Raus aus dem Shutdown Österreichs Händler dürfen wieder öffnen – doch die Verwirrung ist groß

Blick auf die Pestsäule in der Wiener Innenstadt. Nach Ostern sollen die Händler wieder öffnen dürfen. Quelle: imago images

Österreich lockert ab Dienstag seine Schutzmaßnahmen. Doch vieles bleibt unklar. Händler und Arbeitnehmer sind deshalb verunsichert, Gewerkschafter fürchten Tricksereien.

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Rund hundert Meter entfernt von der Pestsäule, einer markanten Renaissance-Säule inmitten der Einkaufsstraße Graben in der Wiener Innenstadt, steht das Modegeschäft „Brieftaube“ von Marie-Béatrice Fröhlich. Sie braucht in diesen Tagen keine Erinnerungsarchitektur an die Pest, um zu wissen, was Pandemien anrichten können. Vier Wochen musste sie ihr Geschäft wegen dem Corona-Virus geschlossen halten und alle 18 Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. „Der Umsatzausfall liegt bei 100 Prozent“, sagt Fröhlich.

Am Dienstag nach Ostern will Fröhlich ihr Geschäft wieder aufsperren. Die österreichische Bundesregierung erlaubt kleineren Händlern wie ihr, ihre Läden unter strikten Sicherheitsauflagen wieder zu öffnen. Damit die Kunden sicher shoppen können, hat Fröhlich zusammen mit anderen Händlern der Straße Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel bestellt. „Meine Mitarbeiter werden den Türknauf der Umkleidekabine nach jedem Kundenkontakt desinfizieren“, sagt Fröhlich. Doch welches Übertragungsrisiko besteht eigentlich, wenn Kunden die Kleidung anprobieren? Und gilt die Zusage der österreichischen Bundesregierung für Kurzarbeit weiterhin auch für jene Mitarbeiter, die Fröhlich aufgrund der zu erwartenden schwachen Nachfrage vorerst nicht in den Dienst holen kann?

Österreich will den durch das Coronavirus lahmgelegten Handel als erstes Land Europas wieder schrittweise hochfahren. Ab Dienstag dürfen Händler mit einer Verkaufsfläche von unter 400 Quadratmeter ihre Läden wieder öffnen - davon profitieren rund 80 Prozent aller Einzelhändler. Am 2. Mai sollen dann auch größere Geschäfte folgen. Bedingung dafür ist die Einhaltung von strikten Sicherheitsmaßnahmen: So müssen Kunden einen Mund-Nase-Schutz tragen, die Geschäfte müssen regelmäßig desinfiziert werden und pro 20 Quadratmeter Verkaufsfläche soll sich nur ein Kunde aufhalten dürfen. Hotels und Gastronomie bleiben weiter geschlossen, öffentliche Veranstaltungen bleiben vorerst verboten und die Schulen sollen frühestens Mitte Mai öffnen.

Das Wiederhochfahren des Handels in Österreich sorgt europaweit für Aufmerksamkeit. Bei vielen Händlern und Angestellten sorgen die Vorgaben der Regierung hingegen für Verunsicherung. Denn bis vergangenen Mittwoch hat die Bundesregierung ihren medial verbreiteten Ankündigungen keine konkrete Verordnung folgen lassen. „Wir wissen nicht, worauf wir uns einstellen müssen, weil es einfach noch keinen Gesetzestext gibt. Wir würden uns weniger Pressekonferenzen und dafür mehr Gesetzestexte wünschen“, kritisiert etwa die österreichische Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA-djp). Ob das österreichische Modell zum Wiederhochfahrens des Handels für andere Länder taugt, wird daher erst der Praxistest zeigen.

Was genau am Dienstag passieren wird und wer dann eigentlich wieder arbeiten darf oder muss, ist in vielen Aspekten unklar. „Viele Beschäftigte wissen nicht, ob sie arbeiten müssen. Das Problem zieht sich außerdem noch weiter, da in vielen Fällen auch die Kinderbetreuung geregelt werden muss“, heißt es von der Gewerkschaft GPA-djp.

von Sven Böll, Camilla Flocke, Henryk Hielscher, Rüdiger Kiani-Kreß, Dieter Schnaas, Martin Seiwert, Cordula Tutt

Zudem befürchtet die Gewerkschaft, dass einige Händler mit einer größeren Verkaufsfläche Tricks anwenden könnten, um ebenfalls nach Ostern öffnen zu können. So habe die Gewerkschaft Anrufe von Handelsbeschäftigten erhalten, „die berichteten, dass Händler ihre Waren in den vorderen Bereich des Geschäfts verlagern und die restliche Fläche zum Beispiel mit Absperrband unzugänglich machen.“ Ausdrücklich verboten sind solche Manöver nicht - zumindest solange, bis eine entsprechende Verordnung Klarheit schafft.

Rainer Will, Geschäftsführer des österreichischen Handelsverbands, „begrüßt“ die von der Regierung angekündigte schrittweise Öffnung des Handels. „Das ist für unsere Händler ein positives Signal hinsichtlich Planbarkeit und für die Konsumenten ein erster wichtiger Schritt Richtung neuer Normalität“, so Will.

Zugleich kritisiert er die Staffelung der Öffnung nach der Größe der Verkaufsfläche: „Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass im Sinne der Fairness nicht zwischen großen und kleinen Händlern differenziert wird und alle zeitgleich wieder öffnen dürfen.“ So habe der Handelsverband eine „möglichst einfache, unkomplizierte und nicht-diskriminierende Regelung“ empfohlen, um die heimischen Konsumenten und auch die Handelsmitarbeiter nicht zu verwirren. „Auch aus logischen Überlegungen hätte eine Verteilung der Kunden auf sämtliche Handelsflächen Sinn ergeben“, so Will.

Will rechnet damit, dass die Händler in Österreich ab der Wiedereröffnung am Dienstag „im Eingangsbereich“ entsprechende Mitarbeiter abstellen, „welche die Zugangskontrolle durchführen“ und kontrollieren, ob tatsächlich alle Kunden Mundschutz tragen. Überwacht werden müsse zudem die Zahl der Kunden, die gleichzeitig in das Geschäft dürfen. Einfach umzusetzen sei das in jenen Märkten, in denen Einkaufwagen zur Verfügung stehen, die dann einfach abgezählt werden könnten. Ansonsten müssten Mitarbeiter beim Einlass die Kunden zählen.

Wie konkret das in der Praxis funktionieren soll, ist noch weitgehend unklar. „Kleinere Händler müssten eigentlich extra Mitarbeiter dazu abstellen, den Eingang zu kontrollieren oder dafür einen Sicherheitsdienst engagieren. Das stelle ich mir in der Praxis sehr schwierig vor“, heißt es aus dem Umfeld des österreichischen Handelsverbands.

Marie-Béatrice Fröhlich scheint sich darum keine Sorgen zu machen. „Momentan sind keine Touristen in Wien und die Gastronomie ist ebenfalls geschlossen. Deshalb wird die Kunden-Frequenz sehr niedrig sein. Ich rechne nicht damit, dass mehr als zehn Menschen gleichzeitig in mein Geschäft kommen werden.“ Und was, wenn doch? „Dann werden wir ihnen am Eingang einen Espresso servieren und bitten, noch ein paar Minuten vor dem Geschäft zu warten.“

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