Reformpolitik Macron muss eigene Abgeordnete fürchten

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Risiko bleibt

„Wir sind dazu da, die Bürger zu schützen und manchmal vielleicht auch ihn vor sich selbst“ lässt Paul Molac den Staatschef schon mal wissen. Der 55-Jährige war in der vergangenen Legislaturperiode als Vertreter der den Sozialisten nahe stehenden und für politische Autonomie kämpfenden bretonischen Regionalpartei UDB ins Parlament gewählt worden. Er gehörte zu den Kritikern, als die Regierung im vergangenen Jahr mit einem Verfassungskniff die ausufernde Debatte über die Arbeitsmarktreform abbrach und eine abgespeckte Fassung der nun geplanten Neufassung durchdrückte. Grundsätzlich aber sah er eine Notwendigkeit für das Gesetz - eine der Voraussetzungen, dass er nun auf dem Ticket der Macron-Partei kandidieren durfte. Bereits in der ersten Runde erhielt er 54 Prozent der Stimmen in seinem Wahlkreis Morbihan.

Was Macrons Sieg für Europa bedeuten könnte

„Wenn ich noch einmal für die Sozialisten kandidiert hätte, hätte ich sicher nicht das gleiche Ergebnis erreicht,“ räumt er ein. Eine Verpflichtung zum bedingungslosen Schulterschluss mit dem Präsidenten ist das für ihn aber nicht. „Ich erwarte schon, dass es die Möglichkeit zur Diskussion über die Arbeitsmarktreform gibt,“ sagt Molac. „Natürlich brauchen wir eine gewisse Ruhe. Wozu die Meuterei einiger Sozialisten in der vergangenen Legislaturperiode geführt hat, haben wir ja gesehen.“ Deren Widerstand hatte schließlich die komfortable Mehrheit an Abgeordneten, über die auch Präsident François Hollande eigentlich verfügte, aufgezehrt. „Aber nur weil ich Hollande grundsätzlich unterstützt habe, habe ich auch nicht allem zugestimmt.“

„Wir haben so unterschiedliche berufliche Erfahrungen und Expertisen, dass wir bereits aus diesem Grund sehr lebhafte Debatten im Parlament haben werden,“ ist die ehemalige Diplomatin und Unternehmensgründerin Delphine O überzeugt. Die Mitstreiterin und potenzielle Nachrückerin von Mounir Mahjoubi wirbt an diesem Vormittag auf dem Wochenmarkt auf der Place des Fêtes im 19. Verwaltungsbezirk von Paris noch einmal für den LREM-Kandidaten. „Jeder einzelne wird seine Kenntnisse aus seiner Branche einbringen. Das schafft vermutlich eine größere Meinungsvielfalt, als wir es bisher von den Berufspolitikern gekannt haben.“

Versprechen oder Warnung? „Langfristig könnte die Heterogenität der Profile eher zu einer Spaltung führen,“ sagt Yves-Marie Cann, Direktor für politische Studien am Meinungsforschungsinstitut Elabe in Paris. Philippe Martinez sieht da schon jetzt einen Angriffspunkt für den Widerstand gegen die geplante Arbeitsmarktreform. „Die Volksvertreter müssen auf die Bürger hören,“ betont der Chef der radikalen Gewerkschaft CGT. „Wir werden sie daran erinnern, dass sie zwar sicherlich gewählt wurden, dass sie aber angesichts der besonderen Umstände der Wahl nicht behaupten können, eine große Mehrheit stehe hinter ihnen. Wir werden alles tun, damit die Arbeitnehmer ihre Unzufriedenheit ausdrücken und man diese Unzufriedenheit auch in der Öffentlichkeit sieht. Es wird Demonstrationen geben und Streiks.“ Der Herbst, wenn die Regierung die Reform auf den Weg bringen will, werde heiß, verspricht Martinez.

Es wäre nicht die erste Reform, über die in Frankreich auf der Straße entschieden wird. Trotz klarer Mehrheitsverhältnisse im Parlament. Nach gewaltsamen Massenprotesten musste der damalige konservative Premierminister Dominique de Villepin 2006 auf Druck von Präsident Jacques Chirac sogar die bereits in Kraft getretene Lockerung des Kündigungsschutzes für Berufsanfänger wieder zurücknehmen. Damals waren lang gediente und mit der französischen Protestkultur bestens vertraute Politiker im Amt, keine Anfänger, die auf die Wut von Freunden und Nachbarn womöglich sensibel reagieren. Es besteht also durchaus noch das Risiko, dass auch Macron kolossal scheitern wird.

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