Die Häme vom Kontinent ist Großbritannien in diesen Tagen sicher: Genüsslich wird das Vereinigte Königreich in Anbetracht seiner Regierungskrise mit einer Bananenrepublik verglichen. So haut auch der „Spiegel“ mit seinem neuesten Cover in diese Kerbe: Da wird der Big Ben zur Banane. Wir Deutschen haben doch immer gewusst, dass diese Brexit-Briten sich früher oder später in die Malaise reiten!
Das Beste kommt aber jetzt erst: Nun haben sie tatsächlich einen früheren Hedgefonds-Manager und Ex-Banker als Premierminister, der außerdem einer der reichsten Briten ist. Das genügt manchen Kommentatoren in Netzwerken und Medien als Anlass zu Geraune, nun stelle wohl das Weltwirtschaftsforum den Premier in London.
Nur: Der neue Regierungschef Rishi Sunak hat eine beachtliche Karriere hingelegt, die wir in Deutschland so noch bei keinem Regierungschef gesehen haben. Als Sohn indischstämmiger Einwanderer hat er es mit Ehrgeiz und Fleiß nach oben geschafft – und ist früh wohlhabend geworden, bevor er in die Politik ging. Was im angelsächsischen Kulturraum eher für Anerkennung sorgt, steht bei uns Kontinentaleuropäern unter Generalverdacht. Jemand hat Geld? Pfui!
Sunak mag wie seine glücklose Vorgängerin Liz Truss Sympathien für Margret Thatcher gezeigt haben, die Ikone eines entfesselten Kapitalismus. Doch war er derjenige, der schon früh gewarnt hat, dass Truss‘ Politik der massiven, nicht gegenfinanzierten Steuersenkungen ein Irrweg sein würde. Eine Erkenntnis, die von vertieften Kenntnissen der Finanzmärkte herrühren dürfte. Und hat er während seiner Zeit als Finanzminister während der Coronakrise nicht gänzlich unideologisch gehandelt und ein der deutschen Kurzarbeit vergleichbares Programm auf den Weg gebracht?
Anders als vielen ideologisch verbohrten Brexit-Anhängern scheint dem neuen Premier das Augenmaß nicht abhandengekommen zu sein. Das pragmatische Abwägen von Risiken, das bei Hedgefonds-Managern zum Job gehört, dürfte ihm bei seiner neuen Aufgabe helfen.
Vielleicht wäre statt eines langjährigen Parteifunktionärs an der Spitze der Regierung so jemand doch auch mal was für Deutschland. Die Häme über Großbritannien ist bei uns denn auch gar nicht so angebracht – man denke nur an die Energiekrise, die ist schließlich in Teilen hausgemacht. Da gerät man fast in Versuchung zu sagen: Einen Hedgefonds-Manager als Regierungschef? Nehmen wir!
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