Reformen für Italien Die waghalsigen Pläne des Matteo Renzi

Regierungschef Matteo Renzi will das Land modernisieren. Bekommt er eine Verfassungsänderung durch, hat er freie Bahn für weitere Reformen.

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Matteo Renzi Quelle: AP

Mitten in Rom drängten sich am Freitag an die 3000 wütende Touristen vor den Eisengittern des Kolosseums. Geschlossen – Betriebsversammlung, lasen die Ausgesperrten auf Schildern am Eingang der Kampfarena, dem einträglichsten Kulturschatz Italiens. Im Sommer erst waren chaotisch anmutende Bilder von der verriegelten Ruinenstadt Pompeji um die Welt gegangen. Diesmal jedoch meldete sich der Regierungschef zu Wort: „Wir werden die Kultur nicht als Geisel in den Händen antiitalienischer Gewerkschaften lassen“, twitterte Matteo Renzi.

Gesagt, getan. Noch am Abend desselben Tages verabschiedete die Regierung ein Eildekret. Es stellt den Betrieb von Sehenswürdigkeiten mit grundlegenden Dienstleistungen wie der Krankenversorgung oder dem Personentransport gleich. Gewerkschafter müssen künftig Arbeitsunterbrechungen und Streiks genehmigen lassen.

Daten zu Italiens Wirtschaft

So also regiert Renzi 19 Monate nach seiner Palastintrige. Im Februar 2014 hatte der 40-Jährige aus Florenz seinen Parteifreund Enrico Letta zum Rücktritt gezwungen, um Italien vom Bann der Lähmung zu befreien. Sein Stil hat sich seither kaum geändert: ungestüm, skrupellos, waghalsig inszeniert er den Kampf mit den Gewerkschaften als Konstante seiner Erneuerungsstrategie. Der Macher gegen die Bremser, der Modernisierer gegen die Besitzstandswahrer. Vom Widerstand des linken Flügels seiner Partito Democratico (PD) und den Protesten der Gewerkschaften lässt er sich nicht stoppen.

In diesen Tagen nun gelangt der Sturmlauf des Sozialdemokraten gegen die verkrusteten Strukturen seines Landes an den entscheidenden Punkt. Der Senat in Rom soll in dritter Lesung seiner eigenen Entmachtung zustimmen und damit das Zweikammersystem überwinden, das das Regieren in Italien so schleppend macht. Zwei von drei Italienern begrüßen das Vorhaben. Dass es bei der Abstimmung im Senat eng werden könnte, sorgt Renzi nicht. „Genug Stimmen hat es immer gegeben, für alle Reformen, die wir verabschiedet haben. Es wird sie auch für die Senatsreform geben“, versichert der Regierungschef. Bis zum 15. Oktober soll die Verfassungsreform abgehakt sein. Gelingt ihm das, hat Renzi für seine weitere Reformpolitik freie Bahn.

Wirtschaftswachstum in Italien (zum Vergrößern bitte anklicken)

Die Blockade gelöst

Aus dem Schneider ist sein hoch verschuldetes Land damit zwar noch nicht. Doch immerhin hat sich die Selbstblockade gelöst. Die Reformen des Arbeitsmarkts, der staatlichen Verwaltung, der Bildung und der Volksbanken sind verabschiedet. Steuersenkungen, Beschäftigungsanreize, Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption, der Steuerflucht und der Bürokratie sollen die komatöse Wirtschaft aufwecken. Im Frühjahr boxte er ein neues Wahlrecht durch. Eine große Justizreform ist auf dem Weg.

Dass seit dem Sommer auch die Konjunktur besser läuft, macht es Renzi leichter. Nach sieben Krisenjahren hat Italiens Wirtschaft die Rezession hinter sich gelassen. Das Bruttoinlandsprodukt zog im ersten Halbjahr um 0,7 Prozent an. „Jetzt müssen wir am Ball bleiben“, feuert Renzi seine verzagten Landsleute an.

"Besser als gedacht"

Eine wachsende Beschäftigung stärkt das Vertrauen der Verbraucher in die eigene wirtschaftliche Zukunft und lässt die Konsumausgaben steigen, die Banken vergeben wieder mehr Kredite, und auch der Export legt zu. Das liegt nicht zuletzt auch am Erfolg von Fiat, dessen neue SUV-Modelle ein Exportschlager sind. Die Regierung hob aufgrund der guten Daten vergangene Woche ihre Wachstumsprognose für 2015 von 0,7 auf 0,9 Prozent an. „Es läuft besser als gedacht“, frohlockt Finanzminister Pier Carlo Padoan.

Gehöriger Wandel

Auch im römischen Industrieministerium an der Via Veneto weht ein frischer Wind. Die „Das-geht-nicht-Tour“ gilt nicht mehr, sagt Federica Guidi. „Nach uns wird es ein Italien mit angezogener Handbremse nicht mehr geben“, verspricht die Ministerin, die bis zu ihrem Wechsel ins Kabinett selbst Unternehmerin war.

Carlo Calenda, ein ehemaliger Ferrari-Manager, treibt derweil Italiens Exportoffensive voran. „Man kann frei agieren, und das ist schon ein gehöriger Wandel“, sagt der 42-jährige Vize-Industrieminister. Renzi „gibt einem von Vetos und von Bürokratien gelähmten Land das Gefühl für die Dringlichkeit der Veränderungen“, bemerkt Luciano Fontana, Chefredakteur des Mailänder „Corriere della Sera“.

Der Regierungschef konzentriert sich nun auf den Etatentwurf für das kommende Jahr. Mit einer expansiven Haushaltspolitik will er den zarten Aufschwung stützen. Sein Motto lautet: „Basta mit der Austerität.“ Um den Abschied von der Sparpriorität zu vollziehen, will sich die Regierung in Brüssel die Inanspruchnahme der Flexibilitätsklauseln genehmigen lassen. Sie sollen eine Erhöhung der Neuverschuldung im kommenden Jahr um 13 Milliarden Euro rechtfertigen – gewissermaßen als Belohnung für Reformen, Investitionen und die Anstrengungen in der Flüchtlingskrise.

Finanzminister Padoan hob sein Defizitziel für 2016 von 1,8 auf 2,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) an. Von dem Ziel, zehn Milliarden Euro Ausgabenkürzungen durchzusetzen, nahm er vage Abstand. Die Schuldenquote soll dennoch erstmals nach vielen Jahren wieder sinken – auf 131,4 Prozent des BIPs.

Noch reicht das Tempo bei Weitem nicht, um Italien zukunftsfest zu machen. In den Krisenjahren sind die Produktionskapazitäten der Industrie um ein Fünftel gesunken. Die Konjunkturbelebung ist nur ein erster Schritt auf dem langen Weg zu einer ökonomischen Genesung.

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