Rede zum Brexit Theresa May laviert weiter

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„Harte Wahrheiten und harte Fakten“

Zwar war May diesmal etwas konkreter als bei ihren beiden vorangegangenen Grundsatzreden zum Thema Brexit im Londoner Lancaster House im Januar 2017 und in Florenz im September letzten Jahres. So warnte sie die Briten vor „harten Wahrheiten und harten Fakten“: der Zugang zum Binnenmarkt werde nach dem Brexit nicht mehr in allen Fällen so unkompliziert sein wie heute. Ohne die Brexitiers beim Namen zu nennen, stimmte sie die Briten auch darauf ein, dass die Urteile des Europäischen Gerichtshof in einigen begrenzten Bereichen weiterhin relevant bleiben würden. Das betreffe etwa die von Großbritannien gewünschte „assoziierte Mitgliedschaft“ in der Medizinagentur, der Luftfahrt- und der Chemiebehörde.

Letztlich basiert ihre gesamte Verhandlungsstrategie jedoch auf dem Wunsch, die künftigen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen mit der EU in drei verschiedene „Körbe“ einzuteilen. Auf bestimmten Feldern – etwa der Sicherheitspolitik - wünscht man sich demnach eine sehr enge Übereinstimmung , in anderen Bereichen eine lockere Beziehung und schließlich im dritten Korb, die Möglichkeit, grundsätzlich abzuweichen.

Mays Rede an diesem Freitag stand unter einem schlechten Stern. Sie wirkte nervös, verhaspelte sich häufig und wirkte angespannt, biss sich wiederholt auf die Unterlippe. Das extreme Winterwetter hatte sie kurzfristig gezwungen, ihre Rede im Herzen der Londoner City zu halten statt wie geplant im nordenglischen Newcastle. Die Kernaussagen spiegelten auch die schwierigen politischen Machtverhältnisse in ihrem gespaltenen Kabinett und in ihrer Partei wider. Denn sie repräsentierte den kleinsten gemeinsame Nenner, auf den May ihre Kollegen einschwören konnte. Doch die Stunde der Wahrheit rückt näher: schon bald werden die unrealistische Wünsche an der harten Realität zerschellen. Vor allem weil die EU die Geduld verliert und den Verschleierungs- und Schlingerkurs der britischen Regierung nun als Bluff entlarvt. „Außerhalb der Zollunion und des gemeinsamen Markts kann es keinen reibungslosen Handel geben“, betonte EU-Ratspräsident Donald Tusk, der May am Donnerstag in London aufgesucht hatte. Er kündigte seinerseits für kommende Woche Vorschläge für die künftigen Beziehungen an.

May argumentiert, der  Austritt aus dem Binnenmarkt sei nötig, um das Versprechen einzuhalten die eigenen Grenzen und die Einwanderung wieder von London aus kontrollieren zu können und der Abschied aus der Zollunion sei notwendig, um eigenständige Handelsverträge mit aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie China abzuschließen. Doch beides ist für die meisten Unternehmen im Vereinigten Königreich von sekundärer Bedeutung, weil immer noch rund 45 Prozent der britischen Exporte in die EU gehen.

Der ehemalige britische Handelsstaatssekretär Martin Donnelly warnt deshalb auch: den Binnenmarkt und die Zollunion zu verlassen sei wie „ein Drei-Gänge-Menü wegen der Aussicht auf eine Tüte Chips auszuschlagen“.

May, Chefin einer Minderheitsregierung steht von allen Seiten unter Druck: Die harten Euroskeptiker im Kabinett und in der Partei wie Außenminister Boris Johnson versuchen gnadenlos, den Druck zu erhöhen um sie zu einem kompromisslosen Konfrontationskurs gegenüber Brüssel zu zwingen. Gleichzeitig droht nun auch eine Rebellion der eher EU-freundlichen Abgeordneten ihrer eigenen Partei. Zwar rief sie am Freitag ihre Landsleute zur Einigkeit auf, doch das wird ihr nicht gelingen. Labour-Chef Jeremy Corbyn, der sich Anfang der Woche erstmals öffentlich für eine Zollunion zwischen Großbritannien und der EU aussprach, setzt darauf, die Tory-Rebellen auf seine Seite zu ziehen und mit einer solchen Allianz den Sturz der May-Regierung einzuleiten. Seine Chancen stehen nicht schlecht. Sein Vorschlag zur Zollunion hat ihm außerdem viel Zustimmung von den Wirtschaftsverbänden eingetragen, die dem Ultralinken, der die Versorger und die Eisenbahn verstaatlichen und die Steuern kräftig erhöhen will, normalerweise äußerst skeptisch gegenüber stehen.

In so einer fast aussichtslosen Situation den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, erfordert Mut. Mut zur Ehrlichkeit, zum Aussprechen unbequemer Wahrheiten. Kurz: echte Führungsstärke. Die aber fehlt May. Die Fronten zwischen London und Brüssel in Sachen Brexit verhärten sich. Doch May ist in der schwächeren Position.

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