Rishi Sunak Großbritanniens einstiger Superstar-Schatzkanzler will das Comeback – in erster Reihe

Rishi Sunak und Boris Johnson in einem der wöchentlichen Kabinettstreffen Anfang Juni. Quelle: REUTERS

Als Rishi Sunak neulich den Posten als Schatzkanzler räumte, dürfte ihm klar gewesen sein, dass er damit den Rücktritt seines Chefs, Boris Johnson, forcierte. Nun will Sunak Johnsons Job. Wie sind die Chancen des Ex-Bankers und Thatcher-Fans?

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In seinem Rücktrittsschreiben nahm Rishi Sunak kein Blatt vor den Mund: „Ein Ministeramt zu verlassen ist eine ernste Angelegenheit. Zurückzutreten, während die Welt unter den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, dem Krieg in der Ukraine und anderen gravierenden Herausforderungen leidet, ist mir nicht leichtgefallen.“ Die Öffentlichkeit erwarte jedoch „zu recht eine ordnungsgemäße, kompetente und seriöse Regierungsführung.“ Er glaube daran, dass es sich lohne, für diese Standards zu kämpfen. „Und deshalb trete ich zurück.“

Mit seinem Rücktritt vom Posten des Schatzkanzlers, zog Sunak offenbar einen persönlichen Schlussstrich unter die nicht endenden Skandale um Premier Boris Johnson. Nach Lockdown-Partys in der Downing Street, goldenen Tapeten in Johnsons Dienstwohnung, die ein Tory-Parteispender bezahlt hat und zahlreichen weiteren Affären, Unwahrheiten und Ungereimtheiten kam zuletzt ein Aufschrei um die Besetzung eines Spitzenpostens innerhalb der Regierung hinzu, bei dem Johnson Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens ignoriert (und darüber gelogen) hat.

Im Lauf des Dienstags traten auch Gesundheitsminister Sajid Javid und acht weitere Amtsträger in geringeren Posten zurück. Die Rücktrittswelle, die sich am nächsten Tag fortsetzte, besiegelte dann auch das politische Schicksal des Skandalpremiers mit dem Hang zur Unwahrheit.

Noch vor wenigen Monaten hätte allein Sunaks Rücktritt Johnson vermutlich den Todesstoß versetzt. Noch zum Jahresbeginn war der Schatzkanzler der mit Abstand beliebteste britische Politiker. In einem potentiellen Rennen um den Posten des Premiers war er einer der Favoriten. Die britische Öffentlichkeit sah in dem stets adrett gekleideten Ex-Banker einen Retter in der Not: Während Johnson die Öffentlichkeit mit seiner oft chaotischen Antwort auf die Pandemie zunehmend verärgerte, griff Sunak den britischen Haushalten und der Wirtschaft finanziell unter die Arme. Das war bitter notwendig, schließlich verfügt Großbritannien heute nur über eingeschränkte soziale Sicherungssysteme.

Als das Schatzamt im Sommer 2020 auch noch begann, im großen Stil Restaurantbesuche zu bezuschussen (Restaurantbesucher konnten bis zu 10 Pfund pro Besuch sparen), fanden die Zeitungen des Landes schnell den passenden Spitznamen für den Politiker: „Dishy Rishi“. „Dishy“ bedeutet dabei zugleich „attraktiv“ und ist ein Wortspiel mit „dish“ – Gericht.

Doch seitdem hat Sunak viel von seinem Superstar-Status eingebüßt. Sein Frühjahrshaushalt, den er im März vorstellte, war phantasielos und enthielt kaum etwas, um den explodierenden Lebenshaltungskosten entgegenzuwirken. Im April wurde dann bekannt, dass Sunaks Frau Akshata Murthy, Tochter eines indischen IT-Milliardärs, einen äußerst umstrittenen Steuerstatus besaß, der es ihr erlaubte, in Großbritannien keine Steuern auf Einkommen aus dem Ausland zu zahlen. Die BBC schätzte, dass sie damit mehr als zwei Millionen Pfund an britischen Steuern im Jahr sparte. Der Vorfall sorgte für einen wohlverdienten Aufschrei. Murthy gab sich reuig und erklärte, sie werde in Zukunft auch ihr Einkommen im Ausland in Großbritannien versteuern. Ein wütender Sunak leitete eine Untersuchung ein, die klären sollte, wie Informationen über den Steuerstatus seiner Frau an die Öffentlichkeit gelangen konnten.

Etwa zur selben Zeit wurde bekannt, dass Sunak selbst dann noch eine amerikanische Arbeitserlaubnis (Green Card) besaß, die ihn als in den USA ansässig auswies, als er bereits mehr als ein Jahr lang Schatzkanzler war. Ein gravierender Fauxpas. Die Seifenblase vom neuen Star am britischen Politikhimmel platzte endgültig.

Die Skandal-Chronik von Boris Johnson und seiner Regierung

Johnsons endlosen Skandale waren wohl der endgültige Anlass für Sunaks Rücktritt. Gebrodelt hat es allerdings schon vorher. Schon seit Monaten berichten Insider über Streit zwischen dem Schatzkanzler – der sich gerne als Verehrer der Eisernen Lady Margaret Thatcher gibt – und dem Premier, der bei den Wahlen 2019 zahlreiche Sitze im zuvor tiefroten Nordengland gewonnen und den Menschen dort einen Wiederaufbau ihrer wirtschaftlich abgehängten Regionen versprochen hat.

Der Streit darüber ist zuletzt offenbar eskaliert. So schrieb Sunak in seinem Rücktrittsschreiben über die „Opfer“ und „schwierigen Entscheidungen“, die aus seiner Sicht getroffen werden müssten. „In Vorbereitung auf unsere geplante gemeinsame Rede zur Wirtschaft kommende Woche ist mir klar geworden, dass unsere Ansätze grundlegend zu unterschiedlich sind.“

Mit seiner Rückbesinnung auf niedrige Steuern und öffentliche Sparmaßnahmen könnte Sunak nun im Rennen um Johnsons Nachfolge gute Karten haben. Von den ersten Kandidaten hat sich nun eine Gegnerin herausgefiltert: Außenministerin Liz Truss.

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Denn darüber, wer Parteichef und somit Premierminister wird, entscheidet bei den Tories die Basis. Und die ist überwiegend im vorgerückten Alter, männlich, gut situiert und extrem konservativ. Ein Thatcher-Fan, der seinen Posten als Schatzkanzler aufgegeben hat, weil die Regierung aus seiner Sicht zu spendabel war, dürfte in diesen Kreisen gut ankommen.

Kritiker haben jedoch schon vor Sunaks Absturz im öffentlichen Ansehen in den vergangenen Monaten davor gewarnt, dass mit dem Ex-Banker und ehemaligen Hedgefonds-Manager ein Finanzlobbyist ins höchste Regierungsamt gelangen könnte. Denn während Vertreter anderer Wirtschaftszweige oft um Termine im Schatzamt ringen mussten als Sunak dort das Sagen hatte, gaben sich dort Berichten zufolge die Chefs von Großbanken und Finanzlobbyisten die Klinke in die Hand.

Zudem trieb Sunak umstrittene Steuererleichterungen für Banken voran, während auf Unternehmen und Arbeitnehmer höhere Abgaben zukamen. Und Sunak arbeitete als Schatzkanzler an den Lockerung vieler Finanzmarktregeln, worauf vor allem die milliardenschweren großen Tory-Parteispender drängten. Dabei sind die dazu gedacht, Finanzkrisen zu verhindern.

Transparenzhinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 6. Juli bei der WirtschaftsWoche. Er wurde am 20. Juli redaktionell aktualisiert.

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