Die feierliche Eröffnung des Parlaments durch Königin Elisabeth II. am Donnerstag erfolgte diesmal mit weniger Pomp als sonst. Die Königin wurde in einem Auto vor das gewaltige Parlamentsgebäude im Zentrum von London gefahren und nicht, wie üblich, in ihrer goldverzierten königlichen Kutsche. Nicht einmal ihre Krone trug sie diesmal. Begleitet wurde sie von Prince Charles, dem Thronfolger.
Das heruntergefahrene Zeremoniell hatte einen guten Grund: Erst Mitte Oktober hatte die Königin schon einmal das Parlament eröffnet. Damals gab es darum reichlich Hickhack: Das Oberste Gericht befand, dass Premier Boris Johnson mit der ungewöhnlichen, fünf Wochen dauernden Suspendierung des Parlaments, die der damaligen Neueröffnung vorausgehen sollte, das Gesetz gebrochen hatte. Kritiker sahen ihren Verdacht bestätigt, wonach Johnson die Königin belogen und die Zeremonie nur deswegen angesetzt hatte, um das Parlament kurz vor der Brexit-Deadline Ende Oktober aus dem Weg zu räumen.
Geschadet hat es Johnson nicht. Bei den Unterhauswahlen vergangene Woche sicherte sich Johnson eine so große konservative Mehrheit, wie man sie seit Margaret Thatcher nicht mehr gesehen hat. Und so musste Königin Elisabeth II. ein weites Mal anrücken, um das Parlament zu eröffnen.
In ihrer „Queen’s Speech“ verliest die Monarchin bei einem solchen Anlass das legislative Programm der Regierung für die kommenden Jahre. Und dieses Programm hat es in sich. Die Highlights: Johnson möchte mehr Geld für den Gesundheitsdienst NHS bereitstellen. Es soll schärfere Anti-Terror-Gesetze geben und erweiterte Maßnahmen gegen „feindselige Aktivitäten anderer Staaten“. Auch ein höheres Mindesteinkommen ist vorgesehen. Ein neues, Punkte-basiertes Einwanderungssystem soll die Freizügigkeit für EU-Bürger beenden. Johnson möchte die Sozialfürsorge ausbauen, Mieter besser schützen, für Nachlässe für Erstkäufer von Immobilien sorgen, die Strafjustiz unter die Lupe nehmen, die Produktivität erhöhen, für Klimaneutralität bis 2050 sorgen und die Meinungsfreiheit und die Rechtsstaatlichkeit ausbauen.
Und das Land soll die EU am 31. Januar verlassen. Danach soll es Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit der EU und „mit anderen führenden weltweiten Volkswirtschaften“ geben.
Johnson lässt keinen Zweifel daran, dass er Geschichte schreiben möchte. Die Sache hat nur, wie so oft bei ihm, einen Haken: Es ist vollkommen unklar, wie er das alles finanzieren möchte. Daran sind nicht nur die fehlenden Steuererhöhungen schuld, die eigentlich notwendig wären, die Johnson aber um jeden Preis vermeiden möchte. Der wiedergewählte britische Premier strebt auch einen vergleichsweise harten Brexit an, bei dem das Land sowohl den Europäischen Binnenmarkt als auch die Zollunion verlassen würde. Ein solcher Brexit würde die britische Wirtschaft selbst unter günstigen Voraussetzungen schwer treffen. Doch die sind nicht gegeben. Ganz im Gegenteil: Es droht mal wieder ein chaotischer No-Deal-Brexit.
Boris Johnson: Ein Macher ohne Plan?
Dafür hat Johnsons selbst gesorgt. Erst vor wenigen Tagen erklärte der Premier, er werde es per Gesetzesänderung unmöglich machen, die geplante Übergangsfrist zu verlängern, die bis Ende 2020 dauern soll. Die Ankündigung wurde in den rechtslastigen Tageszeitungen des Landes regelrecht gefeiert: Die Daily Mail sprach gar von einem „Ultimatum“ an Brüssel. Doch selbst das Revolverblatt räumte umgehend ein, dass dadurch die Gefahr eines No-Deal-Brexits ein weiteres Mal gestiegen ist.
Denn Handelsgespräche sind notorisch kompliziert und langwierig. Ein umfangreiches Freihandelsabkommen in gerade einmal elf Monaten auszuhandeln erscheint so gut wie unmöglich. Was Johnson wohl antreibt, konnte man einer Äußerung des ehemaligen Ministers und Tory-Abgeordneten Iain Duncan Smith entnehmen. Der erklärte, die EU stehe „unter Druck“, ein Handelsabkommen mit Großbritannien auf den Weg zu bringen. Brüssel „brauche“ so einen Deal, fügte Duncan Smith hinzu.
Die Ausführung folgt der unter Brexit-Hardlinern weit verbreiteten Vorstellung, dass ein No-Deal-Brexit für Europa weitaus schlimmer wäre als für das Vereinigte Königreich. Das große Außenhandelsdefizit des Landes verwandelt sich in dieser Ideenwelt zu einem Vorteil: Die Briten importierten dermaßen viel aus Europa, heißt es dann oft, dass die europäischen Wirtschaften allesamt wie Kartenhäuser zusammenklappen müssten, sollte der lukrative Handel mit Großbritannien wegfallen.
Johnson selbst trieb diese Vorstellung auf die Spitze, als er noch 2016 einem italienischen Minister erklärte, sein Land werde den Briten nach dem Brexit den Zugang zum EU-Binnenmarkt schon nicht verwehren. Schließlich wolle Italien doch keine Einbußen beim Export von Prosecco hinnehmen. Für diese Äußerung erntete Johnson im eigenen Land zu Recht reichlich Spott.
Brüssel versucht, ernst zu bleiben
In Brüssel reagiert man nach Johnsons jüngster Ankündigung verhalten. EU-Chefunterhändler Michel Barnier sagte, die EU werde „das Maximale tun“, um ein Abkommen bis Ende 2020 auf den Weg zu bringen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, ein abrupter Brexit Ende 2020 werde Großbritannien mehr schaden als der EU. Ansonsten hört man aus Europa dazu eher wenig.
Vielleicht nimmt man in den europäischen Hauptstädten Johnson auch schon gar nicht mehr beim Wort. Vor der letzten großen Verhandlungsrunde zwischen Brüssel und London hatte sich Johnson gegenüber der EU ebenfalls extrem kämpferisch gegeben. Bei den tatsächlichen Gesprächen machte er aber sofort große Konzessionen, um in letzter Minute einen Brexit-Deal zu bekommen.
Gut möglich, dass sich Johnson mit seiner komfortablen Mehrheit im Unterhaus mit Brüssel auf einen sehr viel sanfteren Brexit verständigen wird, als ihn die Extremisten in seiner Partei fordern. Dann dürfte es ihm auch leichter fallen, sein umfangreiches innenpolitisches Programm umzusetzen.
Königin Elisabeth II. dürfte das begrüßen. Sie müsste dann nicht mehr zu pompösen Zeremonien anrücken, die nur abgehalten werden, um innenpolitisches Geplänkel zu überbrücken.