Raumfahrt Europa, wir haben ein Problem

Bei diesem neuen Wettlauf in der Raumfahrt steht genauso viel auf dem Spiel wie im Kalten Krieg. Quelle: imago images

Europa hängt bei Projekten im Weltall hinterher. Das muss sich ändern. Wir müssen unsere Vorzeigeunternehmen mehr unterstützen.

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Rodrigo da Costa ist Exekutivdirektor der Agentur der Europäischen Union für das Weltraumprogramm. Kris Peeters ist Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank.

Das Potenzial der digitalen Revolution zur Schaffung neuer Wachstumschancen, zur Transformation unserer Volkswirtschaften und zur Unterstützung des ökologischen Wandels ist stark auf Technologien angewiesen, die im wahrsten Wortsinn nicht von dieser Welt sind. Die heutigen automatisierten Dienstleistungen und KI-Anwendungen erfordern präzise, aktuelle Daten, die von weltraumgestützten Technologien (globalen Navigations-, Erdbeobachtungs-, Umweltüberwachungs- und Kommunikationssatelliten) bereitgestellt werden.

Dies gilt für die Landwirtschaft, den Verkehr, den Energiesektor, die Verteidigung und sogar das Finanzwesen. Landwirte stützen sich auf Satelliten, um Entscheidungen darüber zu treffen, was sie wann anpflanzen, während Schiffe, Flugzeuge, Züge und Autos Satellitendaten zur sicheren und effizienten Navigation nutzen. Energieunternehmen brauchen Satelliten für die Überwachung der Leistung ihrer Stromnetze und für deren Wartung, und Finanzdienstleister nutzen die von ihnen erhobenen einzigartigen Daten für Anlageentscheidungen und eine präzise Zeiterfassung.

Die Europäische Union hat im Rahmen milliardenschwerer Projekte wie Galileo und EGNOS (European Geostationary Navigation Overlay Service), dem Erdbeobachtungssystem Copernicus und dem Programm zur Gewährleistung einer sicheren Satellitenkommunikation GOVSATCOM stark in diesem Bereich investiert. Europa hat zudem viele Unternehmen, die bei der Innovation im Raumfahrtbereich ganz vorn mit dabei sind. Doch bei den Investitionen in weltraumgestützte Technologien – insbesondere schnell wachsende strategische Sektoren wie Verbraucherlösungen und Drohnen – wird Europa von anderen, darunter den USA und Asien, abgehängt.

Europas Platz in der Welt von morgen wird weitgehend durch seine Wettbewerbsfähigkeit, seinen Einfluss und seine Fähigkeit zu autonomem Handeln bestimmt werden. Das bedeutet, dass wir mehr in weltraumgestützte Technologien investieren müssen, von denen viele nicht nur zivile Anwendungen haben, sondern sich auch zu Verteidigungszwecken nutzen lassen.

Laut dem gemeinsamen Bericht über Investitionen in globale Navigationssatellitensysteme der Agentur der Europäischen Union für das Weltraumprogramm und der Europäischen Investitionsbank (EIB) sind die Forschungsausgaben für mit der Satellitennavigation verbundene Technologien und Dienstleistungen in Europa von 2016 bis 2019 um durchschnittlich 5,7 Prozent pro Jahr gestiegen. Die nordamerikanischen und asiatischen Unternehmen jedoch haben ihre jährlichen Forschungsausgaben in diesem Bereich um 8,6 Prozent bzw. 8,7 Prozent gesteigert. Um wettbewerbsfähig zu bleiben und sich seine Autonomie im Bereich der Raumfahrttechnologie zu bewahren, wird Europa im Laufe der nächsten zehn Jahre rund 42 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung investieren müssen.

Rund 85 Prozent der europäischen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen für Dienstleistungen im Bereich der Satellitennavigation entfallen auf nur fünf große Unternehmen. Während diese Branchenführer sowohl über die Ressourcen für Reinvestitionen als auch über einen problemlosen Zugang zum Kapitalmarkt verfügen, ist es für kleinere europäische Unternehmen deutlich schwieriger, an Finanzmittel zu kommen, insbesondere im Vergleich zu ihren Wettbewerbern aus den USA und aus Asien.

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Ein Faktor, der Europa ausbremst, ist ein Mangel an auf den Raumfahrtsektor spezialisierten Wagniskapitalgebern. Dieser Mangel zwingt viele von Europas aufstrebenden Unternehmen, sich ausländischem Kapital zuzuwenden. Während der letzten fünf Jahre haben nordamerikanische und asiatische Wettbewerber Beteiligungen von mindestens 5 Prozent an 14 europäischen Unternehmen im Satellitennavigationssektor erworben. Diese Erwerbungen senken nicht nur Europas Anteil am weltweiten Umsatz, sondern untergraben durch Verringerung der potenziellen technologischen Fähigkeiten und durch Beeinträchtigung der Innovationswertschöpfungskette auch seine Wettbewerbsfähigkeit.

Der öffentliche Sektor spielt in der Raumfahrtindustrie sowohl in Europa als auch bei unseren Wettbewerbern eine enorme Rolle. Als Bank der EU unterstützt die EIB die europäische Raumfahrtindustrie im Rahmen ihrer regulären Kreditvergabe, durch Wagniskapital, den Europäischen Investitionsfonds (EIF) und verschiedene zielgerichtete Programme. Hierzu gehören die im Januar 2022 gestartete CASSINI-Initiative zur Förderung des Unternehmertums im Raumfahrtsektor im Volumen von einer Milliarde Euro und die neue Strategische Europäische Sicherheitsinitiative im Volumen von sechs Milliarden Euro, die die EIB im März 2022 vorgestellt hat. Wir haben zudem in innovative europäische Satellitenhersteller mit hohem Potenzial wie Spire (Luxemburg), D-Orbit (Italien) und EnduroSat (Bulgarien) investiert.

Doch reicht das nicht aus, um mit Amerika, China und Japan gleichzuziehen, die Raumfahrt-Start-ups nicht nur durch Bereitstellung von Geldern zu wachsen und zu reifen helfen, sondern ihre Raumfahrtindustrien auch durch Vergabe von Regierungsaufträgen an aufstrebende Unternehmen unterstützen. Dieser Ansatz verschafft amerikanischen, chinesischen und japanischen Unternehmen ein öffentliches Gütesiegel und stetige Einnahmen, die ihnen wiederum helfen, sich zu mächtigen Global Players zu entwickeln.

Es steht bei diesem neuen Wettlauf in der Raumfahrt genauso viel auf dem Spiel wie im Kalten Krieg. Diesmal jedoch ist Europa ein ernstzunehmender Konkurrent. Um allerdings im Spiel zu bleiben, müssen wir mehr tun, um unsere Vorzeigeunternehmen zu unterstützen – angefangen damit, dass wir kleinen und mittelständischen Unternehmen in diesem wichtigen Sektor einen besseren Zugriff auf maßgeschneiderte Finanzierungslösungen bieten, um ihnen zu helfen, ihre neuen Technologien großmaßstäblich zu produzieren und zu vermarkten.

Am 29. und 30. Juni sind verschiedene Marktteilnehmer in Paris zusammengekommen, um diese Themen im Rahmen eines von der EIF ausgerichteten Workshops mit dem Titel Backing the Stars of Europe: New Horizons for Private Investment Funds in the Space Sector zu diskutieren. Wie die jüngsten globalen Entwicklungen gezeigt haben, kann Europa es sich nicht leisten, Bemühungen zur Stärkung seiner Wettbewerbsfähigkeit und Autonomie hinauszuschieben – auf der Erde und im Weltraum.

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Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2022.

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