Rahim Taghizadegan „Dann bleiben nur noch Kapitalflucht und Währungskrach“

Rahim Taghizadegan Quelle: PR

Der Direktor der Wiener Denkfabrik Scholarium, Rahim Taghizadegan, über die zersetzende Wirkung solidarisch begründeter Schuldenwirtschaft und die Zukunft der EU.  

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Rahim Taghizadegan leitet das Scholarium, eine private Bildungseinrichtung in Wien. Zudem lehrt er an der Internationalen Akademie für Philosophie in Liechtenstein und an der IMC Fachhochschule Krems. Zuvor hatte er Lehraufträge an der Universität Liechtenstein, der Wirtschaftsuniversität Wien und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Herr Taghizadegan, die EU-Kommission hat einen Wiederaufbaufonds im Volumen von 750 Milliarden Euro vorgeschlagen, um den Ländern unter die Arme zu greifen, die besonders unter der Corona-Pandemie leiden. Wie sinnvoll ist ein solcher Wiederaufbaufonds?
Der Fonds hat mit Wiederaufbau so viel zu tun wie die Bundeswehr mit einer einsatzfähigen Armee. Fließen werden die Mittel überwiegend an Bürokraten, Berater, politische Klientele und jene Wirtschaftstreibende, die am schlechtesten dabei waren, die Zukunft richtig einzuschätzen – also Kapitalkonsumenten.

Die Befürworter eines Wiederaufbaufonds verweisen darauf, Europa sei eine Solidargemeinschaft. Brauchen wir in der EU nicht mehr Solidarität?
Europa ist ein Kontinent, die EU eine Institution, mit Gemeinschaft hat beides überhaupt nichts zu tun. Solidarität war auch nie der tragende Gedanke der EU. Solidarität ist ein edles Motiv, der Beitrag echter Solidarität zu Wohlstand und Frieden moderner Gesellschaften ist jedoch verschwindend gering. Darum handelt es sich bei ihr in der Regel um ein politisches Schlagwort, das als Alibi unsolidarische Interessen verdeckt.

Die Sparsamen Vier, also Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark, wollen aus dem Wiederaufbaufonds keine Zuschüsse, sondern nur Kredite gewähren. Ist es überhaupt sinnvoll, hochverschuldeten Ländern wie Italien und Griechenland Kredite anzubieten, die ihre Schuldenlast weiter erhöhen?
Es ist Symbolpolitik und Verhandlungstaktik. Wachsende Schulden ohne wachsende Produktivität, die zudem schrankenlos monetisiert werden, sind nur symbolpolitisch „sparsamer“, realwirtschaftlich natürlich nicht.

Häufig ist zu hören, die EU habe nur eine Zukunft, wenn sie mehr Politikbereiche vergemeinschaftet, eine gemeinsame Fiskalpolitik entwickelt und auf gemeinsame Haftung setzt.
Angleichung der Währungen und Zinsen ohne Angleichung der Produktivität und Steuermoral – also der Menschen – birgt gewiss Sprengstoff. Wäre also, um EU und EuroO zu retten, eine maoistische Kulturrevolution alternativlos? Es wäre jedenfalls, wie Mao richtig erkannt hatte, sinnlos darüber zu diskutieren. Die heutigen Kommissare und Kommissarinnen, ihre überbezahlten Berater und Bürokraten, ihre Leitartikler und Experten werden sich die Hände nicht schmutzig machen. Daher sind diese wütenden Forderungen und „Visionen“ bloß politische Pose und Taktik, Wichtigtuerei, Selbstüberschätzung und Ablenkung.

Die Staaten haben sich im Zuge der Corona-Pandemie massiv verschuldet. Lassen sich die Schulden je wieder abbauen?
Die Schulden lassen sich aus ökonomischen, demographischen und geopolitischen Gründen gewiss nicht abbauen. Der Weg geht daher weiter in die Richtung, die durch die „Modern Monetary Theory“ vorgezeigt wird: die Finanzierung der Staatshaushalte durch die Notenpresse. Solange die Gläubiger noch reale Anleger sind, könnte man zu ihren Gunsten die Insolvenzverschleppung durch die Politik ahnden und Vermögenswerte zur Besicherung heranziehen – etwa Staatsimmobilien. Sobald die Zentralbank zum wesentlichen Gläubiger wird, ist eine irgendwie gerechte Aufarbeitung oder Abwicklung ohnedies unmöglich. Dann bleiben nur Systemalternativen, Kapitalflucht, Währungskrach.

Ließe sich das nicht noch verhindern?
Ich empfehle Politikern und Zentralbankern, den Schaden nicht zu vergrößern und alle Hürden abzubauen, die gesellschaftliche Lernfähigkeit, Experimente mit alternativen Formen von Geld, Kapital, Finanzierung sowie unternehmerische Wagnisse behindern

Die zentrifugalen Kräfte in der EU nehmen seit längerem zu. Hat die EU überhaupt noch eine Zukunft?
Wahrscheinlich wird sie zu einem Papiertiger, zu einem Beschäftigungsprogramm für weltwirtschaftlich nicht mehr vermittelbare Akademiker und nationalstaatlich nicht mehr gewählte Politiker. Bei den kommenden Problemen, für welche die aktuelle Pandemie nur eine sanfte Generalprobe war, wird die Spaltung quer durch die Gesellschaften gehen. Solidarität, Frieden, Einigung werden dann vielleicht wieder reale Notwendigkeit und nicht bloß politische Phrasen sein. Im besten Fall werden die positiven Elemente der europäischen Nachkriegsvision wieder reale Wirkung und Relevanz entfalten. Erzwingen kann man sie nicht, man muss sie sich erarbeiten. An manchen Stellen wird man bei null wiederanfangen müssen.

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