Regierungsauftrag für Ökonom Carlo Cottarelli, Italiens Ausputzer

Seite 2/3

Italiens 50-Milliarden-Lücke

Als Cottarelli im November 2013 zum Sonderkommissar der Regierung berufen wurde, glaubte er, alles gesehen zu haben. Zumindest alles, was so ein Leben in einer Regierung anstrengend macht. Der Ökonom war auf verschiedenen Posten im italienischen Finanzministerium, arbeitete für den Internationalen Währungsfonds, beobachtete Europas Regierungen zudem immer wieder als Wissenschaftler. Dennoch startet er sein Amt frohen Mutes.

Schließlich verabschiedete Italien 2012 eine Verfassungsänderung, die perspektivisch einen ausgeglichenen Haushalt zum Staatsziel erklärte. Gerade war das Land, vom vorbestraften Medienunternehmer Silvio Berlusconi bis an den Rand des Bankrotts getrieben, noch einmal aus dem Visier der Finanzmärkte entkommen. Es wirkte, als habe dies als heilsamer Schock die Italiener zur Vernunft gerufen. Und die Regierung verschrieb sich auch noch einem Primär-Überschuss des Haushalts von vier Prozent. Dass man nach einem Jahr bei 2,3 war. Ach. Ein bisschen besser, aber nicht gut?

Cottarelli ließ sich nicht beirren. Er sezierte den Haushalt, entwickelte Ideen für Einsparungen, aber auch für strukturelle Verbesserungen. „Herr Verboten“, nannten ihn die italienischen Medien nun. Cottarelli fühlte sich missverstanden. „Ich will doch den Staat gar nicht klein machen“, sagte er. „Die schlechte Haushaltssituation ist in vielen Dingen vor allem ein Problem schlechter Organisation. Es gibt alle Zahlen, aber die Frage ist, ob die so zusammengeführt werden, dass man damit einen Staat führen kann.“

Also machte sich Cottarelli ans Zusammenführen. Doch nun ging er jenen auf die Nerven, die im Finanzministerium eigentlich den Haushalt zusammenführen. Zudem gab es einen Wechsel an der Spitze der Regierung: Der forsche Matteo Renzi putschte Cottarellis Förderer Enrico Letta weg. Mit Pier Carlo Padoan installierte Renzi einen Finanzminister, der wenig Wert auf einen Sparkommissar neben sich legte. Padoan begann mit der Neuordnung des Haushalts auf seine Art. Die Zahlen wurden schnell besser. Cottarelli saß zunehmend auf einem Beobachterposten und war machtlos. Er sagt: „Natürlich hat sich Padoan bemüht, den Haushalt in Ordnung zu bringen. Aber richtig ernst hat er damit auch nicht gemacht.“ Um Italien wirklich voran zu bringen hätte man die Korruption richtig bekämpfen, die Justiz entbürokratisieren, das Nord-Süd-Gefälle ernsthaft ausgleichen müssen. Die Regierung Renzi machte all das – aber eher langsam, hielt sich immer mehr mit Streitereien auf. Als Cottarellis Vorhaltungen nervten, wurde er auf einen Posten beim IWF abgeschoben.

Der nervige Kommissar war nun weg, das Problem blieb. Italiens Schuldenberg wuchs auch unter der Regierung Renzi weiter. Erst im letzten Jahr der Legislatur schaffte es die sozialdemokratische Regierung, die Neuverschuldung zurückzufahren. Die Trendwende? Der Mann, der den Schuldenberg systematisch abtragen sollte, sagt: Nein. „Sie müssen ja nur die völlig unrealistischen Privatisierungserlöse in der Haushaltsprojektion für die nächsten drei Jahren herausrechnen, dann kommen Sie auf eine Lücke von 50 Milliarden Euro im Vergleich von Ziel und Wirklichkeit.“

Dabei will der Ökonom, der heute zu öffentlichen Finanzen an der katholischen Universität Mailands lehrt und forscht und dort im Rektorat sitzt, gar nicht den vergrätzten Experten geben, der vor den Unbillen der Politik zurück in den Elfenbeinturm floh. „Das Problem ist ja längst nicht nur die Politik, sondern vor allem, dass die Bevölkerung die Notwendigkeit nicht einsieht.“ Allein wenn Cottarelli, dem sie in Rom eine gewisse Eitelkeit und bis an Sturheit grenzende Emsigkeit nachsagen, das jüngste Wahlergebnis sieht. Die Bewegung Fünf Sterne wurde da stärkste Fraktion, gefolgt von der PD, der rechten Lega und der konservativen Forza Italia von Silvio Berlusconi.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%