Regierungsauftrag für Ökonom Carlo Cottarelli, Italiens Ausputzer

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Das Versagen der anderen

Bis auf den PD haben alle dieser Parteien vor der Wahl das Blaue vom Himmel versprochen. Bedingungsloses Grundeinkommen, Flat-Tax-Steuern, gar keine Steuern – sowas eben. Für Cottarelli steht fest: „Es haben die gewonnen, die gegenüber fiskaler Seriosität nicht besonders aufgeschlossen sind.“ Vor der Wahl hat er die Parteien gefragt, wie sie zum Haushaltsdefizit stehen. Die Fünf-Sterne-Bewegung hat gar nicht geantwortet. Vom PD hieß es, wenn man so weitermache wie bisher, sei alles auf gutem Wege. Die Lega äußerte sich unverständlich. Und Berlusconis Forza Italia versprach, den Primärüberschuss des Landes auf vier Prozent zu treiben – schickte dann aber konkrete Ideen mit, die das Gegenteil bewirken würden. Cottarelli vermutet dahinter bereits System: „Vielleicht wollen manche auch den Haushalt nicht sanieren, weil sie einen Grund suchen, aus dem Euro zu kommen Die Situation ist schon gefährlich.“

Den Haushalt auszugleichen fände Cottarelli, theoretisch, gar nicht so schwer: „Es würden drei Jahre reichen, in denen wir die Primärausgaben senken.“ Ob es dazu kommt? Das dürfte auch deswegen nicht leicht fallen, weil unter dem Schlagwort Haushaltsdisziplin in Italien in den vergangenen Jahren mitunter verheerendes angerichtet wurde. Immer wenn ein Nordeuropäischer Politiker irgendetwas von „Austerität“ forderte, verschärfte das aus Sicht der meisten Italiener ihre Not: Öffentliche Ausgaben wurden so gestrichen, dass der Alltag mühsam wurde; Familien in Landstrichen mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 40 Prozent sahen, wie auch noch das letzte Geld, um jungen Menschen bei einer Perspektive zu helfen, gestrichen wurde.

Und waren es nicht die gleichen Nordeuropäer, die von Italien einen Sparkurs forderten dem Land dann aber die Lösung der Flüchtlingsprobleme Europas fast alleine aufhalsten? Mittlerweile ist das Wort Sparen in der italienischen Öffentlichkeit ob dieser Erfahrungen so verschrien, dass die alleinige Erwähnung einen Gegenreflex auslöst.

Insofern ist es gewissermaßen logisch, dass die Politik das Thema eher halbherzig angeht. Zudem das niedrige Zinsniveau, das die Europäische Zentralbank vorgibt, die Staatsschuld vergleichsweise händelbar macht. „Das tückische an der Politik der Europäischen Zentralbank, die ja erklärt hat, den Euro um jeden Preis zu retten, ist: Sie nimmt den Druck von der italienischen Politik“, sagt Cottarelli. Nun kann man geteilter Meinung sein, ob eine andere Politik der EZB wirklich ökonomisch sinnvoller gewesen wäre. Allerdings hat der Niedrigzins den italienischen Staat tatsächlich bisher gerettet. Cottarelli glaubt denn auch nicht, dass unter EZB-Präsident Mario Draghi die Zinsen so sehr steigen werden, dass sie Italien wieder in Nöte bringen. Angst hat er dennoch: „Und zwar davor, dass die Konjunktur in Europa abflaut. Dann ist Italien das erste Opfer – die Risikoaufschläge für die Neuverschuldung werden steigen, Italien an den Rand der Zahlungsunfähigkeit kommen. Unabhängig von den Zinsen. Das ist mein Alptraum Szenario.“

In Rom hört man in letzter Zeit oft, die italienische Wirtschaft müsse einfach weiterwachsen, dann erledige sich das mit dem Schuldenproblem schon. Es wachse sich quasi aus. „Was ein lächerlicher Quatsch“, sagt der ehemalige Schuldenkommissar. „Damit das funktioniert, bräuchten wir Wachstumsraten wie China.“ Das Land wuchs im vergangenen Jahr um gut sechs Prozent. Italien um 1,4 Prozent.

In Italien gibt es schon seit Wochen Medien und konservative Politiker, die Cottarelli als Teil der Regierung sehen wollen. „Lächerlich“, sagt Cottarelli an jenem Tag mit den streikenden Jalousien selbst noch. „Ich glaube weiter, dass man dafür werben muss, dass sich Einsicht durchsetzt. Aber nicht in so einer Regierung.“ Ob er Hoffnung habe, dass Italien sein Schuldenproblem irgendwann doch noch ernst nehme? „Hoffnung sollte nicht so eine Rolle spielen, die wird zu oft enttäuscht.“ Nun ist es an ihm, in den nächsten Wochen, die Hoffnungen vieler Italiener an die Handlungsfähigkeit ihrer Politik wieder herzustellen. An herausgehobenerer Stellung, als er selbst lange dachte. Ob er ein Programm dafür hat? Cottarelli, der vom Naturell her eher nicht mit Selbstlob hinter dem Berg hält, sagt: „Es geht einfach darum, die richtigen Ding zu tun.“ Dann drückt er den Knopf einer Fernbedienung. Und die Jalousie bewegt sich hoch.

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