Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan beschimpft deutsche Politiker gern als Nazis. Deutsche Journalisten und deutsche Menschenrechtler lässt er ohne Beweise ins Gefängnis werfen. Deutsche Rüstungsmanager hingegen scheint er zu mögen. Mit ihnen versteht er sich gut. Behandelt sie wie seine Freunde.
Im November 2015 findet im prunkvollen Yildiz-Palast in Istanbul ein brisantes Treffen statt. Erdoğan empfängt hier hochrangige Gäste – wenige Wochen zuvor auch die deutsche Bundeskanzlerin. Jetzt, im November, hat der türkische Präsident eine Runde von Männern zu Gast, die mit seiner Hilfe viel Geld verdienen wollen. Es sind drei Manager des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall mit ihren Geschäftspartnern aus der Türkei und Malaysia. Sie sind von Erdoğan zum Abendessen in den osmanischen Palast geladen worden. Es geht um ein zu diesem Zeitpunkt noch geheimes, politisch gefährliches Panzergeschäft.
Bislang war nur vermutet worden, dass dieses Treffen stattgefunden hat. Jetzt gibt es einen Beweis: ein Foto, aufgenommen im Yildiz-Palast. Es zeigt Erdoğan, breitbeinig in der Mitte, umringt von seinen Gästen, rechts neben dem Präsidenten der Rheinmetall-Manager Andreas Schwer. Schwer sieht sehr zufrieden aus.
Schlüsselstaat Türkei
Die Republik Türkei ist laut der Verfassung von 1982 ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat. Regiert wird das Land von Ministerpräsident Binali Yildirim und dem Kabinett. Staatsoberhaupt ist Recep Tayyip Erdogan, als erster Präsident wurde er 2014 direkt vom Volk gewählt. Im türkischen Parlament sind vier Parteien vertreten, darunter - mit absoluter Mehrheit - die islamisch-konservative AKP von Erdogan. Parteien müssen bei Wahlen mindestens 10 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, um ins Parlament einziehen zu können. Die Türkei ist zentralistisch organisiert, der Regierungssitz ist Ankara. (dpa)
Die Türkei ist seit 1999 Kandidat für einen EU-Beitritt, seit 2005 wird darüber konkret verhandelt. Würde die Türkei beitreten, wäre sie zwar der ärmste, aber nach Einwohnern der zweitgrößte Mitgliedstaat, bei derzeitigem Wachstum in einigen Jahren wohl der größte.
Als Nachbarstaat von Griechenland und Bulgarien auf der einen Seite und Syrien sowie dem Irak auf der anderen Seite bildet die Türkei eine Brücke zwischen der EU-Außengrenze und den Konfliktgebieten des Nahen und Mittleren Ostens.
Seit Beginn des Syrien-Konflikts ist die Türkei als Nachbarstaat direkt involviert. Rund 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge nahm das Land nach eigenen Angaben auf. Die türkische Luftwaffe bombardiert allerdings auch kurdische Stellungen in Syrien und heizt so den Kurdenkonflikt weiter an.
1952 trat die Türkei der Nato bei. Das türkische Militär - mit etwa 640 000 Soldaten und zivilen Mitarbeitern ohnehin eines der größten der Welt - wird bis heute durch Truppen weiterer Nato-Partner im Land verstärkt. Im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe sollen auch Atombomben auf dem Militärstützpunkt Incirlik stationiert sein.
Mehr als anderthalb Jahre lang blieb das Foto unter Verschluss und das Treffen ein Geheimnis. Das ist nicht ungewöhnlich für heikle Rüstungsgeschäfte. Im März 2017 enthüllte CORRECTIV zusammen und der türkischen Exilredaktion „Özgürüz“ und dem „Stern“ Details des Deals, der bei diesem Abendessen in Istanbul offenbar besprochen wurde: Rheinmetall hat mit den Geschäftspartnern aus der Türkei und Malaysia ein Unternehmen gegründet, das Panzer für Erdoğans Militär bauen soll.
Jetzt liegen CORRECTIV und seinen Recherchepartnern das Beweisfoto aus dem Palast und weitere interne Firmenunterlagen vor. Sie erlauben einen Blick in die Dunkelkammer des militärisch-politischen Geschäfts. Sie erzählen, wie das größte deutsche Rüstungsunternehmen einen Milliardendeal einfädelte und wie es Gesetzeslücken bis heute nutzen kann.
Die Papiere legen nahe, dass Rheinmetall Ende 2015 Erdoğans persönlichen Segen für die Pläne des Konzerns bekommen hat. Wie sich Rheinmetall ganz gezielt Partner in der Türkei sowie in Malaysia suchte, die über enge persönliche und politische Beziehungen zum türkischen Präsidenten und dessen Familie verfügen. Die Recherchen nähren zudem den Verdacht, dass die Bundesregierung über das Panzerprojekt frühzeitig informiert war. Und obwohl Erdoğan sein Land weiter in Richtung Diktatur treibt, hat Rheinmetall die Kooperation noch immer nicht aufgekündigt.
Die Konzernchefs wissen, dass die Bundesregierung den Export von Panzern in die Erdoğan-Türkei nicht genehmigen würde. Deshalb erdachten sie einen Trick: Warum nicht die Panzer vor Ort in der Türkei produzieren lassen – und damit den Ausfuhrregeln entkommen?
Die vorliegenden Papiere beweisen: Rheinmetall hat alles von langer Hand vorbereitet. Kurze Zeit nach dem Treffen im Palast, im Dezember 2015, wird eine interne Präsentation erstellt, verfasst offenbar von Andreas Schwer, dem Manager, der beim Abendessen dabei war. „Strikt vertraulich“ werden darin auf 16 Seiten Wege skizziert, wie der deutsche Konzern Erdoğans Armee aufrüsten könne. Rheinmetall denkt auch an Rüstungslieferungen für das absolutistisch regierte Emirat Katar, einen Verbündeten der Türkei.