharma und Auto. Zu den Unternehmen zählen unter anderem Allianz, BASF, Bayer, Bosch, Haribo, Siemens, Lidl und Volkswagen. Mehr als 400 katalanische Betriebe sind in Deutschland vertreten, vom Sekterzeuger Freixenet bis zum Tourismuskonzern Grupo Hotusa.
Deutschland ist neben dem benachbarten Frankreich der wichtigste Handelspartner Kataloniens. 18,3 Prozent der katalanischen Importe stammten 2015 aus Deutschland. Sie summierten sich auf fast 14 Milliarden Euro. Aus keinem anderen Land bezieht die Region mehr Waren. Gefragt sind vor allem Fahrzeuge mit einem Anteil von 34,6 Prozent an den deutschen Lieferungen nach Katalonien, gefolgt von Maschinen und Anlagen mit rund zehn Prozent.
Umgekehrt gehen rund zwölf Prozent der katalanischen Exporte nach Deutschland, was einem Warenwert von mehr als 7,5 Milliarden Euro entspricht. Nur Frankreich nimmt noch mehr Waren ab. Die Region liefert vor allem Fahrzeuge (39 Prozent), Geräte und Elektromaterial (6,5) sowie Kunststoffprodukte (6,3) nach Deutschland. Rund 2700 katalanische Unternehmen exportieren regelmäßig in die Bundesrepublik.
Deutsche Unternehmen haben Milliarden in Katalonien investiert. Allein 2013 waren es fast 900 Millionen Euro, die vor allem auf den Pharmasektor entfielen. 2014 kamen gut 200 Millionen Euro hinzu. 2015 waren es mehr als eine halbe Milliarden Euro, wovon fast ein Drittel auf den Lebensmitteleinzelhandel und mehr als 16 Prozent auf die Chemieindustrie entfielen.
Katalonien mit seinen 7,5 Millionen Einwohnern erwirtschaftet rund 200 Milliarden Euro. Das entspricht etwas einem Fünftel des spanischen Bruttoinlandsprodukts. Das Wachstum fiel 2015 und 2016 mit etwa 3,4 Prozent etwas stärker aus als in Spanien insgesamt. Allein Barcelona zählt mehr als 1200 Startup-Unternehmen.
Untersuchungshaft ohne Recht auf Kaution wurde für Puigdemonts Ex-Vize Oriol Junqueras und weitere sieben Politiker angeordnet. Der neunte Politiker, Santi Vila, der kurz vor dem Unabhängigkeits- Beschluss als Minister zurückgetreten war, darf dagegen bei Zahlung einer Kaution von 50.000 Euro auf freien Fuß gesetzt werden.
Nach einem europäischen Haftbefehl muss das Land, in dem die Person festgenommen wird, diese innerhalb von höchstens 60 Tagen nach der Festnahme an das Land übergeben, in dem der Haftbefehl ausgestellt worden war. Stimmt die Person ihrer Übergabe zu, so muss innerhalb von zehn Tagen über die Übergabe entschieden werden.
Der belgische Migrationsminister Theo Francken hält ein politisches Asyl für den abgesetzten katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont für möglich. "Das ist nicht unrealistisch, wenn man sich die Situation anschaut", sagte Francken, der der nationalistischen flämischen Partei N-VA angehört, am Freitag dem Fernsehsender VTM. In Spanien werde bereits über eine Haft gesprochen. "Die Frage ist, inwieweit er einen fairen Prozess bekommen würde", sagte der Minister. Belgien ist eines der wenigen EU-Länder, in denen EU-Bürger politisches Asyl beantragen können. Puigdemont hält sich seit einigen Tagen in Brüssel auf.
Der belgische Ministerpräsident Charles Michel hat Madrid und Barcelona zu einem Dialog aufgefordert. Die Beziehungen von Belgien zu Spanien hatten sich in den 1990er und den 2000er Jahren eingetrübt, als sich das Land weigerte, ein Paar nach Spanien auszuweisen, dem Mitarbeit in der militanten baskischen Organisation ETA vorgeworfen wurde.